„Premièresexamen“ / Die Angst der Abiturienten vor einem positiven Schnelltest
Die Angst der Abiturienten vor einem positiven Coronatest kurz vor dem „Premières-Examen“ ist groß. Manche befürchten, dass sie dann nicht am Examen teilnehmen können. Als Konsequenz verzichten nicht wenige darauf, sich testen zu lassen. Ist das ein Mangel an Solidarität gegenüber den Mitschülern oder ist es situationsbedingt nachvollziehbar? Wir haben uns mit einigen Akteuren darüber unterhalten.
Am vergangenen Freitag war der letzte Schultag für die Primaner. Zumindest im Präsenzunterricht. Bis Mitte dieser Woche befinden sie sich im Homeschooling, die restliche Zeit ist zum Wiederholen der Materie gedacht. Am 17. Mai fangen dann die Abiturprüfungen an. In einem offenen Brief hatten sich Abschlussklässler mehrerer Lyzeen zusammengetan und eben den vergangenen Freitag als letzten Schultag gefordert. Somit könne man die Ansteckungsgefahr reduzieren, argumentierten sie. Bildungsminister Claude Meisch zeigte sich einsichtig und gab grünes Licht für die Forderungen der Abiturienten.
Dennoch setzen sich die Primaner nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause im Familienkreis stets einem gewissen Infektionsrisiko aus. Im Hinterkopf bleibt die Frage, was passiert, wenn sich ein Abiturient kurz vor den Examen oder während diesen infiziert. Oder wenn er sich aufgrund eines Kontaktes in Isolation begeben muss. Viele Abiturienten haben Angst vor einem positiven Test.
Für Schüler, die sich aufgrund eines Kontaktes mit einer infizierten Person zum Zeitpunkt des Examens in Quarantäne befinden, bietet Claude Meisch eine Lösung an. Wie er vergangene Woche in einem Interview auf Radio 100,7 erläuterte, können diese dennoch am Examen teilnehmen. Für diese Schüler wurden spezifische Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Sie können ihr Abitur dann in einem separaten Raum schreiben. Wenn man allerdings selber positiv ist, dann ist diese Möglichkeit nicht gegeben. Sollte es sich um einen einzigen Fehltag handeln, könne dieser Prüfungstag zeitnah nachgeholt werden. Sind es allerdings mehrere Tage, dann müssen diese Schüler die fehlenden Examen im Herbst ablegen.
Und genau hier liegt die Krux. Denn viele Unis wollen, dass die zukünftigen Studenten ihre Zeugnisse im Laufe des Sommers einreichen, sagt Judith Reicherzer, Medienpädagogin im Lycée Aline Mayrisch, gegenüber dem Tageblatt. Tun sie das nicht, können sie sich für das Semester oder gar für das ganze Jahr nicht dort einschreiben. Den Studenten bleibt nur noch das Ausweichen auf andere Unis, die das nicht so handhaben, sagt sie.
Forderung nach einer zweiten Session im Juni
Claude Meisch sagte auf Radio 100,7, dass er es verstehe, dass Schüler sich in einer solchen Situation weigern, Tests zu machen. Aber er sagt auch: „Wenn ich mich mit einem Klassenkameraden zusammensetze, um Lernstoff zu wiederholen, gerade da wäre es sinnvoll, einen solchen Test zu machen, damit ich den anderen nicht anstecke.“ Deshalb habe man die Schnelltests nun den Primanern mit nach Hause gegeben, damit sie Verantwortung übernehmen.
Bist du ein guter Bürger – oder riskierst du, dein Examen in den Sand zu setzen?Präsident der Nationalen Elternvertretung
Alain Massen, Präsident der Nationalen Elternvertretung, fordert als Lösung eine zweite Session im Juni oder Juli, an der die Abiturienten jene Examenstage, an denen sie wegen einer Infektion gefehlt haben, nachholen können. Deshalb hat Massen, wie er dem Tageblatt sagt, den Kontakt mit dem Bildungsminister gesucht, um diese Forderung in einem Gespräch zu erörtern. Ein hoher Beamter im Bildungsministerium habe ihm gegenüber gesagt, dass man nach Lösungen für diese Problematik suche. Wie diese aussehen werden, wisse man noch nicht. Ob die Forderung der Nationalen Elternvertretung Gehör findet, ist ebenfalls noch unklar. Massen spricht jedenfalls von einem Risiko für die öffentliche Gesundheit, wenn viele Abiturienten herumlaufen, die keine Tests machen. Das ganze Jahr haben die Schüler auf dieses Ziel hingearbeitet, umgeben vom Chaos, das durch Covid-19 angerichtet wurde, sagt er. Massen nennt dies eine spezielle Belastung, auch wenn das Examenspensum um 15 Prozent reduziert wurde. Er formuliert das Dilemma, denen die Abiturienten nun ausgesetzt sind, folgendermaßen: „Bist du ein guter Bürger – oder riskierst du, dein Examen in den Sand zu setzen?“
Als die Schnelltests in den Schulen eingeführt wurden, fiel den Organisatoren dieser Tests auf, dass sich unter den Primanern ein viel höherer Prozentsatz an Schülern befand, die sich nicht testen lassen wollten, als auf anderen Klassenstufen, sagt Judith Reicherzer. Diese Beobachtung habe es nicht nur in einzelnen Lyzeen gegeben, sondern sei landesweit aufgefallen, sagt sie. Dennoch würde Reicherzer nicht behaupten, dass es die überwältigende Mehrheit der Abschlussklässler sei, die sich den Tests verschließen. „Es sind nicht alle Schüler, die so denken“, sagt sie. Und man sollte nicht alle in einen Topf werfen und z.B. sagen, die würden alle Partys auf der „Kinnekswiss“ feiern. Das wäre ein falsches Bild von den Schülern. Insbesondere wäre es unfair gegenüber jenen, die sich seit Monaten versuchen zu isolieren, um sich nicht anzustecken.
Ich finde eigentlich, dass es eine Entscheidung ist, die ihnen reifere Erwachsene hätten abnehmen müssen und sagen, es gibt da noch einen Ausweg, lasst euch testen, ihr müsst die anderen schützenMedienpädagogin
„Ich finde, es ist für Primaner ein fast unerträgliches Dilemma“, sagt sie. Landesweit sei das Testen oder Nicht-Testen ein Thema unter den Abiturschülern, sagt sie. Sie habe dies nicht nur in ihrem Lyzeum beobachtet, sondern habe das Gleiche aus anderen Gymnasien berichtet bekommen. Ein anderes Problem sei, dass sich das Thema nun auch in den Familien der Schüler ausbreite. „Immer mehr Geschwister von Abiturienten wollen sich nicht mehr testen lassen“, sagt Reicherzer. Sie befürchten, dass ein positiver Test bei ihnen Auswirkungen auf die Teilnahme am Examen des Bruders oder der Schwester haben könnte, sagt sie. Die Quote der Testverweigerer lag laut Zahlen der letzten Woche bei rund 15 Prozent.
Fehlende Aufklärung durch Verantwortliche
Reicherzer findet es eine wahnsinnig schwierige Entscheidung, die Schüler mit 18 oder 19 Jahren nun treffen müssen. „Ich finde eigentlich, dass es eine Entscheidung ist, die ihnen reifere Erwachsene hätten abnehmen müssen und sagen, es gibt da noch einen Ausweg, lasst euch testen, ihr müsst die anderen schützen.“ Und dann hätte man laut Reicherzer den positiven Schülern irgendwo in Luxemburg zentrale Räumlichkeiten zur Verfügung stellen können, wo sie das Examen unter hohen Sicherheitsmaßnahmen schreiben könnten, wenn diese sich trotz Infektion noch gut genug dazu fühlen. Eine andere Lösung, die Reicherzer vorschlägt und selbst als extrem bezeichnet, wäre jene, allen Primanern einen Impfschutz anzubieten. Letztes Jahr seien es rund 3.500 Abiturienten gewesen. Sie gibt allerdings zu bedenken, dass dies politisch ziemlich schwer umsetzbar wäre.
Natürlich haben wir Angst, unter Quarantäne gestellt zu werden, aber niemand hat seine Verantwortung vergessen. Deshalb passen jetzt alle noch mehr auf sich selber und auf die anderen auf.Abiturientin
Julie Cukier ist Abiturientin und war federführend beim offenen Brief an Claude Meisch, um den Präsenzunterricht diese Woche auszusetzen. Gegenüber dem Tageblatt sagte die Abiturientin: „Natürlich haben wir Angst, unter Quarantäne gestellt zu werden, aber niemand hat seine Verantwortung vergessen. Deshalb passen jetzt alle noch mehr auf sich selber und auf die anderen auf.“
Auch Kimon Leners, ebenfalls Primaner und Präsident der Nationalen Schülerkonferenz CNEL, bestätigt uns, dass ein Teil der Abiturschüler sich nicht testen lassen will, damit sie im Falle eines positiven Tests keine Probleme mit dem Examen bekommen, sagt er. Dies könne er, menschlich gesehen, verstehen, da das Examen ein wichtiger Moment im Leben von Schülern ist, die ja mindestens sieben Jahre darauf hingearbeitet haben. Andererseits ist es seiner Meinung nach aber auch wichtig, dass man solidarisch denkt, also auch an die anderen, und sich dabei überlegt, welche Konsequenzen eine unentdeckte Infektion für die anderen Primaner haben könnte.
Mit einfachen und klaren Informationen hätte man viele Schüler davon überzeugen können, sich testen zu lassenAbiturient und CNEL-Präsident
Kimon Leners sieht das Problem bei der fehlenden Aufklärung durch die Verantwortlichen. „Mit einfachen und klaren Informationen hätte man viele Schüler davon überzeugen können, sich testen zu lassen“, sagt er. Leners bezweifelt, dass viele Schüler genau wissen, wie viele Tage man wann in Quarantäne gehen und ab wann man sich wieder testen lassen muss. „Deshalb ist es auch verständlich, dass ein Teil der Schüler sich nicht traut, das zu tun.“ Viele Primaner haben nun drei Gänge zurückgeschaltet, was ihre Kontakte angeht, sagt er. Diese seien bei vielen auf ein absolutes Minimum reduziert. Er begrüßt ausdrücklich die Möglichkeit, die das Bildungsministerium jenen Schülern eröffnet hat, die lediglich im Kontakt mit einem Positiven waren, dennoch unter zusätzlichen Maßnahmen am Examen teilzunehmen.
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Abiturienten sollten sich bevorzugt impfen lassen duerfen.