EU-Parlament / „Die aufregendsten fünf Jahre“: Der Renew-Abgeordnete Charles Goerens zieht Bilanz
In Krisenzeiten würde die EU gut funktionieren, findet der luxemburgische EU-Parlamentarier Charles Goerens rückblickend auf die vergangenen fünf Jahre. Und macht gleichzeitig viele Baustellen in der Union aus.
„Die letzten fünf Jahre waren die aufregendsten, die ich in meiner politischen Karriere mitgemacht habe“, meint Charles Goerens, der im EU-Parlament der liberalen Renew-Fraktion angehört, rückblickend und zählt auf: Da sei die Pandemie gewesen, mit unter anderem ihren Einschnitten in der Handels- und Industriepolitik, Lieferketten seien gestört worden, die Suprematie Chinas sei deutlich geworden und die Verletzlichkeit der europäischen Wirtschaft sei nie so offensichtlich geworden wie in den letzten Jahren. Dazu habe auch der Krieg in der Ukraine beigetragen, der ebenfalls „das Ende einer großen kollektiven Illusion“ bedeute. Während der Pandemie habe sich die EU „mit dem damaligen Wissen gar nicht so schlecht geschlagen, da die Kräfte gebündelt wurden“, findet Goerens. „In Krisenzeiten kann die EU gut funktionieren.“
Mit dem Krieg in der Ukraine sei es mit der seit den 1990er Jahren eingestrichenen Friedensdividende vorbei, bedauert der Liberale. „Nach 2022 müssen wir enorm in unsere Sicherheit investieren, mit ungewissem Ausgang“, meint Goerens, der die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik als eine der „großen Aufgaben“ in den kommenden Jahren ansieht. Nicht nur müssten Synergien in der Rüstungsindustrie gefunden werden. Die Europäer müssten auch „viel Geld für die Ukraine-Hilfe“ aufwenden, insbesondere wenn es im Spätherbst bei den Präsidentschaftswahlen in den USA zu einem Wechsel an der Staatsspitze kommen sollte.
Zu seinen größten Dossiers, die er während der Legislaturperiode bearbeitet hat, zählt Goerens etwa das sogenannte „Neighbourhood, Development and International Cooperation Instrument – Global Europe“. Damit wurden drei außenpolitische Finanzierungsinstrument zu einem zusammengelegt, mit dem die EU in den Jahren 2021 bis 2027 seine finanziellen Hilfen in der Außenpolitik organisiert. Für den beschriebenen Zeitraum sind dafür rund 80 Milliarden Euro vorgesehen. Ein anderer Bericht, mit dem sich der Renew-Abgeordnete befasste, ist die Finanzierung der europäischen politischen Parteien in der EU. Dabei habe er sich unter anderem dafür ausgesprochen, dass die Europa-Parteien sowohl politisch als auch finanziell die Möglichkeit erhalten sollten, sich in nationale Debatten einzumischen, etwa bei einem Referendum. Wobei Goerens auf den Brexit verweist, „bei dem uns vorgeworfen wurde, nicht genügend eingegriffen zu haben“. Ein anderes großes Dossier sei „die Architektur der EU-Entwicklungspolitik“ gewesen, so der liberale EU-Parlamentarier weiter. Dabei ging es unter anderem wiederum um die Finanzierung sowie die Möglichkeit, andere Finanzakteure, wie etwa nationale Entwicklungsbanken oder den Privatsektor in die Finanzierung von Entwicklungszielen, einzubringen.
Konvent für Reform der EU einberufen
Eine „große Enttäuschung“ ist für den EU-Parlamentarier der Umstand, dass die Mitgliedstaaten noch keine Konferenz für eine Vertragsänderung einberufen haben. Zehn Länder wollten in die EU, doch bereits die 27 hätten „ganz gravierende Funktionsschwierigkeiten“, stellt Goerens fest. Das EP habe daher vor sechs Monaten die Einberufung eines Konvents gefordert und vom Rat bisher noch keine Antwort erhalten. „Ich finde das unverantwortlich“, so der Liberale. Zudem plädiert er für ein System der Heranführung der Beitrittskandidaten an die EU in Etappen. Wenn die jeweiligen Bedingungen erfüllt seien könnten erst eine Kooperation im Binnenmarkt, später im Schengen-Raum erfolgen. Erst am Ende stünde eine volle Beteiligung und Vertretung in allen Institutionen der Union.
In wirtschaftlicher Hinsicht „hätte viel gezielter auf eine Re-Industrialisierung“ der EU hingearbeitet werden sollen, auch wenn ein gewisser Anfang gemacht worden sei, findet der Renew-Abgeordnete. Mit dem Binnenmarkt habe die EU „den Weltmarkt mit europäischen Normen durchsetzt“, doch auch das sei in den letzten Jahren ins Stocken geraten. Die EU-Staaten würden den Anschluss an die USA und China verlieren, wo die Steigerung der Kaufkraft in den vergangenen Jahren viel bedeutender gewesen sei als in Europa. Auf der anderen Seite müsse auch mehr für die Armutsbekämpfung getan werden, so Goerens weiter. Allerdings liege das längst nicht allein in der Verantwortung der EU, die ohnehin dazu ein im Vergleich zu den Mitgliedstaaten viel zu kleines Budget habe. Die Sozialpolitik sollte seiner Ansicht nach jedoch ein fester Bestandteil der Diskussionen im Rahmen des Europäischen Semesters werden, wenn dem die wirtschaftliche Entwicklung der EU-Staaten besprochen und bewertet wird, findet Goerens.
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