Fairtrade / „Die Entscheidung fällt im Einkaufwagen“: NGO setzt sich für ein Lieferkettengesetz ein
28 Jahre nach der Gründung könnten sich die Verantwortlichen von Fairtrade Luxemburg zufrieden zurücklehnen. Einer überwiegenden Mehrheit in Luxemburg ist das Label ein Begriff und viele kaufen die Produkte. Mitbegründer Jean-Louis Zeyen (56) hat zwar zu Hause einen Schaukelstuhl. Zum Ausruhen auf Verdiensten nutzt er ihn nicht.
Bei dem Gedanken daran, sich in dem Möbelstück zurückzulehnen, muss Jean-Louis Zeyen schmunzeln. „Überhaupt nicht“, beendet er die kurze Fantasie auf schaukelnden Genuss hinsichtlich Fairtrade. Dabei sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. 69 Prozent der Luxemburger kennen das Label sehr gut, 27 Prozent zumindest den Namen und nur vier Prozent können damit gar nichts anfangen.
Mitten in der Coronakrise hat die Nichtregierungsorganisation (NGO) beim Meinungsforschungsinstitut TNS Ilres eine Umfrage in Auftrag gegeben, die diese Werte ergeben hat. 1.007 Personen ab 16 Jahren, die in Luxemburg wohnen, haben im April daran teilgenommen. Mit 74 Prozent geben drei Viertel der Befragten an, Fairtrade-Produkte zu kaufen.
Hersteller in die Verantwortung nehmen
Neben Ergebnissen wie diesen hat die Umfrage Überraschungen parat. Unter den Befragten herrscht eine klare Haltung bezüglich der Hersteller. „Die Konsumenten erwarten von der öffentlichen Hand, dass sie die Hersteller dazu ermuntert, noch mehr Fairtrade-Rohstoffe zu nutzen“, sagt Zeyen. Das kommt den Anliegen von Fairtrade entgegen und zeigt Zusammenhänge, die in der Lebensmittelbranche nicht unbekannt sind.
„Wenn Handel und Produzenten verstanden haben, dass sie anders wirtschaften müssen, nehmen sie die Konsumenten mit“, sagt Zeyen – nicht ohne Grund. Noch erstaunlicher findet er nämlich, dass sich die Konsumenten mittlerweile durchaus ihrer Eigenverantwortung bewusst sind. Je mehr fair gehandelte Produkte nachgefragt und gekauft werden, desto besser. „62 Prozent sagen das.“
Dem entspricht die Motivation, Fairtrade-Produkte zu kaufen. 75 Prozent geben an, die Waren wegen der angemessenen Bezahlung der Hersteller zu kaufen, also aus sozialer und wirtschaftlicher Verantwortung heraus. Die „Bestseller“ in Luxemburg sind Bananen, Rosen und Kaffee, genau in dieser Reihenfolge. Schokolade kommt erst an vierter Stelle. „Jede dritte Banane, die hier in Luxemburg gegessen wird, stammt aus fairem Handel“, sagt Zeyen.
Fast gleichauf liegen die Rosen. Rund 2.700 fair gehandelte Produkte sind derzeit nach Angaben der NGO in Luxemburg auf dem Markt. Davon tragen 336 einen luxemburgischen Markennamen. Hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach. Ein Croissant mit dem Label der NGO wird zwar mit luxemburgischem Mehl gebacken, Zucker und Kakao stammen hingegen von fair bezahlten Produzenten. Es sind die in Kooperativen zusammengeschlossenen Bauern in der Dritten Welt.
„Ein von uns zertifizierter Schokodrink enthält luxemburgische Milch, Kakao und Zucker stammen aus fairem Handel“, nennt Zeyen ein zweites Beispiel und macht selbst vor Kaffee nicht halt. „Ein Röster, der hier in Luxemburg sitzt, kann den Kaffee fair einkaufen oder nicht“, sagt er und zieht damit die Schleife zu der seiner Meinung nach gerechtfertigten Erwartung gegenüber den Herstellern. Nicht überrascht hat Zeyen das Ergebnis der Umfrage, wie bekannt Fairtrade als Label in Luxemburg ist.
Das nächste Projekt: Lieferkettengesetz
Es freut nach jahrelanger Aufbau- und Sensibilisierungsarbeit, aber wie immer hat er ein Aber. „Es genügt nicht, bekannt zu sein“, sagt er. „Die Entscheidung fällt im Einkaufswagen.“ Deshalb steht das nächste Projekt auf der Agenda und ist eine Erfahrung der Coronakrise. „Nie zuvor haben wir so viel über Lieferketten diskutiert“, sagt Zeyen. Sie sind in der globalisierten Welt mit tausenden von Kilometern zwischen Ort der Herstellung und Endverbraucher Standard. Das Lockdown hat gezeigt, wie zerbrechlich das Konstrukt ist.
Zeyen arbeitet als Präsident von Fairtrade zusammen mit anderen NGOs daran, dass sich Luxemburg ein Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene gibt. Es soll Menschenrechte und Umweltschutzbelange einführen. „Unternehmen müssen sich Handlungsabläufe geben, um Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette zu vermeiden“, sagt er. Kommt es anders, wird Schadensersatz fällig. Zeyen spricht in dem Zusammenhang von „Sorgfaltspflicht“ – gerade nach dem Lockdown – und ist optimistisch.
Vorbehalte, dass Vorsätze wie diese als reine Lippenbekenntnisse und als „Greenwashing” oder „Socialwashing” in die Geschichte eingehen, weil am Ende doch nur die Dividende zählt, wischt er vom Tisch. „Es gibt mittlerweile eine Reihe von Unternehmen, die eingesehen haben, dass die Ausrichtung auf den Heuschreckeneffekt unverantwortlich gegenüber den aktuellen und den kommenden Generationen ist“, sagt er. Das sind weitreichende Beobachtungen, die erklären, was ihn in seinem Schaukelstuhl eigentlich so alles beschäftigt.
Fairtrade Lëtzebuerg a.s.b.l.
Die Nichtregierungsorganisation wurde am 25. März 1992 in Luxemburg gegründet. Im Büro in Roodt-Syre arbeiten derzeit sieben Mitarbeiter, was fünf Vollzeitstellen entspricht. Das Kooperationsministerium unterstützt die NGO nach eigenen Angaben mit einem jährlichen Zuschuss in Höhe von 350.000 Euro. Das jährliche Gesamtbudget beträgt 625.000 Euro.
Fairtrade und Corona
Die in Luxemburg verkauften Bananen mit dem Fairtrade-Label stammen aus Kooperativen in Peru. Während des Lockdowns konnten mit Rücklagen aus dem vergangenen Jahr Masken, Desinfektionsmittel oder Handschuhe für die Produzenten angeschafft werden. Während in Luxemburg ein Covid-19-Test kostenlos ist, kostet er nach Angaben der NGO in Peru 64 Euro. Das entspricht 15 Prozent des monatlichen Einkommens eines Peruaners, das die Weltbank mit rund 400 Euro monatlich beziffert. Die Gebühr wurde für die Bauern ebenfalls aus Rücklagen von 2019 finanziert. Weitere Informationen zur Forderung nach einem Lieferkettengesetz: www.initiative-devoirdevigilance.org.
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