Editorial / Die Krux mit der Moral: Gedanken zu Papst, Politik und Nächstenliebe
Stadt und Land sind in Aufregung. Die Papstwoche beginnt! Am Donnerstag wird Pontifex Franziskus Luxemburg besuchen – ein Papst im Land, zum ersten Mal seit knapp 40 Jahren. Die Vorbereitungen für ein religiöses (und weltliches) Großereignis laufen auf Hochtouren. Für Kommentatoren des politischen Geschehens könnte der Zeitpunkt für einen Besuch des höchsten Botschafters christlicher Nächstenliebe nicht besser gewählt sein. Eben jene hat nämlich in der luxemburgischen Politik der vergangenen Monate keinen guten Stand.
Am Freitag vermeldete der Radiosender 100,7, dass die Caritas finanziell wahrscheinlich kurz vor dem Aus steht. Die Situation sei so ernst, dass die Hilfsorganisation nicht einmal mehr über die Mittel verfüge, um einen Sozialplan zu finanzieren oder ihre Schulden bei Lieferanten zu begleichen. Ob das Bistum einspringen wird? Ungewiss. Die Kirche hat in den vergangenen Wochen die Füße still gehalten. Auch zur Enttäuschung von CSV-Politikern wie Marc Spautz, der sich in der Causa Caritas mehr Input vom Bistum gewünscht hätte. Es sieht ganz so aus, als ob in Luxemburg die Caritas, eine Institution wohltätiger Nächstenliebe, berechnend-kühl abgewickelt wird. Von einem christsozialen Premier, während die Kirche von der Seitenlinie aus zuschaut. De jure geht das alles mit rechten Dingen zu – moralisch fragwürdig ist die Entscheidung aber dennoch.
Über den Caritas-Skandal schon ein bisschen in Vergessenheit geraten ist der große Aufreger des Winters, das Bettelverbot in Luxemburg-Stadt, ebenfalls keine Glanzleistung in praktizierter Nächstenliebe. Viel wurde diskutiert über die verschiedenen rechtlichen Hintergründe der Verordnung – deren Legitimität oder Illegitimität –, worüber die grundsätzliche moralische Bankrotterklärung eines nach unten tretenden Bettelverbots beinahe aus dem Fokus verschwand. Auch hier: durchgewunken von einem christsozialen Innenminister.
Nun könnte man – Achtung, Proseminar Philosophie – unter Zuhilfenahme von Machiavelli den Einwand formulieren: Die strikte Trennung von Moral und Politik ist Grundvoraussetzung für einen stabilen und starken Staat. Nun sind gesellschaftspolitische Debatten in den vergangenen Jahren von einer starken Moralisierung geprägt. Egal, ob es um Klimakrise, Flugscham, Fleischkonsum, Corona-Impfung oder Waffenlieferungen geht. Meist ist das gute und richtige Handeln, die Moral, die Fallhöhe, auf der die Debatten geführt werden. Verständlich also, dass die Emotionen schnell hochkochen.
Erleben wir gerade eine Zeitenwende, einen Backlash? Zehn Jahre nach Willkommenskultur-Deutschland führt eine sozialliberal-grüne Regierung landesweite Grenzkontrollen ein. Und in Luxemburg lassen die Christsozialen die christliche Nächstenliebe verkümmern. Der Staat, dessen Kopf kühl berechnet und dessen Hände streng zupacken, droht ohne Herz zum Moloch zu werden. So hieß es schon vor knapp hundert Jahren in Fritz Langs Monumentalfilm „Metropolis“: Der Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.
- Das erwarten sich die Redakteure und die Winzerin vom neuen Projekt - 20. November 2024.
- Vom Ehemann betäubt, von Fremden vergewaltigt: Opfer sagt erstmals vor Gericht aus - 20. November 2024.
- Bauern protestieren weiter gegen Mercosur-Abkommen - 20. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos