Deutschland / Die Kanzlerpartei befindet sich auf der Suche nach dem Ausweg
Seit Monaten verharrt die SPD in Umfragen abgeschlagen hinter der Union. Kanzler Olaf Scholz gibt sich zuversichtlich. Intern aber rumort es, die Ungeduld wächst. Denn bald sind wichtige Wahlen. Was ist zu tun?
Aufgeben wie Joe Biden? Nicht noch einmal für das mächtigste Amt im Land kandidieren? Für Olaf Scholz kommt das nicht infrage. Der Bundeskanzler lässt keinen Zweifel daran, dass er im kommenden Jahr erneut als Kanzlerkandidat antreten wird. Diskussionen über einen möglichen Ersatzkandidaten interessieren ihn nicht.
Die Frage nach einem Nachfolger stelle sich erst am Ende der nächsten oder übernächsten Wahlperiode, sagt Scholz heiter am Ende der traditionellen Sommerpressekonferenz vor den Hauptstadtjournalisten. „Wir sind alle fest entschlossen, gemeinsam in den nächsten Bundestagswahlkampf zu ziehen und zu gewinnen“, sagt er über sich und seine Partei. Nach außen mag das stimmen. Doch in der SPD brodelt es immer stärker.
14 Prozent. Auf diesen mickrigen Wert kommt die Kanzlerpartei derzeit in Umfragen. Wäre am kommenden Wochenende Bundestagswahl, hätte die SPD danach keine Chance gegen die Union. CDU und CSU stehen in der jüngsten Forsa-Erhebung bei 31 Prozent. So viel wie die regierenden Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP zusammen. Bei anderen Instituten sieht es kaum besser aus. Scholz würde ein historisch schlechtes Ergebnis einfahren, der Unionskandidat – nach aktuellem Stand wahrscheinlich Friedrich Merz (CDU) – würde Kanzler.
Wir sind alle fest entschlossen, gemeinsam in den nächsten Bundestagswahlkampf zu ziehen und zu gewinnenBundeskanzler
Regulär soll die nächste Bundestagswahl am 28. September 2025 stattfinden. Also bleibt noch Zeit, um aufzuholen. So sieht es Scholz, so sieht es sein Umfeld im Kanzleramt. Und auch die SPD-Spitze hält zu ihm, lässt keinen Zweifel an seiner Kanzlerkandidatur. Sich von einem abgeschlagenen Platz nach vorn kämpfen hat ja schon mal geklappt. Auch vor der Bundestagswahl 2021 sah es lange nicht nach einem SPD-Kanzler aus. Scholz kann also aufholen.
Wie mit erwartbar schlechten Ergebnissen umgehen
Nur wie soll es dieses Mal gelingen? In der SPD macht sich zunehmend Ratlosigkeit breit. Die Frustration wächst, auch gegenüber Scholz und der Parteispitze. Die Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie Generalsekretär Kevin Kühnert werden nicht offen attackiert. Doch ihr Umgang mit der desolaten Lage der Partei sorgt immer häufiger für Kritik hinter vorgehaltener Hand. Denn ein Rezept gegen die Ablehnung, die der SPD entgegenschlägt, scheint man weder im Willy-Brandt-Haus noch im Kanzleramt gefunden zu haben. Da helfen die Zuversichtsparolen von Scholz langsam auch nicht mehr.
Denn das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten bei einer bundesweiten Abstimmung ist gerade einmal einige Wochen her: Bei der zurückliegenden Europawahl kam die so stolze und älteste Partei Deutschlands nicht einmal auf 14 Prozent. Trotz Kanzler auf den Plakaten. Oder deswegen? Auch die Aufarbeitung der Gründe für diese krachende Wahlniederlage geht vielen Sozialdemokraten nicht tief genug. Was soll im Bundestagswahlkampf besser gemacht werden? Und wie will man mit den laut Umfragen erwartbar schlechten Ergebnissen in Sachsen und Thüringen umgehen, wo noch in diesem Jahr gewählt wird und die SPD in Umfragen jeweils bei rund sieben Prozent steht? Verweisen auf Brandenburg, wo es möglicherweise noch einmal gelingen wird, mit Dietmar Woidke auch künftig den Ministerpräsidenten zu stellen? Das kann es ja nicht sein, finden insbesondere SPD-Abgeordnete aus Ostdeutschland.
Diese machen sich Sorgen um die Strategie. Und sie zweifeln an dem, was Scholz als Rezept gegen die schlechten Umfragewerte formuliert hat: Er will die Trendwende schaffen, indem er die Renten verteidigt, gegen Dumping-Löhne kämpft („Ich bin Mister Mindestlohn“), die Wirtschaft ankurbelt und verhindert, dass Deutschland in den Ukraine-Krieg gezogen wird.
Absicherung von Frauen als Thema
Doch mit denselben Themen – innere und äußere sowie wirtschaftliche und soziale Sicherheit – war die SPD bei der Europawahl krachend gescheitert. Und die Hoffnung des Kanzlers, für die Weichenstellungen der Ampel wiedergewählt zu werden, teilen nicht viele Parteistrategen. Denn in der Analyse ist die Ampel unten durch bei den Menschen. Weniger wegen tatsächlich wichtiger Reformen und der Krisenpolitik (Krieg in der Ukraine, Energieversorgung und so weiter), mit der die Ampel sich durchaus schmücken kann. Sondern schlicht wegen des andauernden ideologischen Streits zwischen den drei sehr unterschiedlichen Parteien. Und daraus ergibt sich ein Dilemma: Welches Bündnis will die SPD ihren Wählern schmackhaft machen, wenn man selbst wenig Lust auf Fortsetzung hat? Eine große Koalition, die man noch vor wenigen Jahren verhindern und verlassen wollte? Andere Zweierbündnisse zeichnen sich nicht ab.
Doch einen Silberstreif sieht man in der SPD: den Fokus auf die sogenannte arbeitende Mitte und die Schwäche der Union, was den Rückhalt bei Frauen angeht. Abtreibung will man jedoch nicht als Thema großziehen aus Sorge vor gesellschaftlicher Spaltung, heißt es in der Partei. Aber der Kampf für bessere Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Aufstiegschancen für Frauen, höhere Vollzeitquoten bei Frauen im Job und einer besseren Absicherung von Frauen im Alter sind die Themen, von denen man sich in der SPD nun viel verspricht.
Die Sommerpressekonferenz war nun einer der letzten Termine des Kanzlers vor einem zweiwöchigen Urlaub mit seiner Frau Britta Ernst. „Ich freue mich darauf, dass Ruhe herrscht“, sagte er kürzlich zu seinen Erwartungen an die kurze Auszeit. Für seine Partei gilt das nur noch bedingt.
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