Soziale Arbeit / Die Krux liegt bei der Ausbildung
In Luxemburg herrscht ein Mangel an Fachkräften der Sozialen Arbeit. Dazu gehören auch die Erzieher. Dabei gibt es genug Interessierte für diesen Beruf. Petra Böwen, Leiterin vom „PraxisBüro“ der Uni.lu, analysiert die Situation seit vielen Jahren. Die erhobenen Zahlen offenbaren, wo das Problem liegt.
Seit 2014 schauen sich Petra Böwen und die Mitarbeiter des „PraxisBüro“ jedes Wochenende die Stellenanzeigen in verschiedenen Zeitungen und Webseiten an. Alles, was in den Bereich der Sozialen Arbeit gehört, wird gesammelt und analysiert. Die Leiterin des „PraxisBüro“ der Uni.lu findet das Durchforsten sehr spannend, weil sie dabei immer wieder Neues entdeckt. Nachdem die Stellenangebote zusammengetragen worden sind, werden Doppler herausgenommen. Das sind Anzeigen, die in mehreren Publikationen veröffentlicht wurden. Jede Anzeige wird als PDF gespeichert und archiviert, damit man später darauf zurückgreifen kann, sagt Böwen.
Die meisten denken beim Begriff Soziale Arbeit erst mal nur an die Erzieher in den „Crèches“ und „Maisons relais“. Dabei ist der Bereich der Sozialen Arbeit sehr weitläufig und auf verschiedenen Ausbildungsniveaus.Leiterin „PraxisBüro“ der Uni.lu
Was in der aktuellen Diskussion um die Erzieherausbildung („Educateur diplômé“) besonders interessiert, sind die Stellenangebote in dieser Kategorie. „Die meisten denken beim Begriff Soziale Arbeit erst mal nur an die Erzieher in den ‚Crèches‘ und ‚Maisons relais‘“, sagt Böwen. „Dabei ist der Bereich der Sozialen Arbeit sehr weitläufig und auf verschiedenen Ausbildungsniveaus“, sagt sie: Schwangerschaftskonfliktberatung, Arbeit mit Drogenabhängigen, Betreuung älterer Menschen, Behinderter oder Obdachloser, spezifische Frauen- und Männerarbeit oder auch der Strafvollzug.
Im Bereich der Erzieher fällt auf, dass es im Jahr 2019 – das sind die aktuellsten Zahlen, da jene für 2020 noch nicht definitiv ausgewertet sind – 801 offene Stellen für Erzieher mit Fachausbildung gab. Das sind jene, die in Luxemburg eine Ausbildung am LTPES („Lycée technique pour professions éducatives et sociales“) absolviert und dort ein Diplom erworben haben. Im Studienjahr 2018/2019 hatten dagegen nur 139 Studenten dort das Erzieherdiplom erworben. Bildungsminister Claude Meisch möchte nun neben dieser Ausbildung eine weitere anbieten. Das Pilotprojekt sieht vor, Abiturienten der Sektion „Sciences sociales“ im „Enseignement secondaire général“ innerhalb eines Jahres nach ihrem Abitur für den Erzieherberuf auszubilden. Das umstrittene Projekt soll ab der nächsten „Rentrée“ starten und weitere 46 Schüler ausbilden.
Weniger Studenten im Bachelor als am LTPES
Die Ausbildung zum Sozialarbeiter auf Bachelor-Ebene kann man an der Uni.lu (BSSE) oder im Ausland machen. Weitere 9 Prozent der Stellen suchen nach Kandidaten mit einem Masterabschluss. Laut Daten des Praxisbüros von 2019 gab es für den Bachelor-Studiengang 680 offene Stellen. Gesucht wurde nach „Educateurs gradués“ („ancien régime“), BSSE-Absolventen („Bachelor en sciences sociales et éducatives“) und „Assistants sociaux“.
Die Statistiken zeigen, dass im Bachelorstudiengang noch weniger Studenten ausgebildet werden als bei der Fachausbildung im LTPES. 2019 wurden demnach lediglich 56 Diplome überreicht. 36 davon wurden im regulären Studiengang erworben und 20 weitere über den berufsbegleitenden Bachelor, der in Kooperation mit der „Chambre des salariés“ (CSL) stattfand. Nach drei Promotionen wurde dieser Studiengang allerdings nun gestoppt. Alleine bei diesem berufsbegleitenden Studium gab es laut Böwen 130 bis 140 Anfragen. Es ist allerdings auch weiterhin möglich, berufsbegleitend an der Uni.lu zu studieren, aber eben nicht mehr in einem eigenständigen Studiengang.
Wir haben stets 300 bis 400 Anfragen von Personen, die den Bachelor machen wollen. Die Uni kann aber nur 80 bis 85 Leute annehmen. Beim LTPES ist es ähnlich, glaube ich. Sie haben einfach nicht mehr Kapazitäten.Leiterin „PraxisBüro“ der Uni.lu
Sowohl beim Fachdiplom als auch beim Bachelor klafft demnach eine große Lücke zwischen offenen Stellen und frisch Diplomierten. „Der Bedarf ist riesig“, resümiert Böwen. Ein ähnliches Problem offenbart sich auch im Pflegebereich („Aide-soignante“ und „Infirmière“). In der Chambersitzung vergangene Woche wurde zudem das Thema angesprochen, dass die Uni.lu nicht genug Grundschullehrer ausbilden kann.
Mehr Anfragen als freie Studienplätze
Wieso wollen nicht mehr Studenten den Beruf des Sozialarbeiters erlernen? Ist der Beruf nicht interessant genug oder liegt es an der Ausbildung? Petra Böwen sagt, dass es stets mehr Anfragen für die Bachelorausbildung gibt, als Studienplätze frei sind. Das Gleiche gilt für den berufsbegleitenden Studiengang. „Es ist also nicht so, dass dieser Beruf nicht attraktiv genug wäre“, sagt sie. „Wir haben stets 300 bis 400 Anfragen von Personen, die den Bachelor machen wollen. Die Uni kann aber nur 80 bis 85 Leute annehmen. Beim LTPES ist es ähnlich, glaube ich. Sie haben einfach nicht mehr Kapazitäten.“ Viele Studenten weichen allerdings auch ins Ausland aus. Entweder aus Überzeugung oder weil es in Luxemburg nicht genug Ausbildungsplätze gibt.
Die Krux scheint demnach bei der Ausbildung zu liegen. „Ein Ausbau der Kapazitäten würde schon helfen“, sagt Böwen. Sie findet es gut, dass manche Bewerber ihren Bachelor im Ausland ablegen. Wieso die Kapazitäten hierzulande nicht ausgebaut werden, weiß Böwen nicht. Bei den zahlreichen Anfragen fallen allerdings stets Bewerber wieder weg, weil sie die Aufnahme nicht schaffen, sagt sie. „Es ist auch wichtig zu sagen, dass die Stellenangebote über das ganze Jahr ausgeschrieben werden“, erklärt Böwen. „Es ist also nicht so, dass heute 800 Leute gesucht werden.“ Die Anzeigen verteilen sich laut „PraxisBüro“ über das ganze Jahr und sind sehr vielen Fluktuationen ausgesetzt. Im August sei es beispielsweise ruhiger. „Es gibt ja auch nicht nur die frisch Diplomierten, die eine Stelle suchen. Es gibt auch jene, die länger im Beruf sind und die Stelle wechseln wollen. Und dann wird auch deren Stelle wieder frei“, so Böwen.
Für Professionelle wird es immer wichtiger, noch besser ausgebildet zu werdenLeiterin „PraxisBüro“ der Uni.lu
Zu Meischs neuem Pilotprojekt möchte sich Petra Böwen nicht direkt äußern. Sie sagt aber, dass sich die Soziale Arbeit in den vergangenen hundert Jahren gewandelt hat. In den 1960/70er Jahren habe man mit der Verstaatlichung von Strukturen wie Kinder- oder Behindertenheimen angefangen. Das habe auch dazu geführt, dass die Vorgänger-Institution des LTPES, das IEES („Institut d’études éducatives et sociales“), reformiert wurde und es zu einer Professionalisierung der Erzieherarbeit kam. „Die Umstellung auf drei Jahre Erzieherausbildung waren nicht einfach so“, sagt sie.
Herausforderungen an Sozialarbeiter werden größer
Böwen betont, dass die Herausforderungen an die Sozialarbeiter im Allgemeinen größer werden. „Nicht nur wegen Corona“, sagt sie. Sondern wegen Migration, Armut, Prekarität und der Schere, die immer weiter auseinandergeht. „Für Professionelle wird es immer wichtiger, noch besser ausgebildet zu werden.“ Mit der Umsetzung des nationalen Rahmenplans zur non-formalen Bildung ab 2016 sollte zudem jeder Anspruch auf einen freien Platz in einer „Crèche“ oder „Maison relais“ bekommen. Das ließ den Bedarf an Erziehern stark ansteigen.
In ihren Statistiken hat das „PraxisBüro“ der Uni.lu den Bereich der Sozialen Arbeit in verschiedene Praxisfelder eingeteilt. Für das Jahr 2019 ist mit 59 Prozent der Bereich der Kindheit, Jugend und Familie der größte. Innerhalb dieser Kategorie entfällt auf die Kindertagesbetreuung mit 622 offenen Stellen rund ein Drittel aller erfassten Stellenangebote. Dabei handelt es sich vor allem um Erzieher in „Crèches“, „Maisons relais“ und SEA („services d’éducation et d’accueil“). Der zweite Bereich ist jener der Schulsozialarbeit mit 207 offenen Stellen. Dabei handelt es sich um Mitarbeiter der SEPAs („Service psycho-social et d’accompagnement scolaires“) in den Lyzeen, um soziale und pädagogische Fachkräfte, die in den Gemeinden sowie in den „Directions de regions“ für die Grundschulen eingesetzt werden. Den dritten Platz mit 120 Stellenangeboten nimmt die stationäre Kinder- und Jugendhilfe ein. Das sind insbesondere Stellen in Heimen oder Einrichtungen für betreutes Wohnen.
Ich war erstaunt, dass die Anzahl offener Stellen im Coronajahr 2020 nicht rückläufig war. Teils lag die Zahl sogar höher als im Vorjahr.Leiterin „PraxisBüro“ der Uni.lu
Seit 2014 sammelt und analysiert das „PraxisBüro“ die Stellenangebote, seit drei Jahren mithilfe einer Datenbank, die ein Informatikstudent im Bachelorstudiengang erstellt hat. Die Daten für 2020 seien noch nicht endgültig und bereinigt. Es könnte noch Schwankungen geben. Dennoch sind Petra Böwen bei diesen neuen Zahlen zwei Sachen aufgefallen. „Ich war erstaunt, dass die Anzahl offener Stellen im Coronajahr 2020 nicht rückläufig war. Teils lag die Zahl sogar höher als im Vorjahr.“ Eine weitere Erkenntnis, die Böwen bereits aus den Zahlen von 2020 herauslesen kann, ist das Auftauchen neuer Quellen, in denen zahlreiche Stellenangebote publiziert werden. „Da müssen wir uns anpassen, wenn wir uns die Vorgabe geben, umfassend für Luxemburg zu sein.“
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Et muss en awer och soen, dass vill vun denen ausgeschriwene Plaazen just Deelzäitplaazen sin – also keng 40 Stonnen/Woch! Daat misst bei där Etude och berücksichtegt gin. Vill Leit brauchen awer och eng Vollzäitbeschäftegung (besonnesch Jonk Leit dei just mat der Schoul färdeg sin). Mais vill Leit wellen/kennen awer net ob 2 Plaaze schaffe goen, well daat vun den Haiser aus net geet – sie mussen oft flexibel asetzbar sin! Daat ass awer och e Grond virwaat esou vill Plaazen gesicht gin!