Nach der Wahl / Die LSAP auf dem Weg der Veränderung
Eine Woche nach den ernüchternden Wahlergebnissen stehen bei der LSAP alle Zeichen auf Opposition. Über eine Partei, die mehr und mehr ihre historische Basis verliert. Und doch so jung und vital erscheint wie schon lange nicht mehr.
Es gab viel zu verdauen für die LSAP in der ersten Woche nach der Wahl. Da ist der Absturz von „déi gréng“, der das Ende der Gambia-Regierung besiegelte, der Wunschkoalition vieler LSAP-Mitglieder, und der den Traum von der ersten Premierministerin des Landes platzen ließ. Da sind die knappen Niederlagen bei der Restsitzverteilung und der Drei-Sitze-Rückstand auf die DP, die prozentual etwa gleichauf mit den Sozialisten lag. Und nicht zuletzt ist da auch das Tempo, mit dem Formateur Luc Frieden die Koalitionsgespräche zwischen CSV und DP aufs Gleis gestellt hat – ohne überhaupt intensiver mit der LSAP zu sondieren.
Trotz allem spürt man bei der LSAP in diesen Tagen beinahe so etwas wie Vorfreude. Mit jedem Tag, der nach der sehr verhaltenen Wahlnacht verging, besserte sich die Stimmung bei den Sozialisten. Aus Frust wurde Entschlossenheit. Die LSAP scheint bereit für die Opposition. Diesen Eindruck vermittelte auch Präsidentin Francine Closener am vergangenen Mittwoch im Tageblatt-Interview. Man wolle die konservativ-liberale Regierung kontrollieren, den „Finger in die Wunde legen“ und für soziale Gerechtigkeit einstehen. Bei den Jusos freundete man sich schon in der späten Wahlnacht mit diesem Gedanken an. Und Liz Braz, frisch gewählter junger Shooting-Star der LSAP, versprach ebenfalls schon am Wahlabend „eine gewissenhafte und standhafte Oppositionspolitik“ zu machen.
Eine sozial-ökologische Opposition
Eine Oppositionspolitik, die dort hinzielen könnte, wo die kommende konservativ-liberale Regierung Schwächen zeigen wird. Bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit etwa, aber auch bei den Maßnahmen gegen die Klimakrise. Alex Bodry, ehemaliger LSAP-Minister und -Abgeordneter, schlug auf X, ehemals Twitter, seinen Parteikollegen eine Neuaufstellung der Partei vor: eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Sozialisten und Grünen, für ein „gemeinsames regierungstaugliches sozial-ökologisches Projekt“.
Überhaupt kann die LSAP als stärkste Fraktion mit Selbstvertrauen in die Opposition gehen. Schließlich ist sie der Abwärtsspirale, in der die Partei seit 2009 gefangen war, vorerst entkommen. Drei Wahlen in Folge musste die LSAP Stimmen einbüßen, nun zeigt die Kurve wieder nach oben. Die Karte Luxemburgs ist am Wahlsonntag wieder ein kleines bisschen roter geworden. In insgesamt acht Gemeinden konnte die LSAP stärkste Kraft werden, drei mehr als bei den vergangenen Parlamentswahlen. Fünf dieser acht Gemeinden liegen im Süden, dem einstigen Kernland der Arbeiterpartei: Steinfort, Petingen, Differdingen, Sanem und Schifflingen. Hier übertraf die LSAP die stärkste Kraft von 2018, die CSV. In der Gemeinde Düdelingen holte die LSAP traditionsgemäß mit 33,75 Prozent ihr stärkstes Ergebnis. In den benachbarten Grenzgemeinden liegt sie überall um die 25 Prozent.
Von einer Rückkehr alter Zeiten kann jedoch keinesfalls die Rede sein. Das sieht auch Régis Moes so, ehemaliger Juso-Präsident, Gemeinderat in Niederanven und in diesem Jahr zum dritten Mal Kandidat bei den Nationalwahlen. „Die LSAP ist heute eine ganz andere Partei als zu meinem Eintritt vor 21 Jahren“, sagt Moes. „Damals war die Verbindung zu Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen noch viel ausgeprägter.“ Heute seien diese Verbindungen quasi nicht mehr existent.
Die Rückkehr der Arbeiterpartei?
Eine Entwicklung, die die Sozialdemokratie nicht nur in Luxemburg erlebt. Immer wieder wurde der LSAP in den vergangenen Jahren vorgeworfen, man habe sich von der historischen Parteibasis, den Arbeitern, entfremdet. Stichwort: Kaviarsozialismus. Dabei ist es nicht nur die Partei, die sich verändert hat. Auch die Gesellschaft ist heute eine andere. Die Arbeiterklasse gibt es in ihrer klassischen Form kaum noch. Was aber nicht heißt, dass es keine prekären Arbeitsverhältnisse mehr gibt. Sie haben lediglich ihre Erscheinungsform verändert. Ersetzt wurde die Arbeiterklasse in Teilen durch etwas, was der italienische Publizist Silvio Lorusso „Entreprecariat“ nennt – eine Wortneuschöpfung aus den Begriffen „Entrepreneur“ und „Prekariat“. Menschen, die auf dem Papier selbstständig sind, zum Beispiel mit Online-Plattformen wie Lieferdiensten zusammenarbeiten, in Wirklichkeit aber trotzdem in ausbeuterischen Abhängigkeitsverhältnissen stecken.
Das Problem: Viele dieser prekären Entrepreneure sehen sich selbst nicht als ausgebeutete Arbeiter. Sie sind schließlich Unternehmer, die für ihren Erfolg oder Misserfolg scheinbar selbst verantwortlich sind. Strukturen wie Gewerkschaften oder geschweige denn Arbeitskampf haben in dieser hyperindividualisierten Welt des Plattformkapitalismus kaum noch Platz. Jeder für sich und Gott gegen alle. Wo soll man da als Partei den Hebel ansetzen? Hinzukommt ein weiteres, spezifisch luxemburgisches Problem, das die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse erschwert: Die Arbeiter, die es heute noch gibt, sind meist Ausländer, die in Luxemburg sowieso nicht wählen dürfen.
Auch wenn bei diesen Wahlen sowohl LSAP als auch CSV ihren Abwärtstrend aufhalten konnten, geht die Zeit der Volksparteien langsam zu Ende. Auch in Luxemburg hat sich die Parteienlandschaft mehr und mehr zersplittert. Die Wählerstimmen verteilen sich auf ein immer größer werdendes Parteienspektrum. Daten zur Wählerwanderung gibt es hierzulande nicht. Wenn man sich jedoch die Gewinne und Verluste der Parteien in den einzelnen Gemeinden anschaut, lassen sich ein paar interessante Beobachtungen machen.
Grüne Verlierer, rote Gewinner
Dort, wo die LSAP an der CSV vorbeiziehen konnte, wurden „déi gréng“ ganz besonders hart abgestraft. In Differdingen erlebt die Partei ihre größten Verluste im Land, fast 13 Prozent weniger Wähler als 2018. Auch in Petingen und anderen Gemeinden im Süden liegen die Verluste bei um die zehn Prozent, in vielen Gemeinden haben „déi gréng“ zwei Drittel ihrer Stimmen verloren. Ebendort, wo die LSAP im Vergleich zu 2018 zulegen konnte. Es liegt also nahe, dass einige Grünen-Wähler aus 2018 in diesem Jahr ihre Kreuzchen bei der LSAP gemacht haben.
Dasselbe Bild zeigt sich auch im Osten. Dort konnte die LSAP zwar nur in einer Gemeinde stärkste Kraft werden, das aber wiederum mit einem der größten Zugewinne dieser Wahl. In Berdorf, der Heimatgemeinde von Ost-Spitzenkandidat Ben Streff, holte die LSAP 1.543 Stimmen, ein Zuwachs von mehr als acht Prozent. Auch hier könnte die LSAP vom Absturz von „déi gréng“ profitiert haben. Denn Berdorf zählt mit einem Minus von mehr als zehn Prozent auch zu den größten Verlusten der Grünen in diesem Jahr.
Der Lenert-Effekt, exklusiv im Osten
Die Daten legen also eine Wählerwanderung innerhalb des linken Spektrums von „déi gréng“ zur LSAP nahe. Was sie aber vor allem zeigen: Der Paulette-Lenert-Effekt war real und er hat gewirkt – aber nur dort, wo man Lenert direkt wählen konnte. Von den zehn Gemeinden mit dem meisten Zugewinn für die LSAP bei der Wahl 2023 liegen acht in Lenerts Heimatbezirk Osten – mit Werten von 5,14 Prozent in Consdorf bis zum nationalen Spitzenreiter Schengen mit 8,7 Prozent. In Bous-Waldbredimus hat die LSAP dank Lenert 5,1 Prozentpunkte zulegen können. In der angrenzenden Gemeinde Contern, die schon zum Zentrum zählt und wo Lenert nicht auf der Liste stand, muss die LSAP hingegen einen Verlust von 1,7 Prozent hinnehmen.
War es ein Fehler, Lenert im verhältnismäßig kleinen Osten antreten zu lassen? Statt wie für nationale Spitzenkandidaten üblich im Zentrum, wo mehr Menschen sie hätten wählen können und sie somit in absoluten Zahlen mehr Stimmen für die LSAP eingebracht hätte? Vielleicht wäre der LSAP am Ende ein Sitz mehr zugefallen. Die Gambia-Koalition hätten sie damit aber auch nicht retten können.
Die LSAP hat in diesem Jahr einen sehr personalisierten Wahlkampf geführt, inspiriert von Anke Rehlinger und ihrer sehr erfolgreichen Landtagswahlkampagne im Saarland (und unterstützt von derselben Agentur). Wer personalisiert, muss auch auf die Person eingehen, die im Zentrum der Kampagne steht. Für Parteipräsidentin Francine Closener stellte sich die Frage nicht, Lenert irgendwo anders als im Osten antreten zu lassen, weil dies der einzige Bezirk sei, in dem sie sich authentisch und wohl fühlen würde. Dass das ein Risiko gewesen sei, dem sei man sich bei der LSAP bewusst gewesen, sagt Liz Braz. Lenerts Wunsch sei jedoch wichtiger gewesen. Als Fehler will die Ost-Kandidatur niemand bezeichnen. Aus den Reihen der Mitglieder hört man in der Wahlnacht jedoch auch Kritik an dieser Entscheidung.
Der Lenert-Effekt konnte sich nicht spürbar auf die Wähler in den anderen Bezirken jenseits des Ostens ausweiten. Nichtsdestotrotz scheint er aber auf die Partei selbst gewirkt zu haben. „Im Vergleich zu den beiden vorherigen Wahlen, die ich miterlebt habe, hatte ich das Gefühl, dass die Partei eine ausgeprägtere, eigene Identität hat, ein neues Selbstbewusstsein“, sagt Régis Moes. „Ich stelle auf jeden Fall eine neue Dynamik und ein neues Selbstbewusstsein fest.“ Auch Ben Streff, neben Lenert Spitzenkandidat im Osten und Wahlkampfmanager der LSAP, sprach im Vorfeld der Wahlen davon, wie sehr sich das Innenleben der Partei verändert habe. Man habe Strukturen neu aufgebaut, das Team sei jünger geworden.
Die LSAP wird jünger und weiblicher
Das zeigt sich auch an den Gesichtern der gewählten Abgeordneten. Mit Liz Braz im Süden und Claire Delcourt im Zentrum ziehen für die LSAP zwei junge Politikerinnen in die Chamber. Überhaupt sind fünf der elf gewählten LSAP-Abgeordneten Frauen. Eine bessere Quote haben nur „déi gréng“, die ihre vier Sitze paritätisch teilen. Die CSV stellt genauso viele Frauen wie die LSAP, hat aber fast doppelt so viele Sitze. Eine erfolgreiche Veränderung für die LSAP. Vor allem, wenn man bedenkt, dass sich bei der vergangenen Parlamentswahl 2018 unter den zehn gewählten Abgeordneten nicht eine einzige Frau befand.
Die LSAP ist also weiblicher geworden. Und jünger. Das Durchschnittsalter der vergangenen Fraktion lag bei 55,8 Jahren. Die neuen Abgeordneten sind im Schnitt 51,4 Jahre alt. Mit Liz Braz stellt die LSAP, gemeinsam mit der DP in Person von Luc Emering, die jüngste Abgeordnete im Parlament. Traditionellerweise werden Braz und Emering die erste Parlamentssitzung der neuen Legislaturperiode leiten. Ab dann wird sich zeigen, ob die LSAP den Weg der Veränderung, den sie gerade erst begonnen hat, weiter beschreiten kann.
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Ab 1945 hat die durch völkischen Rechtspopulismus belastete CSV geholfen, ein internationales gesellschaftliches Klima des Schweigens zu etablieren. Nach der Lektüre des Buches „Deutsche Kultur- und Volkstumspolitik von 1933-1940 in Luxemburg“ des luxemburgischen Historikers Emile KRIER ist mir klargeworden, dass nur die international vernetzten Sozialisten das Integritätspotential zur Bewusstmachung dieser historischen Aus- und Verblendung aufweisen.
MfG
Robert Hottua
« …das Tempo, mit dem Formateur Luc Frieden die Koalitionsgespräche zwischen CSV und DP aufs Gleis gestellt hat – ohne überhaupt intensiver mit der LSAP zu sondieren…. »
Majo, wat ass dann 2013 an 2018 geschitt? Do woaren d’LSAP, d’DP an déi Gréng net besser…
Et soll elo kee jéimeren vun deenen, alea jacta est, point à la ligne.
Wird aber auch höchste Zeit für eine spürbar grundlegegende Veränderung die dem S im Parteinamen gerecht wird. Allerdings gibt es auch eine Erklärung für die Stagnation der LSAP. unsere Gesellschaft hat sich von grundauf verändert und es ist eine bewiesene Tatsache, dass Reichtum und Wohlstand zu einem Mangel an Empathie führen und Neid schüren. Körperliche Arbeit ist verpönt, die wird den Ausländern überlassen, das Handwerk ist grösstenteils auf die Grenzgänger angewiesen, im Gesundheitssektor ist es nicht besser, unser Schulsystem känkelt seit Längerem und man hat einfach das Gefühl, dass Finanzwesen, Holdingsgesellschaften und Mammutbetriebe das Sagen haben und die Politik ihnen gegenüber “ machtlos“ ist oder zumindest in ihrem Sinne regiert. Und wer glaubt, dass die Neuwähler oder die eingebürgerten Ausländer links wählen, der hat sich gewaltig geirrt.Da tun Auf-und Erklärung, Zuwendung und Handeln Not. Die Reichen werden gefördert, die Armen bleiben auf der Strecke, als ob es sie nicht gäbe. Die nächsten 5 Jahre, mit dieser Koalition, hat die Wirtschaft das Sagen auf Kosten des Grossteils der Bevölkerung, die das scheinbar so will und auch ohne zu mucksen hinnimmt. Es ist jetzt die Rolle und die verdammte Pflicht der Sozialisten , als grösste Oppositionspartei, unermüdlich gegen diese Missstände anzugehen und permanent auf sie hinzuweisen. Sowohl auf kommunaler als auch auf nationaler Ebene. Die LSAP muss wieder die Partei des Volkes werden, eine Partei in der sich die Vernachlässigten wiedererkennen. Sie muss Vertrauen aufbauen und wiedergewinnen. In 10 Jahren Gambia, hatte die LSAP Angst vor der eigenen Courage. Sie muss das Kämpfen wieder lernen ! Und die Jugend für sich gewinnen.
@ en ale Sozi : komplett averstanen mat Iech. «Gudd gebrëllt, (rou’de) Léiw !»
Fir mäi Pefferkär bäizeléen, well ech dem Här Bodry seng Initiativ >>für ein „gemeinsames regierungstaugliches sozial-ökologisches Projekt“.<< ënnersträichen, déi mer och net sollen aus eisen alen Aë verléieren. Erneierung kann och Hand-an-Hand geschéien ( vielläicht gesäit zeguer den Här Goebbels daat nach enges Daags an, nodeems säi jorelangt Gestänkers géint di Gréng – a mengen alen Aën – zumindest net onschëlleg ass um Regierungsverloscht).