Venezuela / Die Bolivarische Revolution ist nach 25 Jahren endgültig gescheitert
Mehr als anderthalb Monate, nachdem sich Amtsinhaber Nicolás Maduro zum Wahlsieger der umstrittenen Präsidentschaftswahl erklären gelassen hatte, ist die Zukunft Venezuelas ungewisser denn je. Oppositionskandidat Edmundo González hat das Land verlassen, während der alte und zugleich neue Herrscher mit Zuckerbrot und Peitsche regiert. Zwei in Luxemburg lebende Venezolanerinnen berichten von ihren Erlebnissen.
Es war finster in Caracas. Stockfinster. Rund anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang am Freitag letzter Woche war in Venezuelas Hauptstadt der Strom weg. Nichts ging mehr. Die Regierung sprach von Sabotage. Präsident Nicolás Maduro verurteilte den Blackout als „kriminellen Angriff“ der „faschistischen“ Opposition. Dabei ist die Versorgung des Landes mit Elektrizität wegen jahrelang ausbleibender Wartung der Infrastruktur äußerst anfällig und das Land vor allem von dem Wasserkraftwerk am Guri-Stausee abhängig. Es ist, ähnlich wie seine Versorgung mit Wasser sowie das Gesundheits- und Schulwesen, gelähmt von der grassierenden Korruption und der Misswirtschaft des Maduro-Regimes.
Stattdessen lenken die Machthaber die Verantwortung für alles, was in Venezuela schiefläuft, auf den bei der Präsidentschaftswahl am 28. Juli als Kandidat der Opposition angetretenen früheren Botschafter in Argentinien, Edmundo González Urrutia, und die Oppositionsführerin María Corina Machado von der Plataforma Unitaria Demócrata (PUD).
González hatte wie der sichere Gewinner der Wahl ausgesehen. Doch Maduro ließ sich feiern und den Sieg vom Obersten Gericht bestätigen. Derweil wirft ihm die Opposition Wahlbetrug vor. González ist mittlerweile zusammen mit seiner Frau ins Ausland geflohen, nachdem ein Haftbefehl gegen ihn erwirkt wurde: unter anderem wegen Verbreitung von Falschnachrichten, Anstiftung zum Putsch und Verbindung zu Geldgebern des Terrorismus. Er hält sich zurzeit in Spanien auf und hat dort politisches Asyl beantragt. Er soll mit einem Flugzeug der spanischen Luftwaffe das Land verlassen haben, nachdem er sich tagelang in Spaniens Botschaft in Caracas aufgehalten hatte.
Maduros Wahlbetrug
Ihm geht es wie den nach jüngsten Schätzungen sieben bis acht Millionen Venezolanern, die das Land verlassen haben und vor Gewalt und Armut, vor Inflation und Repression geflohen sind. Die meisten von ihnen – 6,5 Millionen – leben in anderen lateinamerikanischen Staaten und der Karibik, vor allem in Kolumbien. Die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und Brasilien, aber auch weitere Staaten des Subkontinents akzeptieren Maduros Wahlsieg nicht und betrachten González als Sieger. Sie fordern, dass die nationale Wahlbehörde (CNE) die genauen Ergebnisse anerkennt. Derweil behauptet das Regime, die CNE sei das Ziel eines Cyberangriffs geworden und könne die Resultate nicht überprüfen. Diese Entschuldigung akzeptiert die Opposition jedoch nicht. Lateinamerikanische Staatschefs wie Gabriel Boric (Chile) oder Luis Alberto Lacalle Pou (Uruguay) bezeichnen das Urteil des Obersten Gerichts als Betrug. Auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat dessen Unparteilichkeit in Zweifel gezogen.
Maduro will im Januar, bis dahin dauert noch seine jetzige Amtszeit, weiterregieren. Die Repression durch das Regime hat sich verschärft, die Verfolgung von Oppositionellen nahm nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch stark zu. In den vergangenen Wochen sind Oppositionsangaben zufolge fast zweieinhalbtausend Demonstranten verhaftet worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden 27 Menschen getötet und mindestens 190 verletzt, einige davon minderjährig. González sei „um des politischen Friedens willen“ die Ausreise erlaubt worden, teilte Vizepräsidentin Delcy Rodriguez mit. Was nicht selbstverständlich ist, denn die Regierung hatte zuletzt immer wieder Reisepässe von Oppositionellen blockiert, um sie am Verlassen des Landes zu hindern. Derweil ist María Corina Machado untergetaucht.
Was bei den Protesten dieses Jahr auffiel, ist die zunehmende Zahl von Menschen aus den Armenvierteln, den bisherigen Hochburgen Maduros, die auf die Straße gingen. Es sind also ausgerechnet jene Bevölkerungsgruppen, bei denen Maduro und sein Vorgänger Hugo Chávez einst ihre Anhänger fanden. „Selbst seine frühere Stammwählerschaft wendet sich von ihm ab“, weiß Verónica Rincón. Ihren richtigen Namen möchte die in Luxemburg lebende junge Frau nicht in der Zeitung lesen. Denn sie hat erfahren, dass nicht nur Kritik an der Regierung im Land selbst gefährlich ist, sondern dass die Schergen des Regimes die Angehörigen von Exil-Venezolanern aufsuchen, wenn diese im Ausland die Regierung kritisieren. Ein Teil von Verónicas Familie lebt noch in der Heimat.
Das Land ist in einem desolaten Zustand, völlig ruiniertExil-Venezolanerin in Luxemburg
Es komme immer wieder zu willkürlichen Festnahmen, sagt Verónica. Oppositionelle würden beschattet und festgenommen. So untersuchte die Staatssicherheit etwa auch das Haus der Eltern von Orlando Avedaño, eines im Ausland lebenden Journalisten, nachdem dieser sich kritisch geäußert hatte. „Überwachung und Angst haben ein noch nie dagewesenes Niveau erreicht“, bestätigt der Menschenrechtsexperte Rafael Uzcátegui. „Wir alle bewegen uns wie auf rohen Eiern.“ Selbst im Exil sei man nicht sicher. So wurde zum Beispiel der ehemalige Leutnant Ronald Ojeda, der wegen einer angeblichen Verschwörung gegen Maduro 2017 festgenommen worden war und später in Chile Asyl erhielt, dort im Februar von einem Kommando der venezolanischen Mafiaorganisation Tren de Aragua ermordet.
Mit Mangos und Maniok
Um die Übergriffe im Land zu rechtfertigen, erließ die Regierung eine Reihe von Gesetzen. Eines besagt, dass regierungskritische Nichtregierungsorganisationen ihren Rechtsstatus verlieren. Mit dem drakonischen Anti-NGO-Gesetz werden sie kriminalisiert. Es soll die Menschen davon abhalten, sich regierungskritisch zu betätigten. Auch Verónica war politisch aktiv geworden: „Als sich die Situation zuspitzte, ging ich mit auf die Straße, um zu demonstrieren“, sagt sie, „obwohl ich damals schwanger war. Aber die wirtschaftliche Situation hatte sich so sehr verschlechtert. Wir hatten kaum noch etwas zu essen.“ Nun lebt sie mit ihrem achtjährigen Sohn, der noch in Venezuela geboren wurde, in Luxemburg. „Die Situation war für mich traumatisierend“, erinnert sie sich. „Wir ernährten uns praktisch nur noch von Mango-Früchten und Maniokmehl.“
Überall herrscht KorruptionExil-Venezolanerin in Luxemburg
„Das Land ist in einem desolaten Zustand“, sagt Verónica. Selbst ihre Ausreise ist zu einer nervlichen Zerreißprobe geworden: „Allein schon einen Pass zu bekommen, war schwierig. Es dauert oft jahrelang“, weiß sie, „und kostet 200 bis 300 US-Dollar oder sogar mehr.“ An den Gehältern gemessen, die in Venezuela gezahlt werden, ein Vermögen: Der monatliche Durchschnittslohn beträgt etwa 230 US-Dollar. Von der Schwierigkeit einen Pass zu bekommen, kann auch María, die ebenfalls nicht mit ihrem richtigen Namen genannt werden möchte, erzählen. „Überall herrscht Korruption“, sagt sie. María kommt aus Valencia, einer Millionenstadt in Zentralvenezuela: „Ich führte zusammen mit meinen Kommilitonen im Jahr 2017 die Proteste der Juventud Activa Venezuela Unida (JAVU) an“, erklärt sie. „Es kam zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften.“ Ungefähr zu jener Zeit hatte sich die wirtschaftliche Krise zugespitzt. „Selbst meine Eltern, die sich vorher kaum für Politik interessiert hatten, wurden aktiv.“ Über Argentinien floh María mit ihrem Partner und Kind zuerst nach Spanien. Heute lebt sich mit Flüchtlingsstatus in Luxemburg.
„Das Land ist völlig ruiniert“, sagt Verónica. „Alles muss erstmal wieder aufgebaut werden.“ Doch wie? Wenn Maduro und seine Anhänger einmal weg sind? „Vielleicht kann uns dann der Tourismus helfen“, sagt sie. Sie setzt auch darauf, dass viele Exil-Venezolaner dann zurückkehren und investieren. „Es gilt aber auch, den Menschen wieder Mut zu geben. Denn viele sind durch die Repression und die lange Krise erschöpft. Andererseits haben sie sich an den Notstand gewöhnt.“ An Mangos und Maniok, wie sie dazu sagt. Manchmal fühle sie sich schuldig, weil es den Leuten in ihrer Heimat schlecht geht und sie im sicheren Ausland lebt.
Die Zahl der Menschen, die in dem einst reichen Land unter Ernährungsunsicherheit leiden, stieg nach Angaben der United States Agency for International Devolopment (USAID) dieses Jahr auf 3,5 Millionen. Es fehlt an Nahrungsmitteln und Medikamenten. Selbst die von der Regierung ausgegebenen Lebensmittelgutscheine und Nahrungspakete ändern nichts daran. Die Armutsrate Venezuelas beläuft sich momentan auf mehr als 90 Prozent. Unfassbar, aber durch einige unterschiedliche Quellen belegt. Einer Studie der Universidad Católica Andrés Bello (UCAB) von Caracas nach leben drei Viertel der Venezolaner in extremer Armut. Allerdings stammen die Zahlen von 2021 und dürften inzwischen höher liegen. Auf dem Arbeitsmarkt gingen 1,3 Millionen Arbeitsplätze verloren. Auch sank die Bildungsrate um fünf Prozent.
„Wir haben keine Angst“
Vor allem jüngere Leute, die nicht unter Hugo Chávez politisiert wurden, verbinden mit Chavismus und Sozialismus vor allem eine ineffiziente Regierung sowie die Bereicherung einer kleinen Elite. Mittlerweile habe sich auch das Gefühl verbreitet, nichts mehr zu verlieren zu haben, erklärt María. „No tenemos miedo – wir haben keine Angst“, sagt sie. „Diesen Slogan rufend, ziehen die Demonstranten durch die Straßen. „Leute wie María Corina Machado werden bis zum Schluss kämpfen – hasta el final!“ Viele sind weiß gekleidet. Im Gegensatz zu dem seit 2013 herrschenden Maduro, der sich nur mit Betrug durchsetzen konnte, wollen sie damit zeigen, dass sie eine weiße Weste haben. Sie rufen „Maduro Diktator“ und „Nein zum Betrug“.
Die Präsidentschaftswahlen fanden ausgerechnet am 28. Juli statt, dem Geburtstag des 2013 verstorbenen Ex-Präsidenten Hugo Chávez, der 70 Jahre alt geworden wäre. Anders als bei früheren Urnengängen trat das rechte Oppositionsbündnis dieses Mal an, obwohl González eine weitgehend unbekannte politische Größe war. Trotzdem herrschte Aufbruchstimmung. Der Uniprofessorin Corina Yoris hatte der Nationale Wahlrat zuvor ohne Begründung die Einschreibung verweigert. Maduros Regierungsbündnis und die PUD hatten im Herbst vergangenen Jahres ein Abkommen unterzeichnet, das den Weg für eine transparente Wahl ebnen sollte. Das Abkommen kam nicht zuletzt deshalb zustande, weil die USA, die 2017 wirtschaftliche Sanktionen gegen Venezuela verhängt hatten, im Hintergrund mitverhandelten. Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat die US-Regierung wieder ein verstärktes Interesse an venezolanischem Erdöl. Nach dem Abkommen genehmigte sie Caracas zunächst wieder den Handel und Investitionen in Erdöl, Gas sowie den Goldabbau. Dabei hatten die US-Behörden einst ein Kopfgeld von 15 Millionen US-Dollar zur Ergreifung von Maduro ausgeschrieben.
Zum Antrittsverbot für die prominenteste Oppositionspolitikerin Machado, die im Oktober 2023 eine von der Opposition organisierte Vorwahl gewonnen hatte und seither als designierte Kandidatin galt, kam es wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten. Der wahre Grund dürfte jedoch gewesen sein, dass Machado zum rechten Rand der Opposition gehört und sich schon mehrfach für eine US-Militärintervention in Venezuela ausgesprochen hat. Auch das Antrittsverbot des ebenfalls populären Politikers Henrique Capriles wurde vom Obersten Gericht bestätigt. Unterdessen wurden linke Gegenkandidaten erst gar nicht zugelassen. Die Kommunistische Partei (PCV) hat bereits vor Jahren mit Maduro gebrochen. Dieser ließ sie daraufhin infiltrieren und eine regierungsnahe Parteiführung einsetzen. Vor der Wahl verhängten die Behörden mehrfach Sanktionen gegen Hotels oder Restaurants, die Machado im Rahmen ihrer Wahlkampfauftritte unterstützte. Zudem durfte nur ein Bruchteil der Venezolaner, die während der Krise ausgewandert waren, im Ausland wählen. Die Hoffnung, die politische Krise durch Dialog zu entschärfen, hat sich endgültig zerschlagen. Maduros Sicherheitsapparat geht mit brutaler Härte gegen Kritiker vor, die ihm vorwerfen, die Wahl gestohlen zu haben. Die repressive Willkür hat ein Klima der Angst geschaffen. Maduro scheint die Krise aussitzen zu wollen. Um die Stimmung im Volk zu heben, ließ er Weihnachten auf Anfang Oktober vorverlegen.
Eine fast lächerliche Geste, die viel über den gegenwärtigen Zustand des Landes ausdrückt, durch das vor einem Vierteljahrhundert noch ein revolutionärer Wind wehte. Mit dem Wahlsieg von Hugo Chávez im Dezember 1998 wurde eine Welle lateinamerikanischer Linksregierungen in Südamerika eingeleitet. Heute gilt das Land hingegen, angesichts einer autoritär agierenden Regierung und des wirtschaftlichen Niedergangs, als abschreckendes Beispiel eines gescheiterten linken Experiments. Spätestens mit dem Einbruch der Erdölpreise 2014 schlitterte Venezuela in eine tiefe Rezession. Die Krise führte zu einer rapiden Verarmung der Bevölkerung. Während Millionen Venezolaner begannen, das Land, das momentan 28 Millionen Einwohner zählt, zu verlassen, lieferte sich Präsident Maduro einen offenen Machtkampf mit der rechten Opposition, die eine Zeit lang das Parlament dominierte. Letzteres ersetzte er 2017 de facto durch eine ihm wohlgesonnene verfassungsgebende Versammlung. Im Januar 2019 scheiterte der Versuch der Opposition, mit US-Unterstützung den Parlamentsvorsitzenden und damaligen Hoffnungsträger Juan Guaidó als Interimspräsidenten einzusetzen. Der 1983 geborene Politiker war sozusagen der Gegenentwurf zu Hugo Chávez. Bis 2020 der sozialdemokratischen Partei Voluntad Popular angehörend, war der Wirtschaftsingenieur und in bürgerlichem Milieu aufgewachsene Sohn eines Piloten und einer Lehrerin ab 2016 Abgeordneter der Nationalversammlung. Zurzeit soll er in Miami leben.
Hugo Chávez – der linke Caudillo
Hugo Chávez dagegen war schon mit 17 Jahren der Armee beigetreten und hatte die Militärakademie in Caracas besucht. Unter anderem diente er als Fallschirmjäger. Mit seiner politischen Programmatik orientierte er sich zuerst an seinem Vorbild, dem südamerikanischen Befreiungshelden Simón Bolívar (1783-1830). Chávez, der es zum Oberstleutnant brachte und in den 80er Jahren an einem gescheiterten Putsch teilnahm, gewann 1998 die Präsidentschaftswahl mit 56 Prozent der Stimmen und nahm in seine Bolivarische Revolution seit 1999 sozialistische und marxistische Ideen auf. Chávez nutzte den Ölreichtum des Landes und verstaatlichte die Schlüsselindustrien, um seinen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in der Sozialpolitik zu verwirklichen. Seine Politik und sein Führungsstil wurden international kontrovers aufgenommen. Bei linken und globalisierungskritischen Gruppen fand er große Anerkennung, dagegen warfen ihm Kritiker sein autoritäres Vorgehen und seinen Umgang mit Oppositionellen vor. Allerdings war es Chávez gelungen, selbst in der politischen Mitte Erfolge zu erzielen. Sein Gebaren war oft das eines typischen Caudillos, doch seine politische Ausrichtung war links. Sein Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV) erklärte, Kommandant Chávez und das revolutionäre Volk seien identisch.
Chávez hatte es lange Zeit mit einer sehr starken Opposition zu tun, die vor allem die Medien beherrschte, aber zunehmend schwächer wurde, als der 2004 wiedergewählte Präsident seine Position festigen konnte. Er führte in den staatlichen Verwaltungen und an den Unternehmensspitzen Personalwechsel durch und nannte die Oppositionellen „escuálidos“, die Abgemagerten. Ein Amtsenthebungsverfahren, ein Putschversuch, zwei Generalstreiks und ein Referendum – die Opposition unternahm zahlreiche Versuche, den Kommandanten zu stürzen. Im Gegenzug nannte Chávez Oppositionelle wie Henrique Capriles „Spielkarte des US-Imperiums“, schlichtweg „Faschist“ und ein „Nichts“. Debatten im Fernsehen verweigerte er sich. Er legte mit dem Plan Bolívar 2000 ein Programm zur Verteilung von Lebensmitteln auf, ließ kubanische Ärzte ins Land kommen, ermöglichte die Alphabetisierung sogar von Erwachsenen, förderte den Bau von Universitäten und die Vergabe von Stipendien sowie den Aufbau eines Netzes von Supermärkten für verbilligte Grundnahrungsmittel. Seine „Misiones“ mit Budgets bis zu zwei Milliarden Euro stellten die größten Sozialprogramme der Region dar. Allerdings waren sie auch klassische Klientelpolitik, nur hatte sich diese von der Mittelschicht auf die Unterschicht verlagert, wie die Neue Zürcher Zeitung 2013 schrieb.
Die Diversifizierung der Wirtschaft weg von der Ausrichtung am Erdöl, gelang Chávez jedoch nicht. Die Regierung förderte die Gründung von Kooperativen, diese waren jedoch auf staatliche Abnehmer angewiesen. Außerdem sollte der Tauschhandel gefördert werden. Kritiker meinten, dies sei bereits durch die Hyperinflation Wirklichkeit geworden. In der Tat war es Chávez gelungen, die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums von 2002 bis 2009 zu senken, allerdings hieß es in Kommentaren nicht selten, dass nun alle gleich arm seien. Allgemein kann bei Chávez von zwischenzeitlichen Erfolgen in der Sozialpolitik, aber einem Versagen in der Wirtschaftspolitik gesprochen werden.
Von seinen Anhängern in einem wahren Personenkult gefeiert, von seinen Gegnern nicht minder heftig abgelehnt, war Chávez stark polarisierend und eine der wichtigsten politischen Persönlichkeiten zu Beginn des Jahrtausends. Seine Bolivarische Revolution überlebte den am 5. März 2013 im Alter von nur 58 Jahren an Krebs verstorbenen Staatschef nicht lange. Sein Vizepräsident Nicolás Maduro, ein weitgehend farbloser Technokrat, übernahm sein Amt. Gut elf Jahre später ist Venezuela ruiniert, die Bolivarische Revolution tot.
Hugo Chávez’ großem Vorbild Simón Bolívar hat der große kolumbianische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez im Jahr 1989 seinen Roman „Der General in seinem Labyrinth“ gewidmet. Darin ist der südamerikanische Befreiungsheld auf dem Weg ins Exil nach Europa. Er kommt aber nicht dort an. „Ich bin nicht mehr ich“, gesteht sich Bolívar ein. Der Arzt diagnostiziert bei ihm Malaria. Bolívar verfügt noch, dass seine sterblichen Überreste nach Venezuela überführt werden. Er stirbt am 17. Dezember 1830. Aus „Bolívars Traum“, wie der deutsche Journalist Sebastian Schoepp in seinem Lateinamerika-Buch „Das Ende der Einsamkeit“ das Erbe des Unabhängigkeitskämpfers nannte, ist der Albtraum des Generals geworden.
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