Ausstellung / Die Abwesenheit festhalten: Lisa Kohl stellt ihr Projekt „ERRE“ in der „Konschthal“ aus
Wen es diesen Sommer nicht nach Arles verschlagen hat, wo man im Rahmen von „Lët’z Arles“ die luxemburgischen Beiträge von Lisa Kohl und Daniel Reuter in der „Chapelle de la Charité“ begutachten konnte, kann dies nun in der vor elf Tagen eröffneten „Konschthal“ in Esch/Alzette nachholen. Wir haben uns mit Lisa Kohl über ihre Rauminstallation „ERRE“ unterhalten.
Wer am vorletzten Wochenende bei der Eröffnung der Escher „Konschthal“ dabei war, fühlte sich während der DJ-Sets für einen Moment nach Berlin versetzt. Auch der Raum, in dem Lisa Kohls „ERRE“ ausgestellt wird, erinnert, wie die Künstlerin bemerkt, in seinem Minimalismus und seiner Kälte an das Berliner Berghain.
Wie jedes Jahr sollten die in Arles vorgestellten Arbeiten – Lisa Kohls „ERRE“ und Daniel Reuters „Providencia“ – nach den „Rencontres de la photographie“ auch in Luxemburg ausgestellt werden. Während der letzten Jahre verschlug es die Werke von Arles ins „Cercle Cité“ – „dieses Jahr hat Christian Mosar jedoch vorgeschlagen, die Kunstwerke hier auszustellen, was ich im Rahmen der Eröffnung der ,Konschthal‘ sehr spannend finde“, erklärt Lisa Kohl.
„Das Projekt ‚ERRE‘ besteht aus drei Arbeiten. ‚ERRE‘ bezieht sich auf das französische Wort ‚errance‘: In den Werken stelle ich das Irren, das Wandern dar. Gleichzeitig entsteht eine Art homonyme Verbindung zum Land (‚terre‘) und zur Luft (‚air‘) – und darum geht es eigentlich auch in den Arbeiten“, erläutert die Künstlerin, während im Hintergrund das meditative, leicht bedrohliche Raunen der Videoinstallation „HAVEN“ zu hören ist – eine Nahaufnahme, die aus einem Schiff gefilmt wurde. Der Zuschauer sieht Wasser, das wie in Zeitlupe von Schiffsmotoren aufgewirbelt wird. Durch die Entschleunigung hat das Video eine hypnotische Qualität; es wirkt, als würde man langsam in diesen Strudel hineingesogen werden.
Das Video, das in Arles wie eine Art Palimpsest auf das Kreuzgewölbe des Seitenschiffs der „Chapelle de la Charité“ projiziert wurde, gewinnt auf dem kalten Beton der „Konschthal“ an Detailreichtum. „Es entsteht eine Assoziation zum Mittelmeer, zu den Migrationsbewegungen, den Überquerungen und den Schiffsbrüchen – aber da die betroffenen Menschen abwesend sind, bleibt dies nur eine von vielen möglichen Interpretationsebenen“, so Lisa Kohl. „Der Hafen ist gleichzeitig ein Ort des Ankommens und des Wegfahrens. Ausgangspunkt meines Schaffens sind oft Orte, an denen niemand lebt, es sind Transiträume, geografische Grenzen, die ich aufsuche, um Erfahrungen zu sammeln, die Orte zu erleben.“
Transiträume
Einen weiteren politisch aufgeladenen Transitraum kennzeichnet die Reihe „PASSAGE“, deren Koordinaten im Titel auf den Ort verweisen, an dem die Aufnahmen entstanden sind. Dargestellt sind Nahaufnahmen von Spuren von Militärfahrzeugen, die im US-amerikanischen „Border Field State Park“ nahe der mexikanischen Grenze herumkreisen und Zeichnungen im Sand hinterlassen. Gleichzeitig sieht man Spuren von Menschen, die dort die Grenze überquert haben.
Die Aussagekräftigkeit liegt wohl in der Abbildung der Abwesenden. „Diese Abwesenheit hat etwas Gewaltvolles: Einerseits sind es Zustandsaufnahmen, Standbildaufnahmen von Alltagssituationen an einer Grenze, die 24 Stunden tagtäglich überwacht wird. Und gleichzeitig ähneln sie Kriegsbildern. Es geht in all diesen Arbeiten um Nichtorte, an denen Menschen leben, aber auch überleben. Der Mensch ist nicht direkt zu sehen, da ich versuche, eine Spannung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit herzustellen“, so Lisa Kohl.
Auch „SHELTER“, die zweite Fotoserie, die eigentlich aus sechs Bildern besteht – in der „Konschthal“ und in Arles sind nur drei davon ausgestellt –, spielt mit dieser Spannung: Auf den Bildern sieht man verschleierte Figuren, verhüllte „skulpturale Wesen“.
„Ich war damals in einer Residenz in der Villa Aurora in L.A. Ausgangspunkt waren Brechts Hollywood-Elegien, die er 1942 im Exil verfasst hat. In diesen Gedichten schreibt er über seine Wahrnehmung der Stadt der gefallenen Engel, die Texte sind von Widersprüchen geprägt. Ich bin der Frage nachgegangen, wie man diese Gedichte innerhalb eines zeitgenössischen Kontextes aktualisieren und als Leitfaden benutzen könnte, um die Stadt zu erkunden. Und dank Brechts Gedichten sind mir Parallelwelten, Kontrastwelten, Enklaven der Armut, ins Auge gestochen. In den Bildern wird die Gratwanderung zwischen Inszenierung und Dokumentation verhandelt.
Wesentlich ist, was das Werk erzählt, wie der Rezipient es wahrnimmt. Was der Künstler aussagen wollte, oder wie es entstanden ist, ist eher zweitrangig. Mich interessiert die Geschichte des Rezipienten, wie er das Werk in Bezug auf das, was er selbst erlebt hat, auffasst. Aus diesen Gründen möchte ich eine gewisse Offenheit bewahren: Es soll eine gewisse Mystik in Bezug darauf, wie das Bild entstanden ist und wer auf dem Bild zu erkennen ist, bleiben. So schaffe ich Assoziationsräume. Es geht um Verhüllung, um die Symbolik des Stoffs, um Abwesenheit und Anwesenheit.“
Von der Kapelle zum Bunker
Kohls Werke entwickeln im Zusammenspiel mit dem Raum und ihrer Positionierung, ihrer räumlich-geografischen Verankerung, die verschiedenartigsten Assoziationen und Stimmungen: Wer die Exponate in Arles gesehen hat und anschließend ihre Disposition in der „Konschthal“ entdeckt, dürfte bemerken, wie unterschiedlich ihre Wirkung an beiden Orten ausfällt.
„Ich arbeite sehr raumbezogen und schaffe deswegen stets eine Verbindung zwischen Werk und Raum: Der Ort und sein Kontext spielen dabei eine wesentliche Rolle. Das Projekt ‚ERRE‘ wurde in zwei sowohl räumlich als auch geografisch sehr unterschiedlichen Räumen und Institutionen ausgestellt. Die ,Chapelle de la Charité‘ in Arles hat einen sakralen Hintergrund. ‚ERRE‘ ist eine in situ Arbeit, die für diesen Ort geschaffen wurde – die Kuratorin Danielle Igniti und ich haben lange darauf hingearbeitet.“
Es war folglich ein wichtiger Teil der künstlerischen Herausforderung, die Arbeit in den Ort zu integrieren. So wurde die Videoinstallation ‚HAVEN‘ an die Decke der Kapelle projiziert – was, so die Künstlerin, „eine ganz andere Form der Wahrnehmung mit sich brachte: der Blick nach oben, der körperliche Bezug, die sakrale Verbindung zwischen Himmel und Erde. In den Räumlichkeiten der ,Konschthal‘ haben wir uns für eine klassische Variante entschieden. Das Gebäude wirkt wie eine Art Skelett aus Beton, das entkernt wurde, es ist eine Art Bunker, ein geschlossener Raum, der in dem Sinne mit meinen Arbeiten dialogiert, weil die Betonsockel, in denen die Leuchtkästen ausgestellt sind, nicht nur ein ,Support‘, sondern ein fester Bestandteil des Werks sind: Durch diese Sockel entsteht ein Dialog, eine Verbindung zwischen dem Kontext der Bilder und der Einrichtung der ,Konschthal‘.“
„Diese Stelen verleihen den in ‚SHELTER‘ dargestellten Figuren eine Art monumentale Ebene – das Werk wird zu einer Art Hommage.“ So gibt es in Lisa Kohls Werken stets einen Wirklichkeitsbezug, der auf Dokumentation, Recherche, eigener Empfindsamkeit und Empathie für das Thema basiert – mit der Absicht, diese Elemente in einen künstlerischen Kontext zu integrieren, und ihnen eine poetische Ebene zu verleihen. Es ist für die Künstlerin elementar, die Werke innerhalb eines Dialogs zu begreifen: „Da ich Bildhauerei studiert habe und so eine bildhauerische und plastische Herangehensweise habe, ist es wesentlich, wie das Bild in den Raum integriert wird, damit das Bild zu einer Präsenz im Raum wird, sei es, dass die Bilder sich gegenüber stehen, sie den Raum blockieren, der Besucher um sie herumgehen muss und so eine Art Gegenüberstellung entsteht.“
So kann durch das künstlerische Erforschen dieser Transiträume und der räumlichen Positionierung der Bilder eine empathische Verbindung zwischen den Werken und den Menschen, die vor ihnen verweilen, entstehen.
Die Ausstellung kann noch bis zum 9. Januar 2022 in der „Konschthal“ besucht werden.
Errata
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