/ Die magischen 20 Prozent Biolandwirtschaft: Die Ziele der Politik und der Bauern vor Ort
Die Ziele im Koalitionsabkommen zur Biolandwirtschaft sind ehrgeizig. 20 Prozent der landwirtschaftlich bewirtschafteten Fläche in Luxemburg sollen es bis 2025 sein und bis 2050 sogar 100 Prozent. Jean-Marie Kaes (32) hat einen Bio-Hof in Hoscheid-Dickt und ist Biobauer aus Überzeugung. Gleichzeitig vertritt er die Interessen seiner Branche als Präsident von „Bio Lëtzebuerg“. Was sagen die Praktiker dazu?
Jean-Marie Kaes (32) hat sich schon sehr früh entschieden, Landwirt zu werden. Er stammt aus einem bäuerlichen Umfeld. Seine Eltern und er helfen, solange er denken kann, auf dem Hof in Hoscheid-Dickt. Er ist Familiensitz, gehört dem Onkel und als der Hof auslaufen soll, steckt der Neffe gerade vor dem Abitur. Er legt es ab und gönnt sich danach eine Orientierungsphase von einem Jahr im heimischen Betrieb. Konventionell wird er nicht weitermachen. Wenn er den Hof übernimmt, muss die Umstellung kommen. Er wird Geld in die Hand nehmen müssen. „Hier wurde nichts mehr investiert“, sagt er. Den alten Stall direkt hinter dem Haus reißt er ab, ein neuer wird allerdings nicht genehmigt. „Hier ist alles als Wohngebiet klassiert“, erklärt Jean-Marie Kaes, „das hat keiner von uns so richtig mitgekriegt.“
Die Familie beschließt die Aussiedelung auf ein Grundstück etwa einen Kilometer entfernt, näher bei den Weiden, nah am Vieh. Eine Million Euro investiert Kaes, ohne den Betrieb vergrößern zu wollen. Hauptstandbein bleibt die Milchwirtschaft mit 30 Milchkühen. 12.000 Liter liefert der Hof durchschnittlich pro Monat an die Genossenschaftsmolkerei in Bascharage. Die vier Schweine und acht Schafe spielen für den Ertrag eine nur marginale Rolle wie der Gemüseanbau auf 50 Ar von 55 größtenteils gepachteten Hektaren. Stall und Maschinenschuppen stehen schon, das Wohnhaus wächst gerade „mit viel Eigenarbeit“. Deswegen bleibt kaum Zeit, die Direktvermarktung für Gemüse oder das Schlachtfleisch über den hofeigenen „Biomat“ hinaus, der 24 Stunden pro Tag Hofprodukte bereitstellt, auszubauen. Abgesehen von dem Maschinenpark, den jeder Hof für die tägliche Arbeit braucht, gibt es jetzt auch eine Heutrocknung. Seine Kühe bekommen ganzjährig Grünfutter – selbst produziert. Die Demeter-Zertifizierung als Anerkennung der Einhaltung höchster Standards teilt Kaes sich mit nur sieben anderen Betrieben. „Wir sind ein ganz kleiner Klub hier im Land“, sagt er.
Hof soll klein bleiben
So besonnen und reflektiert wie Jean-Marie Kaes seinen Werdegang in der Landwirtschaft schildert, so schnell ist gleichzeitig klar, die Branche hat viel Arbeit vor sich. Es ist nicht nur der eigene Hof, der von morgens bis abends täglich Einsatz verlangt. Innerhalb der Landwirtschaft knirscht es zuweilen gewaltig zwischen konventionell arbeitenden Bauern und den Bio-Kollegen. Auf politischer Ebene fehlt es an Lobby und Aufklärung und viele Konsumenten halten Bio für Sektierertum von Besserverdienern. Am anderen Ende stehen die magischen 20 Prozent Fläche, die die Politik in sechs Jahren auf biologische Bewirtschaftung umstellen will.
„Ich wollte nicht vergrößern“, meint Kaes, „der Betrieb soll überschaubar und standortgerecht bleiben.“ Sätze wie diese würde ein konventioneller Bauer nicht sagen. Deren Wirtschaftskonzept folgt der seit Jahrzehnten gepredigten Formel, die auf Masse an Tiere und Wachstum an Fläche setzt. Das belohnen EU und nationale Politik mit der bisherigen Agrarpolitik. Die biologisch-dynamische Wertschöpfungskette ist das genaue Gegenteil. Darin mag auch der Grund dafür liegen, dass die Biokollegen bei den konventionellen Bauern als „Nestbeschmutzer“ gelten. Kaes spricht sogar von „Hetzjagd“ der Berufsverbände aufeinander, weil die Ziele unvereinbar scheinen. Das schürt Ängste unter denen, die umstellen wollen. „Das ist nur zu lösen, wenn alle Parteien sich klar für die Bio-Landwirtschaft aussprechen“, erklärt Kaes mit Blick auf die konventionellen Kollegen, bekanntermaßen eine eher konservative Klientel.
Er sagt das auch mit Blick auf den politischen Apparat direkt unterhalb des Ministers. Auch dort schlägt den Biobauern oftmals Ablehnung entgegen. „Ältere Kollegen erzählen gerne vom ’ersten Mal‘ im Ministerium“, berichtet Kaes, „von Belächelung bis Verachtung. Das sind aber teilweise die Beamten, die den Minister heute beraten.“
Ausbau des Bio-Aktionsplans
Außerdem reicht die Lobbyarbeit nicht aus. 4,1 Prozent (Stand: 2017) der landwirtschaftlich bewirtschafteten Fläche im Land werden nach Angaben der „Administration des services techniques de l’agriculture“ (ASTA) biologisch bewirtschaftet. „Wenn wir Bio so ausbauen wollen wie geplant, dann müssen wir auch deutlich zeigen, was Mehrwert und Vorteile sind“, erörtert Kaes in seiner Funktion als Präsident von „Bio Lëtzebuerg“. Der Verband fordert den Ausbau des „Bio-Aktionsplans“. Mit den bisherigen rund 100.000 Euro Budget für Seminare, Teilnahmen an Messen, Workshops, Vorträgen oder Kampagnen kommt man nicht weit.
Überlegungen, Bio weiter voranzutreiben, indem man die Preise für die Produkte über eine spezielle Prämie senkt, lehnt der Verband kategorisch ab. Niedrige Preise haben einst zur Massenproduktion geführt. Zudem liegt dem aus Verbandsaugen ein Denkfehler zugrunde. „Würde man die Kosten für Schäden durch die konventionelle Landwirtschaft auf deren Produkte umlegen, sind sie teurer als Bio-Produkte“, rechnet Kaes vor. Wenn Grundwasser zu hoch mit Schadstoffen belastet ist und der Anbieter mehr Filterungen machen muss, um Trinkwasserqualität zu liefern, zahlt das bislang der Steuerzahler. „Das Geld wäre besser beim Konsumenten eingesetzt“, sagt Kaes und denkt an die Subventionierung von Bio-Menüs in öffentlichen Kantinen.
Das ändert nichts daran, dass ein faires Einkommen für die Bauern eine Forderung bleibt sowie die Förderung von kleinen Betrieben. Kaes’ Vater , ein pensionierter Beamter der Post, und seine Mutter helfen nach wie vor im Betrieb mit. Sein Bruder nimmt Urlaub, wenn die Ernte im Sommer ansteht. Ohne das würde es nicht gehen. Das erhärtet die von „Bio Lëtzebuerg“ offen formulierte Feststellung, dass mehr Geld an der Landwirtschaft als mit der Landwirtschaft verdient wird. „Die Unternehmen, die Pflanzenschutzmittel, Dünger oder landwirtschaftliche Maschinen produzieren, verdienen“, meint Kaes, „von den Subventionen an die Bauern bleibt vor allem auf kleinen Höfen nicht viel übrig.“
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