Naturschutz / Die einzige Muschelzuchtstation im Land rettet bedrohte luxemburgische Arten
Den größten Bekanntheitswert haben Muscheln wahrscheinlich auf dem Teller. „A la provençale“, „à la sicilienne“ oder „à la crème“ dürfen sie in keinem guten Restaurant zur Saison fehlen. Die luxemburgische Bach- und Flussperlmuschel kann man zwar nicht essen, aber beide sind super für das Ökosystem ihrer Umgebung. An der Kalborner Mühle arbeiten Experten der Stiftung „Hëllef fir d’Natur“ von „natur&ëmwelt“ daran, diese Arten zu retten.
Muscheln haben unglaubliche Fähigkeiten. Eine Bachmuschel filtert bis zu 50 Liter Süßwasser am Tag. Michel Frisch setzt das in Relation. „Das von den Muscheln gefilterte Wasser hat natürlich keine Trinkwasserqualität, aber sie sind eine große Hilfe bei der Wasserqualität.“ Der gelernte Forst- und Fischwirt ist seit 2015 Teil des Teams, das die Muschelzuchtstation an der Kalborner Mühle im Norden des Landes betreut.
Ein Einwohner verbraucht ca. 150 Liter Wasser pro Tag. In dieser Logik würden drei erwachsene Bachmuscheln ausreichen, um den Wasserverbrauch eines Einwohners zu filtern. Das ist eine enorme Leistung angesichts der Größe der Tiere, die selbst nur einige Zentimeter groß sind. Die Bachmuscheln und ihre größeren Schwestern, die Flussperlmuscheln, sind im Land keine Unbekannten.
Bis in die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts war ihr Lebensraum hauptsächlich die Our und die Sauer. Intensive Landwirtschaft, Zersiedelung und Wasserverschmutzung haben sie aus den beiden Flüssen vertrieben oder stark reduziert. Nach Starkregen fehlen natürliche Hindernisse, um den Abfluss von Schlamm aus dem umliegenden Gelände zu verhindern.
Fast ausgestorben, obwohl es früher viele gab
Er gelangt seitdem in die Bachläufe und zerstört den natürlichen Lebensraum der Tiere im ehemals lockeren Kies auf dem Grund. Früher war die Bachmuschel in fast jedem Fluss in ganz Luxemburg verbreitet. Heute finden sich im Großherzogtum nur noch drei Populationen der Bachmuschel, in Our, Sauer und der Eisch. Die Flussperlmuschel ist ganz verschwunden. Die etwa 10 Zentimeter großen Tiere sind die wählerische der zwei Arten.
Ihre Larven, die die Mutter nach der Befruchtung ins Wasser entlässt, wachsen nur auf jungen Bachforellen und sie ist genauso wählerisch, was ihren Aufenthaltsort angeht.Trotz etlicher Bemühungen ist es bislang nicht gelungen, den Lebensraum in der Our wieder derart herzustellen, dass junge Flussperlmuscheln hier auf Dauer überleben können. 2014 wurde die vorerst letzte Muschel in dem Fluss gefunden. Mehrere Tausend haben die Kalborner Mitarbeiter allerdings aus früheren Funden nachgezogen.
422 davon haben bis heute überlebt. Diese sind inzwischen neun bis zwölf Jahre alt und leben im Exil in einem Fluss in der Eifel. „Wir haben die Hoffnung, dass wir diese bald vermehren und neue Jungtiere aufziehen können“, sagt Frisch. Diese „Teenagermütter“ haben die Pubertät erreicht und sind demnächst geschlechtsreif. In der Zwischenzeit haben die Kalborner Experten mit anderen Stämmen der Flussperlmuschel aus Deutschland und Belgien experimentiert.
Die Flussperlmuschel ist wählerisch
16.000 Jungtiere konnten bislang in ihrem jeweiligen Heimatfluss ausgewildert werden. „Wir hoffen, die Flussperlmuschel in Luxemburg vor dem Aussterben retten zu können“, sagt Frisch. „Das oberste Ziel ist es, die Art in Mitteleuropa zu erhalten.“ Vieles deutet darauf hin, dass sie in früheren Zeiten reichlich vorhanden waren. Das belegt u.a. die Dekoration mit den Perlen der Tiere an Gewändern von Adeligen und Königen aus dem Mittelalter. Es müssen viele gewesen sein. Nur eine von zwischen 3.000 bis 5.000 Flussperlmuscheln produziert das Schmuckstück, wenn ein Sandkorn zwischen Muschelhaut und Schale gerät.
Heute sind beide Muschelarten stark bedroht und streng geschützt. Dort, wo sie noch vorkommen, müssen die Bestände laut einer EU-Direktive bewahrt oder nach Möglichkeit sogar verbessert werden. Genau das passiert an der Kalborner Mühle, die wie eine Aufzuchtstation funktioniert. Das Leben einer Muschel ist aufregender und länger, als man denkt. Nach der „Geburt“ haben sie nur 48 Stunden Zeit, sich einen Wirt zu suchen. Sonst sterben sie.
Die Bachmuschel braucht drei bis vier Wochen, die größere Flussperlmuschel sogar neun Monate, in denen sie das Fischblut mit Nährstoffen aufnimmt und so heranwächst. Die Fische kommen gut mit den Parasiten zurecht. Eine Studie von Biologen der Karlstad-Universität in Schweden aus dem Jahr 2022 belegt, dass das sogar das Immunsystem der Fische stärken kann. Danach wandelt sich die Larve in eine nur 0,4 Millimeter kleine Muschel und beginnt ihr Leben als „Kleinkind“ auf dem Grund der Flüsse.
Filterfähigkeiten waren lange unterschätzt
In den unzähligen Becken der Zuchtstation ist diese Umgebung nachgestellt. So ein Muschelleben dauert lang. Eine Bachmuschel wird 20-30 Jahre alt und die größere Flussperlmuschel erreicht erstaunliche 80-90 Jahre Lebensalter. Essbar sind beide Arten nicht, aber ihre Fähigkeit, Wasser zu filtern, wurde lange unterschätzt. Mittlerweile lebt das Wissen in einer von Klimawandel und Ressourcenknappheit bedrohten Welt wieder auf.
Seit 2019 wildern Freiwillige Austern im East River rund um New York aus, um die Wasserqualität zu verbessern. Das berichtete die ARD in ihrer Sendung „Weltspiegel“. Die Millionenmetropole galt früher als Austern-Hochburg, bis die Industrialisierung die Wasserqualität so verschlechterte, dass es keinen Lebensraum mehr für die Flussbewohner gab. Rund eine Milliarde der Muschelart wollen die Ehrenamtlichen jenseits des Atlantiks bis 2035 rund um den „Big Apple“ auswildern.
In Luxemburg ist der Maßstab kleiner. Seit 2018 wurden in Our und Sauer rund 14.000 Bachmuscheln ausgewildert und den Tieren geht es gut. Sie sind markiert und die Experten von „natur&ëmwelt“ kontrollieren die Bestände regelmäßig. Die Vorstellung, das auf den Obersauer-Stausee, das größte Trinkwasserreservoir des Landes, zu übertragen, klingt reizvoll. „Das würde der Trinkwasseraufbereitung eine Menge Arbeit ersparen“, bestätigt Muschelexperte Frisch.
Muschelzucht und Wassererlebnis
Die Muschelzuchtstation an der Kalborner Mühle ist die einzige im Land und eine der wenigen in Europa, die gleich zwei Arten aufziehen. Vergleichbare Projekte laufen nur noch im französischen Finistère und in der Huschermühle in Bayern. Zwischen 2005 und 2019 wurde die Muschelzucht mit europäischen Geldern aus den „Life“-Programmen aufgebaut. Die Projekte sind grenzüberschreitend angelegt. Sechs Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit betreuen die Muscheln. Die Zuchtstation mit den Aufzuchtbecken für die Tiere ist Teil des Wassererlebniszentrums (WEZ), in dem Naturpädagogik vermittelt wird. Überwiegend Schulklassen nutzen das Angebot. Sie stellen den größten Teil der rund 1.700 Besucher im Jahr 2022. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres haben sich bereits 950 Besucher von der Arbeit in Kalborn inspirieren und sensibilisieren lassen.
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„Die luxemburgische Bach- und Flussperlmuschel kann man zwar nicht essen, “
Natürlich kann man die essen, wenn man auch nicht sollte.