Migration / Die EVP will das Ruanda-Modell für Europa – für Luxemburgs Regierung birgt das Konfliktpotenzial
Europas Christdemokraten, zu denen die CSV gehört, wollen Flüchtlinge in Drittstaaten wie Ruanda überstellen. Das schrieb die EVP am Donnerstag in ihrem Programm für die Europawahlen fest. Rechte Träume in Migrationsfragen werden so zu konservativer Mainstream-Politik. Für Luxemburgs Regierungskoalition birgt das Konfliktpotenzial. Ex-Außenminister Jean Asselborn reagiert in einem „Spiegel“-Gastbeitrag.
Europas Christdemokraten ziehen mit der Forderung nach einer drastischen Verschärfung des Migrationsrechts in den Europawahlkampf. Das hat ihre europäische Parteienfamilie EVP bei ihrem Kongress in Bukarest am vergangenen Donnerstag im Wahlprogramm festgehalten. „Wer in der EU Asyl beantragt, könnte auch in einen sicheren Drittstaat überstellt werden und sich dort dem Asylverfahren unterziehen“, heißt es dort. „Bei positivem Ausgang gewährt der sichere Drittstaat dem Antragsteller Schutz vor Ort“, schreibt die EVP, die bei dem Kongress Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu ihrer Spitzenkandidatin krönte.
Von der Leyen soll so ein konservativerer Kurs verordnet werden, inklusive eines Umgarnens der Rechten. Einer ihrer Herausforderer um den nächsten Präsidentenposten der Europäischen Kommission ist der Luxemburger LSAP-Politiker und EU-Kommissar Nicolas Schmit, der für die europäischen Sozialdemokraten als Spitzenkandidat antritt und sich vergangene Woche im Tageblatt-Interview klar von rechts abgrenzte. Die „rote Linie gegen die Rechtsextremen“ würden die europäischen Sozialdemokraten „absolut aufrechterhalten“, sagte Schmit, was für die EVP „nicht zutreffe“.
Kehrtwende für Bettel?
Was der EVP vorschwebt, ist nichts anderes als die Ruanda-Lösung, auf die das Vereinigte Königreich seit 2022 hinarbeitet. Bislang wurden die Tories, die britischen Konservativen, von den obersten Gerichten und zuletzt dem Oberhaus ausgebremst. Trotzdem ist seit Donnerstag klar, dass Europas Christdemokraten eine solche Politik in Europa durchsetzen wollen. Zu der EVP gehört auch die luxemburgische CSV. Premier Luc Frieden war in Bukarest dabei und verabschiedete das Programm mit.
Doch die Ruanda-Lösung, die der EVP vorschwebt, birgt für Luxemburgs Regierungskoalition Streitpotenzial. Außenminister Xavier Bettel (DP) hatte im vergangenen Juni, als er noch Premierminister war, bei einem EU-Gipfel darüber geklagt, „isoliert zu sein, wenn ich sage, dass die EU eigentlich dazu dient, Mauern abzubauen anstatt neue aufzurichten“. Für ihn seien „Menschenrechte und internationales Recht die Grundlage“, sagte Bettel damals zum Wort und kritisierte den Vorschlag aus mehreren EU-Ländern, das britische Ruanda-Modell zu übernehmen.
Warnung von Asselborn
Luxemburgs ehemaliger Außenminister Jean Asselborn (LSAP) kritisiert die Entscheidung der EVP bereits jetzt scharf. In einem mit „Die Selbstentwertung der EU“ betitelten Gastbeitrag für den Spiegel schreibt Asselborn, „was im EU-Ministerrat vom Juni 2023 in Luxemburg noch verhindert werden konnte, wird nun Programm der Europäischen Volkspartei“. Asselborn erinnert auch an den September 2018 in Wien, wo ihm sein später berühmt gewordenes „Merde alors“ entfuhr. Dort habe, so Asselborn, Italiens damaliger Innenminister Matteo Salvini gefordert, die Genfer Konvention von 1951 abzuschaffen, „weil sie zu menschlich, zu flexibel“ sei. Jetzt seien „Salvini und seine rechtspopulistische Lega, die noch nicht Mitglied der EVP sind, ihrem Ziel einen großen Schritt näher gekommen: Die EU riskiert, eine Kommissionspräsidentin zu bekommen, die der Linie der Rechtspopulisten Folge leistet und bereit ist, das Hauptmerkmal der Genfer Konvention zu opfern“, schreibt Asselborn.
Die EU riskiert, eine Kommissionspräsidentin zu bekommen, die der Linie der Rechtspopulisten Folge leistet und bereit ist, das Hauptmerkmal der Genfer Konvention zu opfern
Dabei habe genau dieses Prinzip der Nicht-Abweisung einer schutzsuchenden Person „Europa menschlicher gemacht, sie hat Kulturen, Sprachen, Religionen in unserem Erdkreis diversifiziert, sie hat uns reicher gemacht“. Jetzt sei die Gefahr groß, „dass die EVP sich im Europaparlament nach rechts ziehen lässt, um ihre Macht nicht mehr mit Sozialdemokraten, Grünen oder Liberalen teilen zu müssen“. Wenn die EU ihre Werte abschaffe, schaffe sie sich selber ab, schließt Asselborn seinen Gastbeitrag in dem deutschen Nachrichtenmagazin ab.
Im Parlament will von der Leyen, wie sie auf dem EVP-Kongress sagte, eine Unterstützung der Parteien der Mitte anstreben. Dazu zählte sie Liberale, Grüne und Sozialdemokraten. Dazu gehören aber, wie die Nachrichtenagentur Reuters schrieb, laut EU-Diplomaten auch Teile der rechten Gruppierung der „Konservativen und Reformer“ (ECR), der etwa die polnische PiS-Partei, aber auch die Partei der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ebenfalls die luxemburgische ADR angehören.
Kritik von Juncker
Offen für eine punktuelle Zusammenarbeit mit Meloni hatte sich zuletzt unter anderem EVP-Chef Manfred Weber gezeigt. In einer Rede am Donnerstag ging der deutsche CSU-Politiker allerdings nicht darauf ein und nannte (wie von der Leyen) nur Parteien wie die deutsche AfD und das französische Rassemblement national von Marine Le Pen als rechte Gegner.
Der ehemalige EU-Kommissionspräsident und langjährige luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker wiederholte nach dem EVP-Kongress seine Warnung gegenüber seinen Parteifreunden, sich auf einen Deal mit Meloni einzulassen. Bereits im Interview mit dem Tageblatt im vergangenen Oktober hatte Juncker gesagt: „Wehret den Anfängen! Ich habe einzelnen Leuten bereits gesagt, dass ich den Meloni-Trip nicht gut finde. Auch wenn Frau Meloni sich eher Europa-konform benimmt und europäische Entscheidungen mitträgt. Melonis Denken ist historisch aus dem Faschismus erwachsen, und da lasse ich mich nicht verblenden.“ Jetzt erneuerte Juncker seine Kritik gegenüber der katholischen Zeitung Die Tagespost. Er sei „strikt dagegen, dass Meloni Einzug in die EVP hält“. Dies käme einer Verharmlosung der extremen Rechten gleich.
Auf ihren Asylpakt hatte sich die EU erst im Dezember, und dies nach jahrelangen Debatten, geeinigt. Bereits dieser Pakt gilt als eine Verschärfung der Regeln, da darin erstmals Asylverfahren an den Außengrenzen vorgesehen sind – nicht jedoch in Drittstaaten wie Ruanda, Georgien oder Albanien, wie sie jetzt der EVP und damit auch der CSV auf europäischer Ebene vorschweben. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt, sieht das EVP-Vorhaben vor, dass es zumindest humanitäre Kontingente für besonders Schutzbedürftige geben soll, die von EU-Staaten aufgenommen werden sollen. Was mit Schutzbedürftigen geschehe, wenn die Kontingente erschöpft seien, bleibe aber offen.
Verantwortungsvoller Gloden?
Was die Festlegung der EVP auf das Ruanda-Modell letztendlich für Luxemburg bedeutet, bleibt offen. Wohin die Frieden-Gloden-Marschroute in der Migrationspolitik führen soll, fragten sich unlängst auch die Mitglieder des Luxemburger Flüchtlingsrats. Bislang hat Leon Gloden als Minister für innere Angelegenheiten davon gesprochen, eine „verantwortungsvolle Migrationspolitik“ machen zu wollen. Im Gespräch mit dem Tageblatt (das ganze Interview erscheint im Lauf der Woche) erklärt Gloden, er verstehe unter einer „verantwortungsvollen Migrationspolitik“, dass man die Menschen, die die Bedingungen für einen Status nicht erfüllen, „so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer zurückschickt“. Demnach will die Regierung zusätzlich zum „Centre de rétention“ mit einer „Maison de retour“ eine neue Struktur aufbauen. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Asylpolitik fügt sich allerdings in den internationalen Kontext der verstärkt auf Abschottung setzenden Europäischen Union ein. „Dass man die Leute zurückführt, ist auch einer der Hauptpunkte des Migrationspakts“, sagt Gloden zum Tageblatt.
Bezüglich der Bearbeitung von Asylanträgen außerhalb der EU-Grenzen hatte der Flüchtlingsrat bereits seine Besorgnis über den im Dezember beschlossenen EU-Migrationspakt geäußert. Inzwischen gehe es nicht mehr nur um die Bekämpfung der sogenannten illegalen Migration, sondern um die generelle Einschränkung und Abschaffung von Fluchtwegen, hieß es im Tageblatt. Mit ihrem Programm für die Europawahlen will die EVP nun weitere Pflöcke einrammen. Was vor nicht allzu langer Zeit als Hirngespinst rechter und rechtsextremer Parteien angesehen wurde, wird zusehends zur konservativen Mainstream-Politik, die sogenannte „Festung Europa“ zu einem Ziel, das die Christdemokraten in ihrem Wahlprogramm versprechen.
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