/ Die arabische Minderheit in Israel muss sich zwischen Freiheit und Solidarität entscheiden
Auf der ganzen Welt leben mehr als 13 Millionen Palästinenser, davon fast die Hälfte in arabischen Staaten, rund 5 Millionen im Gazastreifen und Westjordanland und 1,5 Millionen in Israel. Obwohl all diese Menschen ihre Nationalität verbindet, kann seit mehr als 70 Jahren nicht von einer gemeinsamen Identität die Rede sein. Ob man in den besetzten Gebieten, in einem Flüchtlingslager oder in Israel zur Welt kommt, verändert die Chancen auf ein Leben in Würde drastisch. Wie lebt man zusammen, wenn sich die Lebensumstände innerhalb von nur einigen Kilometern so drastisch unterscheiden?
In Teil 1 der Serie „Die Identitätskrise der Palästinenser“ geht es um die Lebensumstände der Palästinenser, die im heutigen Israel oder in Ostjerusalem leben.
Zurzeit leben in Israel und Ostjerusalem mehr als 9 Millionen Menschen, wovon 20 % als „arabische Israelis“ bezeichnet werden. Es handelt sich hierbei um Palästinenser, die während der bewaffneten Konflikte nicht geflüchtet oder vertrieben wurden, sondern in ihren Häusern im heutigen Israel geblieben sind. 1952 erhielten die meisten von ihnen die israelische Staatsbürgerschaft und werden seither als arabische Israelis angesehen.
Araber, die im seit 1967 besetzten Ostjerusalem leben, bilden eine eigene Kategorie. Sie sind „Ständige Einwohner“ von Israel und haben ebenfalls die Option, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Allerdings wird die Annexion Ostjerusalems durch Israel weder von Palästina noch von den Vereinten Nationen anerkannt und somit verzichten die meisten palästinensischen Bewohner Jerusalems auf die Möglichkeit, auch zu den arabischen Israelis zu zählen. Sie identifizieren sich trotz der geografischen Trennung eher mit den Palästinensern im Westjordanland und Gaza als mit den Israelis um sie herum.
Besseres Leben oder Verrat am eigenen Volk?
Obwohl sich die Lebensumstände in Israel und Ostjerusalem stark unterscheiden, verbindet die dort lebende arabische Minderheit ein gemeinsames Dilemma. Sie haben das Recht auf die israelische Staatsbürgerschaft und somit die Chance, sich freier bewegen zu können. Sie können ohne vorherige Genehmigung ihre Familie in Palästina besuchen und sogar ins Ausland reisen. Außerdem haben sie das Recht, in Israel, wo die wirtschaftliche Lage um einiges besser ist als im Westjordanland oder in Gaza, Arbeit zu suchen.
Auf den ersten Blick scheinen die Vorteile der israelischen Staatsbürgerschaft zu überwiegen. Allerdings identifizieren sich mehr als die Hälfte der in Israel und Ostjerusalem lebenden Palästinenser nicht als Israelis. Für viele stellt sich die Frage: Soll ich für mehr Freiheit meine palästinensische Identität aufgeben? Die Entscheidung ist nicht leicht. Gerade in diesem Land, wo der gemeinsame Existenzkampf so sehnlichst herbeigewünscht wird, wird das Annehmen einer anderen Nationalität als Verrat oder Normalisierung der israelischen Besetzung angesehen.
Vater wurde in israelischen Gefängnissen täglich geschlagen
Die 21-jährige Rahaf erklärt ihre Beweggründe, die israelische Nationalität anzunehmen: „Mein Vater verbrachte in seiner Jugend einige Jahre in israelischen Gefängnissen. Er wurde fast täglich geschlagen und trägt heute noch die körperlichen und vor allem seelischen Narben mit sich. Anstatt sich jetzt erst recht von allem abzuwenden, was mit Israel zu tun hat, hat er unsere ganze Familie dazu gebracht, die Nationalität anzunehmen.
Auf unser Entsetzen hat er geantwortet, dass sich niemand für ihn eingesetzt hat, als er dort im Gefängnis durch die Hölle ging. Weshalb soll er also nicht die Chance auf etwas mehr Freiheit ergreifen? Er hat mir und meinen Geschwistern seit frühester Kindheit immer wieder gesagt, wir müssen uns um uns selbst kümmern, denn niemand sonst wird das für uns machen.“
Palästinenser – in Israel nur Bürger zweiter Klasse
Es ist jedoch nicht nur dieser innere Zwiespalt, der den Palästinensern Probleme bereitet, sondern auch die israelische Gesetzgebung. Obwohl die arabischen Israelis sowohl von Israelis als auch von anderen Palästinensern als die „besseren“ Palästinenser angesehen werden, beweist das „Nation State Law“ vom 19. Juli 2018, dass selbst ihre Rechte nicht mit denen der jüdischen Israelis gleichgestellt werden. So besagt gleich der erste Satz dieses Grundgesetzes, dass Israel das historische Heimatland der „Juden“ ist. Die Definition des israelischen Staats als jüdischen Staat gibt vielen arabischen Israelis den Eindruck, dass sie Staatsbürger zweiter Klasse sind.
Außerdem wird ebenfalls im ersten Artikel das Recht zur nationalen Selbstbestimmung einzig und allein der jüdischen Bevölkerung vorbehalten. Demnach haben also selbst diejenigen, die sich entschlossen haben, israelische Staatsbürger zu werden, nur ein Recht auf Selbstbestimmung, wenn sie ebenfalls zum Judentum konvertieren.
Mehr Unterstützung für jüdische Kinder
Dieses Grundgesetz ist leider nur eines von vielen diskriminierenden Gesetzen Israels. Allein in den Jahren 2008 und 2009 sind 21 Gesetze in der Knesset verabschiedet worden, welche die arabische Minderheit des Landes diskriminieren. Außerdem wird laut Untersuchungen der hebräischen Universität in jüdische Kinder etwa dreimal so viel Geld investiert wie in arabische. Ebenfalls zeigen Statistiken, dass nur 5% der Angestellten im öffentlichen Dienst Araber sind.
Das Identitätsdilemma liegt auf der Hand: Geben die im heutigen Israel und Ostjerusalem lebenden Palästinenser ihre Nationalität auf, dann können sie sich freier bewegen und haben größere Chancen auf bezahlte Arbeit, allerdings werden sie dennoch nicht als „richtige“ Israelis angesehen und verlieren gleichzeitig ihre palästinensische Identität. Für sie ist es in jedem Fall eine Lose-lose-Situation.
*Michelle Schmit ist 24 Jahre alt und hat letztes Jahr ihren Master in internationalem Recht an der Université Paris-1 Panthéon-Sorbonne abgeschlossen. Derzeit bereist sie verschiedene Länder im Nahen und Mittleren Osten.
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Den Titel stëmmt absolut net zum Artikel (deen et zimlesch op den Punkt bréngt) an reflektiéiert d’Realitéit ganz falsch. Et geet net ëm eng Entscheedung zweschen Fräiheet oder Solidaritéit. Egalwéieng Nationalitéit, wéi eng Pobeieren, d’Palästinenser sinn NET fräi. Sou laang Israel diskriminéiert innerhalb vun den 1948-Grenzen, sou laang Israel besetzt an koloniséiert, sou laang d’palästinensesch Flüchtlingen net zeréck an hiert Land duerfen ass keen een Palästinenser frï. Dat eenzegt wat een mat enger Israelescher Identitéit gewënnt ass wéi am Artikel erklärt e bessen méi Beweegungsfräiheet. Wat net heescht dass een dann net méi solidaresch kann sinn, am Géigendeel gewennt een méi Mëttlen fir den israelesch Apartheid Staat ze bekämpfen.
An läscht Remarque zum Titel, den Begrëff „arabische Minderheit in Israel“ gëtt och vun den Palästinenser ofgelehnt. Et ass en kolonialen Ausdrock fir d’heimesch Bevölkerung ze bezeechnen, d’Palästinenser déi am heutegen Israel liewen. Mir sollten als Europäer, oder wat och emmer, oppassen wéi eng Sprooch mir benotzen, déi vum Oppressor oder déi vun den Ennerdréckten? D’Wierder sinn extrem wichteg…