/ „Die ehrlichste Sprache der Welt“: Das Gebärdensprachenkafé verbindet Hörende und Nicht-Hörende
Vor dem Escher Kafé ist es am Freitagabend ganz still – und doch reden alle durcheinander. Rund 50 Menschen gestikulieren, verziehen ausdrucksstarke Mienen oder schauen sich fragend an. Zum „Gebärdensprache Kafé“ treffen sich alle zwei Monate Nicht-Hörende und Hörgeschädigte, aber auch Menschen, die sich für die wortlose Kommunikation interessieren.
Für Maria Elena Giovannini ist die Gebärdensprache die ehrlichste aller Sprachen. „Sie erlaubt keine Lügen“, sagt sie. Giovannini kann hören. Trotzdem ist sie von der Sprache mit den Händen fasziniert, seit sie ein kleines Mädchen ist. „An manchen Tagen war reden für mich zu schmerzhaft. Dann habe ich mir gewünscht, nicht hören zu können und stumm zu sein“, sagt sie. Das Gebärdensprachenkafé besucht sie zum ersten Mal. Demnächst möchte sie Gebärdensprachkurse in der Hauptstadt besuchen.
Warum es so lange gedauert hat, bis sie diesen Entschluss gefasst hat? „Ich schreibe viel und liebe es, zu lesen. Ich habe mich immer in das geschriebene Wort geflüchtet.“
Inzwischen organisiert sie Philosophie-Workshops für Kinder und beschäftigt sich dabei viel mit Inklusion. Den Gedanken, dass jemand nicht mitreden kann, nur weil ihm die Mittel dazu fehlen, kann sie nicht ertragen.
Happy Birthday in Gebärden
Während Giovannini über ihre Motivation spricht, ins Escher Gebärdensprachenkafé zu kommen, beginnt Nicole Sibenaler neben ihr ganz aufgeregt zu winken. Eifrig versucht sie allen klarzumachen, dass Pia, die gerade angekommen ist, Geburtstag hat. Auf einmal tun es ihr alle nach und winken ihren Nachbarn zu, um Bescheid zu geben. Als einer nach dem anderen begreift, worum es geht, beginnen alle für Pia zu „singen“. Happy Birthday, nur lautlos. Wie ein kleiner Tanz sieht das Geburtstagslied in Gebärde aus – und Pia grinst bis über beide Ohren.
Unsere Autorin versucht sich auch mal – mit dem Geburtstagslied
Die Idee, einen Ort zu schaffen, an dem Hörende und Nicht-Hörende aufeinandertreffen, stammt von Sonia Dos Santos, der Besitzerin des Escher Kafé. Als die 28-Jährige vor vier Jahren nach Burkina Faso in Westafrika reist, entdeckt sie ihre Begeisterung für die Gebärdensprache. „Dort ist es völlig normal, dass die Kinder in der Schule beide Sprachen lernen“, sagt sie. Dos Santos blickt auf eine Reihe Erfahrungen in der Gastronomie zurück. Dort wurde sie schon häufig mit Situationen konfrontiert, in denen sie mit Hörgeschädigten kommunizieren wollte, es jedoch nicht konnte. In ihrem eigenen Lokal will sie das ändern. Deshalb besucht sie seit zwei Jahren Gebärdensprachkurse – anfangs in der Hauptstadt, seit einem Jahr in Esch, wo diese nun auch angeboten werden.
Das Gebärdensprachenkafé ist seit der ersten Ausgabe im Juli 2018 zum Selbstläufer geworden. Entstanden ist es in enger Zusammenarbeit mit der „Hörgeschädigten-Beratung“. Das Feedback war von Anfang an sehr positiv. Waren beim ersten Mal nur Nicht-Hörende und Hörgeschädigte dort, sind es inzwischen immer mehr Hörende, die sich für die stille Welt jener interessieren, die sonst häufig von der Gesellschaft ausgeschlossen sind.
EXTRA
Das nächste Gebärdensprachencafé findet am 15. November statt. Je nach Quelle soll es weltweit bis zu 200 Gebärdensprachen geben. In Luxemburg wird seit vergangenem Jahr die Deutsche Gebärdensprache als offizielle Sprache anerkannt.
Zum Welttag der Gebärdensprache am 23. September erscheint im Tageblatt ein Artikel, der sich im Detail mit diesem Thema befasst.
Nicole Sibenaler und Jaqueline Winandi haben vor knapp zehn Jahren die erste Gebärdensprachschule in Luxemburg eröffnet. Sie besuchen das Event im Escher Kafé seit seinen Anfängen regelmäßig. Dass solche Treffen enorm wichtig seien, erklärt Nicole Sibenaler im Gespräch mit dem Tageblatt. Sie legt eine Hand auf die andere und sagt uns, den Kontakt aufzubauen und sich auszutauschen sei enorm wichtig. Nur so könne Barrierefreiheit geschaffen werden.
Als Nicole Sibenaler sieht, wie angestrengt und konzentriert, teilweise sogar überfordert die hörenden Gäste des Gebärdensprachenkafés um sich schauen, muss sie schmunzeln. „Verkehrte Welt“, sagt sie und kreist ihre beiden Zeigefinger umeinander. Normalerweise sind es die Nicht-Hörenden, die überfordert sind und niemanden um sich herum verstehen können. Bei den Treffen im Escher Kafé sind sie aber klar im Vorteil. Sie müssten mehr trinken, dann fielen die Gebärden leichter, kommuniziert Jacqueline Winandy einer Gruppe Hörender und zeigt lachend auf ein Glas Bier.
Ab einer bestimmten Zeit spreche im Café doch eh jeder in Gebärden, antwortet jemand aus der Gruppe.
Die Stimmung ist ausgelassen und obwohl es zugegebenermaßen anstrengend ist, Interviews zu führen und nicht gleichzeitig mitschreiben, geschweige denn aufnehmen zu können, bleibt am Ende ein warmes Gefühl – und eine neue Fertigkeit: Happy Birthday in Gebärde zu „singen“.
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FR: Bonjour !! Je n’arrive pas à écrire cette journaliste-ci. C’est dommage. – DE: Hallo !! Ich kann diesen Reporter nicht schreiben. Es ist eine Schande.