/ „Die Falle des Klimaschutzes ist die Moralisierung“: Politologe Martin Unfried plädiert für neue Gesetze
Martin Unfried (53) mag die Moral nicht, mit der beim Klimaschutz allzu oft argumentiert wird. Er findet das wenig hilfreich, wenn es darum geht, etwas zu bewegen. Mit dieser Mission hält der Politologe Vorträge und hat Luxemburg einen Besuch abgestattet.
Tageblatt: Sie hatten lange eine Kolumne bei der Tageszeitung TAZ. Sie hieß „Ökosex“. Ist Umweltbewusstsein „unsexy“?
Martin Unfried: Ja. Vor zehn Jahren war das Image der „Ökos“ schlecht. Sie galten als Spaßverderber, so nach dem Motto: Wer für „Öko“ ist, muss leiden. Dagegen wollte ich anschreiben.
Es gab auch eine Band namens „Ökosex“. Wie waren denn die „Green Vibrations“?
Richtige Protestsongs waren ja damals schon „out“. Also habe ich versucht, ironische Protestsongs zu machen – gegen die Klimakatastrophe. Ich habe auch bei Vorträgen gesungen, das machen nicht so viele.
Sie sind der Begründer des „Ökotainment“. Muss der Klimaschutz aus der Politikecke raus?
Positive „Vibrations“ beeinflussen Konsumverhalten und vielleicht beeinflussen sie auch politisches Verhalten. Es geht nicht nur um gute Argumente, sondern auch um Gefühle. Fliegen oder Zugfahren? Da geht es auch um das bessere Gefühl bei der Entscheidung, wie ich mich letztendlich von A nach B bewege.
Ist das der Greta-Tunberg- und „Fridays for Future“-Effekt?
Für bestimmte Generationen ist das sicher auf der emotionalen Ebene ein unglaublicher Effekt. Wow, dieses Mädchen steht dafür ein – sogar vor den Vereinten Nationen. Diese Generation fühlt, es muss sich was ändern.
Konsum und Öko-Sein ist kein Widerspruch. Wie meinen Sie das?
Ich bin Realist. Mit Ansagen wie „verzichtet auf ein Auto“ können sich viele Menschen auf dem Land nicht identifizieren. Wenn ich aber sage, „verkauf dein Steinzeitauto mit Verbrennungsmotor und kauf dir ein Elektroauto und produziere den Strom dafür selbst“, dann ist das etwas ganz anderes.
Sie haben viel Vertrauen in den Konsumenten …
Habe ich eigentlich nicht. Da kommt die Politik ins Spiel. Sie muss die Regeln dafür schaffen und Anreize geben.
Dann müsste aber auch die Wirtschaft mit dem „Greenwashing“ aufhören und nachhaltig produzieren …
Das sieht man ja bei den Autokonzernen. Da kam keine Innovation. Bis Tesla kam und alles aufgemischt hat. Das war die Anregung von außen. Deshalb braucht es Regulierung von der Politik.
Wie soll die aussehen?
Dass man sagt, bis 2025 oder 2030 kann man noch Autos mit Verbrennungsmotoren kaufen, aber danach nicht mehr. In Norwegen gibt es so einen Beschluss bereits. Das beste Beispiel ist die Glühbirne. Als die 100-Watt-Birnen verboten wurden, war das zuerst irritierend, aber der Effekt war positiv. Der wird bei den Autos kommen müssen und muss auf europäischer Ebene geregelt werden. Sonst erreicht die EU die Pariser Klimaziele nicht.
Was ist denn das dringendste Gesetz, was jetzt kommen sollte?
Weg von der Kohle. Weg vom Verbrennungsmotor durch EU- oder nationales Recht und Sanierung des alten Gebäudebestandes. Ein Zulassungsende von Öl- und Gasheizungen. Es gibt bisher in keinem EU-Land eine jährliche „Renovierungsrate“, die bis ins Jahr 2050 Heizen ohne Öl und Gas möglich macht.
Ja, aber … was sind die häufigsten Ausreden in unserer Gesellschaft?
„Das geht nicht aus technischen Gründen.“ Das kommt sehr häufig von Interessenvertretern. Oder: „Wir können uns den Klimaschutz nicht leisten.“ Das ist Quatsch in so reichen Ländern wie Deutschland oder Luxemburg. Das ist eine Frage der Prioritäten. Wir haben uns für Mobilität in sehr teuren Autos entschieden. Das Geld kann man auch anders investieren, wenn man will. Oder: „Ich lasse mir das Fleisch nicht verbieten“, wenn es um den Umbau der Landwirtschaft geht. Das ist eine emotionale, kulturelle Barriere, die nicht zu unterschätzen ist. Eine andere soziopolitische Barriere tut sich bei den Rechtspopulisten auf. Merkwürdigerweise sind sie gegen Klimaschutz und leugnen die wissenschaftlichen Fakten. Obwohl es ja sozusagen um „Heimat“ geht, um deren Bewahrung. Der Grund ist recht banal: Sie hassen das „grüne“ Milieu.
Was ist dann das eigentliche Problem?
Dass wir aus einem politischen Problem ein individuelles gemacht haben. Die Falle des Klimaschutzes ist die Moralisierung. Die Wandlung von einer fossilen Wirtschaft zu einer erneuerbaren kommt nicht dadurch, dass wir alle „gute“ Menschen werden. Das zeigt die SUV-Debatte: Den kann man gut finden oder nicht. Es wird darauf ankommen, ob Gesetze Anreize schaffen, die zeigen, dass es schlauer ist, keinen zu kaufen.
Also muss die Politik jetzt endlich handeln?
Es geht nur über neue Gesetze. Im Moment verliert der Klimaschutz dauernd. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Brandschutz. Brandschutztüren werden nicht eingebaut, weil da ein guter Mensch dahinter steht. Sie werden eingebaut, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist. Sonst ist der Laden dicht.
Da kommt aber schnell der Vorwurf einer „Ökodiktatur“ auf …
Das ist absurd. In unseren Gesellschaften ist doch alles gesetzlich geregelt. Ich darf auf meinem Haus keine Gaube einbauen, ohne die Gemeinde zu fragen, wie groß sie sein darf.
Warum hat die Politik dann das „Problem“ so lange vor sich hergeschoben?
Parteien wollen Wahlen gewinnen. Und oft fehlt das Gefühl für Mehrheiten. Das beste Beispiel ist das Rauchen. Da hat die Politik viel zu spät gesehen, dass es für eine Nichtraucherpolitik schon längst breite Mehrheiten gab. „Wir können doch nicht in Kneipen und Restaurants das Rauchen verbieten, das kostet uns Prozente.“ Das war vorherrschende Meinung. Als dann einzelne Länder Nichtrauchergesetze verabschiedet haben, haben Politiker gesehen, dass das gar nicht so ist. Ich denke, beim Klimaschutz geht im Moment bereits mehr, als Politiker denken. Aber Wahlen gewinnen wollen und konsequenten Klimaschutz umsetzen, das ist auch heute nicht einfach.
Bei alledem: Sind Sie der „heitere Klimafreak“ geblieben, als den Sie sich selbst mal bezeichnet haben?
Ja, ich möchte immer die „emotionale Klimaintelligenz“ der Leute anbohren und durch positive Vibrations überzeugen. Allerdings bin ich heute etwas realistischer.
Zur Person
Martin Unfried hat Politik- und Theaterwissenschaften studiert. Während des Studiums arbeitete er als freier Radio- und Fernsehjournalist für Radio Z in Nürnberg und den Bayerischen Rundfunk. Nach seinem universitären Abschluss startet er eine akademische Karriere an der Universität Erlangen-Nürnberg. Von 1997 bis 2018 war er am „European Institute of Public Administration“ (EIPA) in Maastricht (NL) als Dozent für europäische Umweltpolitik tätig. Aktuell ist er Senior Researcher an der Universität in Maastricht und beschäftigt sich mit grenzüberschreitender Mobilität. 2007 erhielt er für seine journalistische Arbeit von Eurosolar den Deutschen Solarpreis. Er lebt mit seiner Familie in Maastricht.
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