Tripartite / Die 30-Prozent-Frage: „tabulos“ zu stellen oder einfach nur „befremdlich“?
Sollte eine Staatsverschuldungsquote von 30 Prozent die Mauer sein, die jede Bemühung um Linderung der Krise begrenzt? Nicht nur in Senningen zeigen sich zu dieser Frage mittlerweile Verwerfungen in der Koalition, die die entsprechende Begrenzung einst entsprechend grundlegend vereinbart hatte: Das Tageblatt hat die Vorstände und Fraktionsvorsitzenden der Koalitionäre nach ihrer Haltung gefragt – und divergierende Antworten erhalten.
„Wir haben ja bereits öffentlich ausgedrückt, dass es das Wichtigste ist, zuerst den Menschen zu helfen, und danach stellt sich erst die Frage, wo wir im Budget stehen“, erklärt etwa die grüne Co-Parteivorsitzende Djuna Bernard auf Anfrage des Tageblatt.
Wobei die Frage ja, prinzipiell, erst einmal theoretischer Natur sei: „Im Moment sieht es ja sehr gut aus, denn wir haben noch Raum, um handlungsfähig zu sein!“ Dennoch müsse man beim Handeln „in der zweiten Etappe sehen, wie der Staat das finanziert“, auch um „zukünftigen Generationen nicht das Geld wegzunehmen“. Darum habe man ja auch „eine mögliche Erhöhung der Solidaritätssteuer ins Spiel gebracht“, konkret denke man daran, „Krisengewinner“ sowie „Superreiche“ bevorzugt zur Kasse zu bitten.
Der von Xavier Bettel verlangte Schutz der Rating-Bestnote für Luxemburg sei nachvollziehbar: „Wir sind ein Land, das sehr stolz ist auf das Rating, das schon so besteht, seit ich geboren bin“, sagt die 30-Jährige, die den Finanzsektor durchaus als „Faktor, auf den man aufpassen muss“ bezeichnet.
„Nicht mal darüber nachdenken“
Für den DP-Fraktionsvorsitzenden Gilles Baum sind alle Ideen, die Unantastbarkeit der 30-Prozent-Schwelle aufzuweichen, „befremdlich“, eben weil das den AAA-Status gefährden würde: „Für Luxemburg und die Bonität hätte das sofort Auswirkungen!“, glaubt Baum. Auch er verweist darauf, dass man zu entsprechenden Szenarien sowieso noch weiten Abstand habe. „Wir wollen auf jeden Fall die Kaufkraft der Leute stärken, so wie mit dem ersten Solidarpaket auch, das ja immerhin auch 900 Millionen Euro gekostet hat!“ Der von Premier Bettel ins Spiel gebrachte Energiepreisdeckel sei ein gangbarer Weg, um das zu erreichen. In der Coronakrise habe sich gezeigt, dass die Aufnahme von Krediten für den „Invest“ in Gewerbe und private Haushalte eine richtige Maßnahme war – aber eben mit Augenmaß, wofür man, glücklicherweise, ja „noch etwas Puffer“ habe: Über die Aufweichung der Kriterien aus dem Koalitionsvertrag sollte man aber „nicht einmal nachdenken“.
Eben das will sich der Koalitionspartner nun aber offenbar eben nicht verbieten lassen: „Xavier Bettel hat ja gesagt, man solle ‚tabulos’ in diese Tripartite gehen“, ruft LSAP-Co-Präsidentin Francine Closener in Erinnerung – und genau das sollte man doch jetzt auch tun. Eine kurze Abstimmung mit Partei und Fraktion habe übereinkommend die Ansicht gezeigt, dass diese 30 Prozent eine lediglich „hausgemachte Grenze“ seien und nicht durch harte äußere Regelungen bedingt, wie sie etwa die Maastricht-Kriterien darstellten. „Natürlich hoffe ich, dass man mit den Sozialpartnern einen Abschluss findet, wo das Ganze gar nicht zur Sprache kommen muss“, meinte Closener am Montagnachmittag.
„Die Idee ist ja, dass man die Energiepreise so in den Griff kriegt, dass man die Inflation nach hinten verschiebt“, trotzdem berufe sie sich jetzt auf die ausgesprochene „Tabulosigkeit“: Die Situation habe sich nun einmal verschlechtert, darum dürfe es keine Denkverbote geben – „natürlich, ohne zukünftigen Generationen eine Hypothek aufzulasten!“ Closener schätzt die Chance, dass die Tripartite diesmal mit allen Beteiligten zu einer Lösung findet, gar nicht so gering ein: „Wir sollten uns nicht unter Druck setzen, das war nämlich beim letzten Mal das Problem!“ Wenn es Abstimmungsprobleme gebe und etwa die Gewerkschaften oder Parteien noch einmal Rückversicherungen einholen müssten, dann sollte man sich diesmal auch die Zeit dafür nehmen. „Natürlich ist es umso besser, je eher man zu Einigkeit kommt“, aber es komme „auch nicht auf einen Tag an“.
„Keine Wissenschaft“
Wohl wenig überraschend sekundiert auch Yves Cruchten: „Die 30 Prozent sind ja künstlich definiert“, stellt der LSAP-Präsident gegenüber dem Tageblatt fest: „Das ist kein wissenschaftlicher Wert!“ Die „Selbstverpflichtung“ sei jedenfalls keine „unüberwindbare Grenze, wenn es darum geht, diese Krise zu überstehen und um Menschen und Betrieben zu helfen“. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe ja gerade erst in ihrer Rede entsprechende Signale ausgesandt, als sie erklärte, dass auch die Kriterien für die Euro-Stabilität durchaus „flexibel gehandhabt werden könnten“, erinnert Cruchten.
Natürlich sei das Triple-A „sehr wichtig für Luxemburg“, aber andererseits sei man in einer „beispiellosen Situation“, wie man sie seit langer Zeit nicht mehr kannte. Auch Cruchten betont den „Spielraum“, den man sowieso noch habe: „Wir stehen ja nicht gleich mit dem Rücken zur Wand!“ Es sei jedenfalls gut, dass über den Energiepreisdeckel geredet werde. „Die Situation ist so ernst, dass alle Beteiligten sich sicher anstrengen werden“, zeigt sich Cruchten zuversichtlich, dass diese Tripartite mit allen Partnern ins Ziel kommt.
DP-Präsident Lex Delles ist der Einzige, der in Personalunion als u.a. Mittelstandsminister auch an den Verhandlungen in Senningen teilnimmt. Er ruft in einer Verhandlungspause kurz beim Tageblatt an, möchte sich in der knappen Zeit aber nicht zur 30-Prozent-Grenze äußern: „Nur so viel: Es ist wichtig, dass wir ein Paket schnüren, das die Kaufkraft der Leute stärkt, aber auch die Kompetitivität Luxemburgs!“ Darum sei „finanzielle Stabilität wichtig“ – gleichzeitig „sehr wichtig“ sei, das dreifache „A“ zu behalten.
Für die Grünen-Fraktionschefin Josée Lorsché sind Schulden „kein Schreckgespenst, sondern immer zunächst ein Lenkungsinstrument, um Krisen zu überwinden“ – und die 30 Prozent keine finale Grenze: „Die wurde in Nicht-Krisen-Zeiten festgelegt, aber die aktuellen Zustände bedingen andere Maßnahmen“, findet die 61-Jährige. Wenn eine „wirtschaftliche und soziale Krise“ damit abgewendet werden könne, dürfe man sich „vor nichts verschließen“, nicht einmal auf Kosten der Gefährdung von „Triple A“: „Das zeichnet Luxemburg natürlich aus, aber für mich stehen die sozialen Probleme und die der kleinen und mittelgroßen Betriebe im Vordergrund“. Wenn man zwar den „schönen Stempel“ habe, aber die Menschen „kaum noch eine Lebensgrundlage, dann sind wir ja ein armes Land“, findet Lorsché und sorgt sich vor „sozialen Unruhen“, die den sozialen Kitt überstrapazieren: „Wir sind im Sozialdialog immer gut gefahren, aber ein Land mit großen sozialen Unruhen und einer Armutsschere, die weiter auseinanderdriftet, hat nichts von einem AAA!“
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