Virologe Claude Muller / „Die Diskussion wird meiner Meinung nach derzeit nicht richtig geführt“
Claude Muller ist Virologe am Luxembourg Institute of Health (LIH). Er fordert eine flexiblere Impfstrategie, die dort schneller Schutz bieten könnte, wo er am dringendsten benötigt wird. Dazu gehört auch: direktes Impfen im Umfeld jener Menschen, bei denen Infektionen auftreten. „Diese Diskussion wird meiner Meinung nach derzeit nicht richtig geführt“, sagt der Wissenschaftler.
Tageblatt: Thema B.1.1.7 – die Regierung sagt, die Ergebnisse der Sequenzierungen des „Laboratoire national de santé“ (LNS) zu extrapolieren, sei falsch. Sind Sie derselben Meinung?
Claude Muller: Extrapolieren oder nicht – das ist ja völlig irrelevant. Es wird mehr, und das ist auch nicht verwunderlich. Viren, die fitter sind, breiten sich natürlich besser aus. Das ist normal, man muss sich daran gewöhnen.
Was sollen wir also tun?
Die entscheidende Frage ist, wie die Impfungen wirken. Und da scheint es im Augenblick noch so zu sein, dass die britische Variante empfindlich auf die Impfmittel von Moderna und Biontech reagiert. Weniger gut schützen diese Impfstoffe gegen die südafrikanische Variante. Und bei der brasilianischen Variante ist die Datenlage noch weniger klar, aber einiges weist darauf hin, dass der Schutz noch schlechter ist.
Wie wird dieser „Schutzfaktor“ festgestellt?
Unter anderem mit sogenannten „Neutralisationstests“. Dabei wird Serum von Geimpften mit dem Virus in einer Zellkultur zusammengebracht. Und wenn das Virus von dem Serum neutralisiert wird, dann infiziert es die Zellen in der Kultur nicht mehr. Diese „Antikörperneutralisation“ kann man relativ gut testen und es gibt für die meisten Viren eine gute Korrelation zum tatsächlichen Schutz. Ab einer bestimmten Neutralisationsstufe kann man von einem Schutz ausgehen.
Aber es gibt noch einen anderen Faktor?
Ja, der andere Teil der Immunität besteht aus T-Zellen, die sogenannte „zelluläre Immunantwort“. Diese ist viel schwieriger zu messen und das macht’s kompliziert. Wenn die Neutralisation durch Antikörper schlecht ist, bedeutet das nicht unbedingt, dass auch die T-Zell-Immunität schlecht ist.
Wie wirkt der Impfstoff auf die neuen Varianten?
Der Impfstoff ist sehr robust und schützt wirklich gut gegen die übliche Variante. Es kann sein, dass die Immunität gegen eine andere Variante weniger robust ist – aber trotzdem eine gewisse Kreuzprotektion da ist. Das könnte bedeuten, dass man vielleicht nicht eine Infektion verhindert, aber vielleicht schwere Verläufe oder schwere Komplikationen. Der Impfstoff wirkt, aber er wirkt weniger gut.
Wieso hat Südafrika dann mit dem Impfen aufgehört?
Das ergibt keinen Sinn. Südafrika hat eine Million Impfdosen von AstraZeneca. Es kann durchaus sein, dass dieser Impfstoff weniger schützt, aber vielleicht schützt er trotzdem gegen schwere Komplikationen. Und außerdem: Was ist denn die Alternative? Will die südafrikanische Regierung den Impfstoff jetzt gegen einen anderen umtauschen, der näher an der Variante ist? Das ist Quatsch – dann nimmt eine andere Variante wieder überhand.
Werden wir all dieser Varianten denn überhaupt irgendwann Herr werden?
Es gibt Varianten und es wird sie immer geben, auch wenn wir ziemlich durchgeimpft sind und an anderen Stellen das Virus weiter zirkuliert. Und das wird mit Sicherheit der Fall sein. Dann entstehen auch neue Varianten. Und wir müssen uns darauf einstellen, dass Varianten entstehen, gegen die die jetzige Impfung nicht hilft.
Deshalb wird es früher oder später ein globales Netzwerk geben, mit dem diese Varianten flächendeckend überwacht werden. Und wenn dann irgendwo eine neue auftaucht, muss man diese im Auge behalten. Man muss dort dann maximal intervenieren und versuchen, sie dort auszurotten.
Was ist denn, wenn sich neue Varianten nicht am Entstehungsort eindämmen lassen?
Wir werden sicher früher oder später einen „Impfcocktail“ verwenden, eine Mischung von mRNAs, die den Spike-Proteinen verschiedener Varianten entsprechen. Wenn es eine neue Variante gibt, dann werden die Impfstoffe aktualisiert und der Cocktail um die neue Variante erweitert.
Reichen die derzeitigen Maßnahmen in Luxemburg aus?
Das ist schwer zu sagen. Mein Credo ist, dass wir mit der Impfung möglichst schnell dort vorankommen, wo die Vulnerablen sind – und zwar die gefährdeten Vulnerablen, also in Altersheimen, Pflegeheimen, Behindertenheimen, und auch das Krankenhauspersonal.
Aber genau das wird doch gemacht. Was sollte denn geändert werden?
Zuerst sollte immer dort, wo ein Outbreak ist, geimpft werden. Einrichtungen, in denen mindestens ein Fall auftritt, müssen meiner Meinung nach prioritär und sofort durchgeimpft werden. Und wenn wir das hinkriegen, dann werden wir die Zahlen derjenigen, die sterben oder auf der Intensivstation liegen, schon mal halbieren. Denn: Die Bewohner von Altersheimen machen die Hälfte der Sterbefälle aus. Sobald in einem Altersheim ein Fall auftritt, hat dieses Haus absolute Priorität bei der Impfung.
Und dann alle anderen Hochbetagten. So, wie es ja auch geplant ist. Aber auch hier gilt: Man muss prioritär die impfen, die in Kontakt waren oder in einem Haushalt leben, in dem ein Fall aufgetreten ist. Diese Diskussion wird meiner Meinung nach derzeit nicht richtig geführt.
Weil wir nicht genug Impfmittel haben?
Nein. Es ist bekannt, dass 14 Tage nach der ersten Dosis bereits ein erheblicher Schutz gegen auch leichte Symptome besteht. Wenn am 14. Tag ein Schutz gegen leichte Symptome vorhanden ist, kann man davon ausgehen, dass schon vorher ein Schutz gegen schwere Symptome da ist. Dann ist man im Bereich von einer Woche, in dem Sie schon einen teilweisen Impfschutz – zumindest gegen schwere Infektionen – erwarten können.
Warum wird das nicht so gemacht?
Das hat die Gesundheitsministerin am vergangenen Dienstag in der Chamber beantwortet. Sie meinte, dass der Impfschutz erst nach Wochen eintritt, sogar erst nach der zweiten Impfung. Damit wehrt sie sich gegen eine flexiblere Impfstrategie, die ohne jedes Risiko ist.
Der Hersteller gibt den frühesten Zeitpunkt an, an dem bereits ein möglichst hoher Schutz vorhanden ist: Eine Woche nach der zweiten Dosis gibt es einen Schutz von 95 Prozent. Würde er sagen: „Wir haben schon zwei Wochen nach der ersten Dosis einen Schutz“ – dann müsste er einen niedrigeren Wert angeben, und die Leute wären, wenn auch zu Unrecht, verunsichert.
Aus Sicht der öffentlichen Gesundheitsfürsorge sieht es aber ganz anders aus. Wenn schon mit einer schnellen ersten Impfung Menschen frühzeitig gegen schwere Komplikationen geschützt werden können – dann wäre sowohl aus individueller Sicht (Schutz vor Komplikationen) als auch aus Sicht der Belegung von Intensivbetten sehr viel erreicht.
Aber das ist eben nicht, was auf dem Beipackzettel steht – Juristen lesen den Beipackzettel und legen die Impfstrategie danach fest.
Die Alten sind am meisten gefährdet. Aber gibt es für Jüngere auch Gefahren?
Ja, auch hier sind theoretisch schwere Verläufe möglich. Aber man muss bei den beschränkten Impfmittelmengen eben denen mit der höchsten Gefährdungsstufe den Vortritt lassen. Die Hochbetagten machen die Hälfte der Todesfälle aus und ihre Mortalität liegt bei 20 Prozent.
Derzeit sind die Infektionszahlen bei den Jungen am Steigen. Das ist dieselbe Situation, wie wir sie im Oktober hatten. Damals sind die Infektionszahlen auch erst bei den Jungen gestiegen – und dann kamen auch die Alten dran. Die Altersheime werden hoffentlich innerhalb der nächsten zwei Wochen durchgeimpft sein, sodass die Bewohner geschützt sind. Das wird schon einen Riesenunterschied für die Krankenhausbelastung ausmachen.
Es wird so getan, als wäre diese Impfung ein großer chirurgischer Eingriff – aber so etwas kann auch schneller gehenVirologe
Müssen wir mit den gesellschaftlichen Restriktionen weitermachen, bis alle geimpft sind?
Nein, wir müssen mehr und mehr auf die Statistik der Intensivstationen schauen. Wenn Sie sehen, dass da weniger Patienten ankommen, dann darf man auch mehr Fälle zulassen.
Wie wird die Situation in zwei Wochen aussehen?
Ich kann natürlich auch nur raten. Aber im Augenblick scheint es nach oben zu gehen, zunächst mal unter den jungen Menschen. Wenn man die Impfstrategie auf die Älteren ausgerichtet hat, dann wird man vielleicht viele Fälle haben – aber die hohe Beanspruchung des Gesundheitssystems wird ausbleiben.
Aber das ist das Problem: Wir kommen nicht voran mit den Impfungen. Es wird so getan, als wäre diese Impfung ein großer chirurgischer Eingriff – aber so etwas kann auch schneller gehen.
Woran liegt das?
Wir haben zu viele Juristen, die mitreden. Wir könnten das schneller machen, indem wir flexibler mit der zweiten Dosis umgehen. Das wäre ein geringer Preis für den besseren Schutz von Menschen in vom Virus infizierten Altersheimen, aber auch darüber hinaus. Bevor jemand in Isolation oder Quarantäne geschickt wird, sollte er die erste Impfdosis bekommen. Dieses Vorgehen sollte mindestens für den Personenkreis gelten, der gerade prioritär durchgeimpft wird. Eine solche „interventionelle“ Impfung könnte die Kurve sehr schnell abflachen, lange bevor ein Hauch von Herdenimmunität erreicht ist. Aber das wurde ja abgelehnt.
Werden wir das Virus irgendwann los sein?
Das glaube ich nicht. Bald jedenfalls nicht. Das wird sehr schwierig.
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Blick nach China.Da werden die Hauptspreader zuerst geimpft und nicht Menschen in meiner Altersklasse,die sowieso zuhause bleiben und sich gut schützen können,respektiv nicht so ausgesetzt sind. Und wenn die Spreader geimpft sind wird meiner einer ja automatisch mitgeschützt weil die Kette unterbrochen ist.Ohne Wirt kein Virus. Wir können das „Ding“ wahrscheinlich nicht vernichten,aber kontrollieren.
Palissaden Wahrheit , oder ?
Wenn man der Meinung ist dem Virus durch Impfen nicht sobald los zu werden, warum dann diesbezügliche Diskussionen nicht richtig führen und lang und breit in der Presse darüber schwadronnieren ?
Bei einer Grippeimpfung liegt die Wirksamkeit unter 80%. Bei älteren Menschen bis zu 65%. Heisst auch mit nur einer Dosis wird uU ein bessere Wirksamkeit als bei der saisonalen Grippeimpfung und ein Schutz vor schweren Verläufen erzielt. Der Vorschlag einer pragmatischen Impfstrategie, die auf Maximierung der Geimpften macht dann wohl Sinn. Allerdings scheint da momentan ein bürokratischer Ansatz zur Maximierung der Wirksamkeit zu herrschen.
Hier geht es nicht darum, wie eine Diskussion geführt werden soll, sondern hier muss gehandelt werden, schnell und wirksam.
wei een esou heiert sollen bei geimpften Persounen Beschränkungen dann obgehuewen gin .
trotz Impfung kann een de Virus awer weider gin , esou wei ech verstinn .
an sollt ech de Virus schon gehaat hun , sinn ech jo vum mir aus schon immun dogeint.
also brauch ech nett nach erem eng extra Impfung.
keng Beschränkungen mei ab Herbst vir geimpften Persounen .
daat as mengen Aaen Erpressung !
an een wou aus Gesondheetlechen Grönn nett geimpft därfen gin ,
sollen dann de Recht vum Liewen doheem bleiwen, an keen Kontakt mei zu Gesellschaft hun .
oder waat maachen ma matt deenen .
Stirchen ma dei an Reservater als Menschen 3er classe .