Retro 2020 / Die Chamber im Corona-Jahr: Verantwortungsträger oder zahnloser Tiger?
Das Corona-Jahr 2020 war ein Härtetest für die demokratischen Institutionen Luxemburgs und insbesondere das Luxemburger Parlament.
Premierminister Xavier Bettel (DP) ruft am 18. März den Notstand in Luxemburg aus, das Parlament stimmt einstimmig der Verlängerung des Notstands am 21. März um drei Monate zu. Luxemburgs legislative Kammer hat erkannt, dass die Regierung in der außergewöhnlichen Situation Entscheidungen treffen muss, die das Parlament so schnell nicht gutheißen kann, so der damalige Berichterstatter des Gesetzesprojekts, Mars Di Bartolomeo (LSAP). Dem stimmten die Abgeordneten unisono zu.
Das Parlament habe Verantwortung übernommen, hieß es damals. Eine Motion, die einen permanenten Austausch zwischen Exekutive und Legislative gewährleisten sollte, wurde ebenso einstimmig angenommen. Diese Einigkeit war mit dem Ende des ersten Lockdowns vorbei. Im Juni wurde das Gesetz, das fortan als Basis für die sanitären Maßnahmen diente, nur von den Mehrheitsparteien getragen. CSV und ADR stimmten dagegen, „déi Lénk“ und die Piraten enthielten sich bei der Abstimmung.
An Heiligabend steht die Wahl des neuen Covid-Gesetzes an. Für einen großen Aufschrei sorgte Artikel 16, der einstimmig im zuständigen Parlamentsausschuss gestrichen wurde. „Der Ausschuss hat seine Arbeit getan“, schlussfolgerte Mars Di Bartolomeo. Der „Denunziantenartikel“ sorgte für so viel Aufmerksamkeit, dass eine viel wesentlichere Kritik des Staatsrates schon fast als Nebensächlichkeit abgetan wurde: In rekordverdächtiger Zeit musste die hohe Körperschaft über die neuen Gesetzesartikel beraten. Das Urteil: zu hoher Zeitdruck, viele Inkohärenzen – aber keine „Opposition formelle“. Das muss jedoch eher als Einsicht für die Notwendigkeit neuer Maßnahmen angesehen werden und weniger als Einverständniserklärung an die Qualität des Textes, der schlussendlich gestimmt wurde. Der Gesetzestext wird letzten Endes mit einer breiten Mehrheit angenommen.
Kontrollfunktion
Ist das Parlament also vom Verantwortungsträger zum zahnlosen Tiger geworden? Spulen wir etwas zurück zum 28. Oktober. Die Regierung will aufgrund der sich zuspitzenden Infektionslage in Luxemburg neue Corona-Maßnahmen bestimmen. Drei Gesetze sollen an jenem Mittwochnachmittag im Parlament gestimmt werden. Das Problem? Zu Beginn der Sitzung liegen die Berichte zu zwei der drei Gesetzestexte noch immer nicht vor.
Die Oppositionsparteien machten zu Recht auf ebenjenen Umstand aufmerksam. Es bedurfte jedoch des LSAP-Fraktionsvorsitzenden Georges Engel, der die Mehrheitsparteien darauf hinwies, dass es nicht gut sei, ein Gesetz zu stimmen, das eventuell noch Fehler enthalten könne, um einen Meinungsumschwung bei den Koalitionsparteien zu bewirken. Dass daraufhin Diskussionen aufbrandeten und einige Abgeordnete den angesetzten Zeitplan mit einer Verschiebung der Abstimmung auf den späten Nachmittag oder Abend dennoch einzuhalten versuchten, spricht Bände. Dass die Intervention eines Abgeordneten in einer solchen Situation nicht mehr als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird, lässt noch viel tiefer blicken.
Die vielleicht wichtigste Funktion eines jeden Parlamentes ist die Kontrollfunktion – und nicht um jeden Preis die angekündigten Pläne der Regierung durchzuwinken. Wenn ein Gesetz eine Stunde vor Sitzungsbeginn erst fertiggestellt wurde, können die Abgeordneten es unmöglich im Detail gelesen und untersucht haben. Wenn der Staatsrat unter zu hohem Zeitdruck arbeiten muss und auf zahlreiche Mängel hinweist, kann der Gesetzestext keine stabile legale Basis bilden. Dass er der Auffassung einiger Abgeordneter zufolge dennoch gestimmt werden soll, ist bestenfalls fragwürdig. Gerade in Krisenzeiten ist es nämlich unabdinglich, dass das Parlament seine Kontrollfunktion ernst nimmt und die Abgeordneten sich der Macht und Tragweite ihrer Stimme bewusst sind, damit sie im legislativen Prozess nicht zur numerischen Randnotiz verkommen. Ans Jahr 2020 wird man sich da eher mit gemischten Gefühlen zurückerinnern.
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