Erster Jahrestag / Die Erschütterung: Wie der Hamas-Überfall vom 7. Oktober die Region verändert hat
Der Schock jährt sich: Vor einem Jahr hat die Terrororganisation Hamas Israel überfallen und den Gaza-Krieg ausgelöst. Sicherer ist die Weltregion seitdem nicht geworden, sagt der Politikwissenschaftler Jan Busse.
Ein Jahr nach dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel sieht der Nahost-Experte Jan Busse eine Aufarbeitung dringend geboten. „Der Terroranschlag vom 7. Oktober 2023 hat die ganze Nahost-Region nachhaltig erschüttert“, sagte der Politikwissenschaftler von der Bundeswehr-Universität München im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. „Gerade auch, um das Vertrauen der israelischen Bevölkerung in die Sicherheitsinstitutionen und die Politik wiederherzustellen, ist es extrem wichtig, eine Aufarbeitung herbeizuführen, wie diese Situation überhaupt entstehen konnte.“ Der Hamas-Angriff vor einem Jahr sei ein „Schock“ gewesen: für die Menschen in Israel, aber auch für internationale Beobachter. In Israel seien vor allem Gewissheiten „massiv beschädigt“ worden, sagte Busse. Dazu gehöre das Versprechen der israelischen Regierung, für die Sicherheit ihrer Bevölkerung zu sorgen.
Zudem habe die Entwicklung seitdem „überhaupt nicht zur Sicherheit“ beigetragen – weder für die Menschen in Israel noch für die Palästinenser im Gazastreifen oder im Westjordanland. „Der 7. Oktober ist natürlich die Ursache und der Auslöser für die jetzige Situation“, führte der Experte mit Blick auf den Gaza-Krieg aus. Zugleich gelte es aber, auch mit Blick auf die Herausforderungen hinsichtlich einer regionalen Eskalation, sich auch mit den „politischen Realitäten“ auseinanderzusetzen. So seien etwa die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ausgegebenen Kriegsziele – der Sieg über die Hamas und die Befreiung der Geiseln – nach fast einem Jahr Krieg „noch immer nicht erreicht“. „Sie sind sogar in noch weitere Ferne gerückt“, stellte Busse fest.
Mittlerweile wird ihm zufolge Netanjahus ursprüngliche Zielvorgabe eines „vollständigen Sieges“ auch von einigen seiner Regierungsmitglieder und israelischen Sicherheitsvertretern „angezweifelt“. „Selbst wenn die Hamas militärisch geschwächt und aktuell kaum noch in der Lage ist, Raketen auf Israel abzuschießen, hat sie immer noch teilweise funktionierende Kampfverbände“, warnte der Experte. Auch sei das Tunnelnetzwerk unter dem Gazastreifen „noch relativ gut intakt“. Zudem seien rund hundert Geiseln noch immer in der Gewalt der Hamas, darunter Frauen, alte Menschen und Kinder. Busse erinnerte daran, dass der „mit Abstand größte Teil“ der bisher freigekommenen Geiseln durch Verhandlungen zurückgekehrt sei. Die internationalen diplomatischen Bemühungen um eine Waffenruhe seien bei der bislang einzigen Einigung im November also „durchaus erfolgreich“ gewesen. Zwar steckten die indirekten Gespräche zwischen der Hamas und Israel derzeit „in einer Sackgasse“. Doch gerade die USA, Ägypten und das Golfemirat Katar hätten sich „sehr engagiert“ in die Verhandlungen eingebracht.
Weitere Waffenpakete
Dabei könnte Washington aus Busses Sicht durchaus „mehr konstruktive Einflussnahme“ auf seinen engen Verbündeten Israel ausüben. Die US-Regierung habe Israels Kriegsführung im Gazastreifen zwar zuletzt deutlich kritisiert. Doch schließlich seien trotz aller „rhetorischen Kritik“ weiterhin Waffenpakete in Milliardenhöhe an Israel geliefert worden, ohne dies „an jegliche Bedingungen zu knüpfen“. Diese Politik falle US-Präsident Joe Biden nun „womöglich vor die Füße, da die USA keinesfalls in einen regionalen Krieg im Nahen Osten hineingezogen werden wollen“. Dieses Risiko besteht jedoch aus Busses Sicht „gerade jetzt“ mit einer zunehmenden Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon. Der Experte sieht die USA zwar geopolitisch betrachtet nach wie vor als „die zentrale Macht mit Einfluss auf die Region“. Inzwischen versuchten jedoch auch „weitere Player“ zunehmend im Nahen Osten „mitzumischen“, darunter China und Russland.
Für die mögliche Umsetzung einer auch von Luxemburg und anderen Ländern geforderten Zweistaatenlösung sieht Busse derzeit „keinerlei Indizien“. Um darauf „hinarbeiten“ zu können, kommt es aus seiner Sicht vor allem auf den „politischen Willen“ auf beiden Seiten, grundlegende Reformen bei der Palästinensischen Autonomiebehörde und die Unterstützung der USA und gemäßigter arabischer Staaten an.
Vor dem ersten Jahrestag des Hamas-Großangriffs auf Israel haben am Wochenende in Europa und anderen Weltregionen zahlreiche Gedenkveranstaltungen und Kundgebungen stattgefunden. In London und Paris versammelten sich am Sonntag tausende Menschen im Gedenken an die Opfer des von der radikalislamischen Palästinenserorganisation verübten Überfalls vom 7. Oktober 2023. In zahlreichen Städten gingen Menschen aber auch in Solidarität mit den Palästinensern auf die Straße. (AFP)
- Es weihnachtet sehr: „Winterlights“ haben offiziell eröffnet - 22. November 2024.
- Die Kanzlerpartei klatscht, die Kanzlerpartei zweifelt - 22. November 2024.
- 7. Spieltag der Audi League: Reckingen fordert den Titelverteidiger heraus - 22. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos