/ Das einzigartige Felsenschloss – Die Heringerburg bei Waldbillig
In der Gemeinde Waldbillig gibt es eine Burg, die in der Form in Luxemburg einzigartig ist: die Heringerburg. Ihre Überreste befinden sich nämlich auf einem Felsvorsprung.
„Et huet sech näischt geännert hei“ – John Zimmer, Luxemburger Burgen-Spezialist, kann es kaum fassen. Vor 23 Jahren war der 77-Jährige das letzte Mal in der Heringerburg, die sich auf einem Felsvorsprung im Ausläufer des Müllerthals befindet. „Von ihrem Ursprung aber ist wenig bekannt. Heute sind dort, wo sich einst diese Felsburg befand, nur noch Ruinen zu finden.“ Um die Forschung über seine Lieblingsburg ist es schlecht bestellt. „Es gibt keinerlei Ausgrabungen. Das ist jammerschade, denn eine solche Felsburg ist eine Ausnahme für Luxemburg.“
Und nun sind wir auf dem Weg zu dieser Burg, oder besser gesagt zu dem, was noch von ihr übrig ist. Sie befindet sich in der Gemeinde Waldbillig. In den 80er Jahren gelangte der Ort wegen der sogenannten „Waldbilliger Bande“, die eine Reihe von Banken ausraubte und sich auch für den Mord an dem jungen Polizisten Patrice Conrardy verantwortlich zeichnete, zu schauriger Berühmtheit. Doch zurück zur Gegenwart. Da wir den Weg zur Burg nicht auf Anhieb finden, fragen wir in Waldbillig ein paar Anrainer. Eine alte Burg? Hier in der Gegend? Schulterzucken. Nie etwas von einer Burg gehört. Erst John Zimmer, ein älterer Mann, der gerade mit seinem Auto samt Anhänger vorbeikommt, weiß Bescheid und lotst uns dahin.
Urkunden aus dem 16. und 17. Jahrhundert
Vor ein paar Minuten haben wir den Wagen an einer Waldlichtung abgestellt, direkt bei einem Hochspannungsmast. Der Fahrbahn, die dorthin führt, ist derart holprig, dass der Unterboden des Autos ein paar Mal aufsetzt und nur im Schritttempo zurückgelegt werden kann. Und nun sind wir beide auf einem Waldweg in Richtung Süden unterwegs. Bis zur Burg sind es 1,5-2 Kilometer, schätzt John Zimmer. Der Fußmarsch dorthin wird ein echter Anschauungsunterricht in Sachen Burgen sein. Was auffällt, ist, dass kein einziges Schild darauf hinweist, dass hier eine sehenswerte Burgruine aus dem 11. Jahrhundert steht.
Zimmer ist es gewohnt, den Finger in die Wunde zu legen. „E bloe Politiker huet emol gesot, mir kenne jo eis Geschicht, duerfir brauche mir näischt doranner z’investéieren“, meint er. Mag sein, dass wir sie kennen, aber warum zeigen wir sie dann nicht? Zu schämen brauchen wir uns nämlich nicht. Und schon gar nicht, wenn es um unsere Burgen und Schlösser geht.
Die Heringerburg gehört zu den wenigen Luxemburger Burgstellen, zu der die ältere sowie jüngere Geschichtsforschung keine befriedigenden Auskünfte gibt. Ein in der älteren Literatur angeführter Vorschlag über den Ursprung der Herrschaft Heringen ist der aus dem Jahr 1276 urkundlich erwähnte „Arnold, Herr von Heynersparc“. Doch diese Erwähnung konnte bis heute nicht eindeutig zugeordnet werden. In einer neuzeitlichen Karte ist eine Herrschaft Heringen eingezeichnet. Des Weiteren wird in den jüngeren Chroniken sowie Urkunden aus dem 16. und 17. Jahrhundert der Besitz Heringen im Zusammenhang mit den Herrschaften von Befort und Fels genannt. Nachlesen kann man das alles in „Les Châteaux historiques du Luxembourg“ von Jemmy Koltz, der wie Zimmer Großes auf dem Gebiet der Burgenforschung hierzulande geleistet hat.
Nur ein paar Überreste
Im Jahr 1995 wurden im Verlauf einer Vermessungsmission lediglich die spärlichen Mauerreste zusammen mit den gesamten Felsbearbeitungen des oberen Felsspornes in einer wissenschaftlichen Bauaufnahme dokumentiert. Gleichzeitig wurde der langgezogene Felsrücken, an dessen äußerster Spornlage sich die Burgstelle befindet, in einem genauen topografischen Plan festgehalten. „Viel mehr gibt es nicht“, sagt Zimmer, „wäre da nicht dieser Stich, der sich im Besitz der Familie Linckels aus Befort befindet, der genau aufzeigt, wie die Heringerburg einst aussah. Der Stich hat es erlaubt, einen Rekonstruktionsvorschlag des mittelalterlichen Turms und der Felsenburg zu entwerfen.“ Für den vorgeschlagenen Dachabschluss in Form eines hölzernen Obergadens gibt es allerdings keinen stichhaltigen Beweis. Er begründet ausschließlich auf den Vergleich von gut dokumentierten Beispielen aus der Schweiz. Dort bei den Eidgenossen ist diese Form von Burg häufig. Hierzulande gibt es von dieser Art nur eine. Und deshalb ist sie so besonders und einzigartig.
Nach gut einer halben Stunde Fußmarsch wird es zusehends spannend. Urplötzlich weist ein Holzschild darauf hin, dass es nur noch 50 Meter bis zur Burg sind. Dann säumen dicke Felsbrocken den Weg. Felsbrocken? Nein, es sind Steine, die viereckige Verarbeitungsspuren aufweisen. Das ist nicht von Natur aus so entstanden, erklärt Zimmer. „Et huet sech näischt geännert hei“, entfährt es John Zimmer dann kurze Zeit später, als wir da sind. Zimmer deutet mit dem Arm auf den Eingangsbereich, der mit einer Eisenpforte ausgestattet ist. Die Stufen sind etwas glitschig. Zimmer weiß nicht so recht, ob er hochsteigen soll. Dann überwindet er sich und steht kurze Augenblicke dort, wo sich einst der Aufenthaltsraum der Burgbewohner befand. Wir befinden uns erst im Untergeschoss. Deutlich zu erkennen sind die Überreste eines Fensters sowie die Überbleibsel einer Treppe, die ins nächste Geschoss führte. „Das ist alles ganz speziell hier. Das muss alles noch untersucht werden. Das ist einzigartig. Verstehen Sie jetzt, warum diese Burg hier auf mich eine solche Faszination ausübt?“ Klar wird, warum die Burg gerade hier steht. Rechts und links von ihr geht es steil etwa 100 Meter den Abhang hinunter. Und die Sicht, die man von hier hat, ist unglaublich. Herannahende Feinde hätte man mit dem bloßen Auge ausfindig machen können.
Als wir den Rückweg einschlagen wollen, stehen plötzlich drei Touristen samt Vierbeiner aus dem flämischsprachigen Teil Belgiens. Weil es keine Tafel mit Erklärungen gibt, übernimmt John Zimmer diese Aufgabe – auf Englisch. Alle hören andächtig zu, was Zimmer über jene Burg, die keine Lobby hat, zu erzählen hat.
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