/ Die Mediatorin: Innenministerin Taina Bofferding über die Neuordnung Luxemburgs
Taina Bofferding liebt es hell. Trotzdem kommt ihr Büro an diesem Tag nicht ohne Rollos aus. Sie „dimmen“ das gleißende Sonnenlicht und werfen Schatten auf den mit prall gefüllten Ordnern beladenen Schreibtisch. Die Atmosphäre ist dezent-elegant. Ähnlich zurückhaltend definiert die Innenministerin ihre Rolle bei der Reform des Gemeindegesetzes. Sie will den Prozess anstoßen, aber dann in erster Linie begleiten und dabei helfen, Konsens zu finden.
Tageblatt: Die Fusionen sollen weitergehen. 116 Gemeinden sind auf 102 reduziert. Das Wunschziel sind 70. Was machen Sie mit Gemeinden, die nicht „heiraten“ wollen?
Taina Bofferding: (lacht) Ich werde sie nicht dazu zwingen. Mir ist die Freiwilligkeit wichtig. Dazu stehe ich. Die Bevölkerung soll entscheiden. Im Moment laufen die Gespräche mit den fünf Gemeinden der „Nordstad“. Wir im Innenministerium werden bei dieser Fusion helfen, wo wir können.
„Nordstad“ ist ein gutes Stichwort. Wie wichtig ist dieser Zusammenschluss für das Land?
Die betreffenden Gemeinden arbeiten ja schon länger zusammen. Sie haben bewiesen, dass es geht. Aus Sicht des Ministeriums ist dieser „Pole“ wichtig, damit wir den Norden weiterentwickeln können.
Wo wir schon bei den Regionen sind: Sind die Kantone, die die vier Wahlbezirke bilden, noch zeitgemäß? Es gibt ja wechselwillige Gemeinden, Beispiel Leudelingen und Kopstal.
Bei Leudelingen habe ich meine Zweifel, ob die Bürger das wirklich wollen. Der Schöffenrat hat ja ganz klar Position bezogen, das Referendum wurde abgelehnt. Ich verfolge die Entwicklungen sehr genau. Im Koalitionsabkommen ist zwar nichts vorgesehen, aber wenn der Bedarf da ist, müssen wir auch darüber diskutieren. Was ist, wenn wir nur noch einen Wahlbezirk haben? Das wird die entscheidende Frage werden.
Aus Kopstal gibt aber es klare Signale …
Das stimmt. Aber einen Gesetzestext zu ändern ist das eine, eine Verfassungsänderung ist wesentlich schwieriger. Das heißt aber nicht, dass wir das ignorieren.
Kommen wir zu den Gemeinden. Welche Rolle sollen sie im großen Ganzen zukünftig spielen? Sie sind die erste Anlaufstelle für die Bürger …
Das, was hier aus dem Innenministerium kommt, ist die Reform des Gemeindegesetzes. Das geltende Gesetz hat 30 Jahre „auf dem Buckel“. Die Gemeinden sind in der Zwischenzeit gewachsen, sie haben neue Aufgaben. Ich sehe das neue Gesetz als große Chance, ihre Rolle neu zu definieren. Wir wollen helfen, den legislativen Rahmen dafür zu finden.
„Maison relais“, Sporteinrichtungen oder Kultur sind fakultative Aufgaben der Gemeinden. Sie können, müssen aber nicht. Ist das noch zeitgemäß? Die Realitäten sehen doch längst anders aus …
Das ist richtig. Ich persönlich finde, wenn wir jetzt das alte Gesetz auf den Kopf stellen, müssen wir uns auch fragen: Was sind die sozialen Aufgaben von Gemeinden? Was können sie leisten? Was müssen sie leisten? Auch da muss mit dem neuen Gesetz ein legislativer Rahmen her.
Die Trennung von „député“ und „maire“ steht zur Diskussion. Was bedeutet die Trennung der Mandate im politischen Alltag?
Es ist wichtig, dass wir im Parlament Politiker sitzen haben, die die Gemeinden kennen und wissen, wo dort der „Schuh drückt“. Es darf nicht sein, dass wir im Parlament Gesetze verabschieden, die dann vor Ort nicht umgesetzt werden können. Damit ist niemandem geholfen. Wie die Gemeinden eingebunden werden, steht noch nicht fest. Eine „Extra-Chamber“ für Gemeindevertreter oder ein Senat oder der Syvicol (Verband der Gemeinden, Anm. d. Red), der mehr Rechte bekommt – da ist vieles denkbar.
Das Syvicol will mehr Rechte und mehr Gewicht. Ist das Syndikat bislang ein „zahnloser Tiger“, dem man zwar freundlich zuhört, aber nicht mehr?
Nein. Für mich, ist das Syvicol ein extrem wichtiger Partner. Gerade bei der Reform des Gemeindegesetzes sind sie für mich sogar ein privilegierter Partner.
Der „député-maire“ ist für die Arbeit der Gemeinden freigestellt. In den allermeisten Gemeinden müssen die Bürgermeister ihre Arbeit in 20 Stunden „congé politique“ erledigen. Geht das noch auf?
Ich habe bereits gesagt, ich bin bereit, darüber zu diskutieren. Diese Mandatsträger melden sich ja freiwillig, um ihre Arbeit für die Gemeinde zu machen. Dann müssen sie auch genug Zeit haben, um das zu machen. Wir wollen noch mehr Leute aus dem Privatsektor dafür gewinnen. Dann muss der gesetzliche Rahmen es aber auch einfacher machen, diese Personen freizustellen und es muss über die Anzahl der Stunden nachgedacht werden.
Die Gemeinden fordern mehr Autonomie darin, wie sie sich organisieren. Das betrifft das Personal. Sehen Sie das auch so?
Genau deshalb machen wir die Reform. Diese Fragen sollen behandelt werden. Was muss vom Innenministerium genehmigt werden, was nicht? Was macht Sinn? Ich glaube, da sind wir uns auch ganz schnell einig mit den Gemeinden. Verschiedenes muss vereinfacht werden. Vor allem die Angelegenheiten, die den „intérêt national“ betreffen.
Dem Land eilt der Ruf voraus, dass jeder jeden kennt. Wie wird Vetternwirtschaft kontrolliert?
Wir haben Gesetze hier im Land, deren Einhaltung vom Innenministerium kontrolliert wird. Und jeder Gemeindepolitiker hier im Land trägt Verantwortung dafür, wer in der Gemeinde eingestellt wird.
Vieles geht zwischen Innenministerium und den Gemeinden noch auf Papier hin und her. Müsste da nicht auch etwas passieren?
Absolut. Ziel des neuen Gemeindegesetzes ist es, dass der Austausch zukünftig „papierloser“ wird. Da ist viel zu tun.
Die Gemeinden klagen über langwierige Genehmigungsverfahren. Bei Verkehrsreglementen sind gleich zwei Ministerien beteiligt. „Doppelt gemoppelt“, sagen viele. Sie auch?
Da müssen wir schauen, wie wir die Prozedur vereinfachen können, um den Gemeinden entgegenzukommen. Nichtsdestotrotz hat das Innenministerium aber eine Überwachungsfunktion gegenüber den Gemeinden. Das wollen wir nicht aufgeben.
Viele Gemeinden arbeiten gerade mit Hochdruck am neuen Bebauungsplan (PAG). Im November läuft die Abgabefrist aus. Das Koalitionsabkommen sieht Sanktionen vor …
Fakt ist: Alle Änderungen am PAG, die nach dem 1. November eingereicht werden, werden nicht mehr berücksichtigt. Außerdem sind finanzielle Sanktionen vorgesehen. Ich werde die Frist auch nicht verlängern. Aber die zuständige Abteilung schaut gerade, wo es hapert und wie wir den Gemeinden als Ministerium helfen können.
Sie haben sich viel Arbeit vorgenommen. Schaffen Sie das überhaupt in einer Legislaturperiode?
(lacht) Ich gebe mir viel Mühe und bin motiviert, das zu schaffen. Mein Team ist übrigens genauso motiviert.
Veränderte Landschaft: Fusionen seit 2005
Die ersten, die nach der Territorialreform 2005 fusionierten, waren die beiden Gemeinden Bastendorf und Fouhren, die die neue Gemeinde Tandel bildeten. Das war am 1. Januar 2006. Rund 2.000 Einwohner leben verteilt auf elf Ortschaften. Aus der Fusion von Schengen, Wellenstein und Bürmeringen entstand 2011 die Fusionsgemeinde Schengen mit knapp 5.000 Einwohnern in neun Orten.
Clerf, Heinerscheid und Munshausen schlossen sich 2011 zur Fusionsgemeinde „Gemeng Cliärref“ zusammen. Knapp 5.400 Einwohner leben auf 17 Ortschaften und acht Weiler verteilt. Im gleichen Jahr fusionierten Esch/Sauer, Heiderscheid und Neunhausen zur Fusionsgemeinde Esch/Sauer. Diese zählt knapp 2.700 Einwohner in 13 Orten.
Ebenfalls 2011 wurde aus Ermsdorf und Medernach die „Äerenzdallgemeng“. Rund 2.600 Einwohner leben in sieben Ortschaften. Niederkerschen und Küntzig fusionierten im gleichen Jahr zur Gemeinde Käerjeng. Daraus entstand eine Kommune mit rund 10.250 Einwohnern, die auf fünf Ortschaften verteilt leben.
2012 schlossen sich Consthum, Hoscheid und Hosingen zur Gemeinde Parc Hosingen zusammen. Rund 3.600 Menschen leben dort auf 13 Ortschaften verteilt.
2015 fusionierte die Ardennenstadt Wiltz mit der Gemeinde Eschweiler. Rund 7.000 Einwohner leben auf sieben Orten verteilt.
Aus Böwingen/Attert und Tüntingen wurde 2018 die Gemeinde Helperknapp mit rund 4.500 Einwohnern, verteilt auf zwölf Ortschaften. Im gleichen Jahr fusionierten Simmern und Hobscheid zur Gemeinde „Habscht“. Sie zählt rund 3.500 Einwohner, die sich auf sieben Orte verteilen. 2018 fusionierten ebenfalls Rosport und Mompach. In der neuen Gemeinde leben rund 3.700 Einwohner in 14 Orten.
Die nächste Fusion, deren Modalitäten gerade ausgelotet werden, ist jene von Bettendorf, Diekirch, Erpeldingen/Sauer, Ettelbrück und Schieren zur „Nordstad“. Colmar-Berg hatte zuvor abgewinkt.
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Die „Neuordnung Luxemburgs“? Ehrlich gesagt, hat mir die alte Ordnung ganz gut gefallen. Wieso eigentlich glaubt jeder neu arrivierte Politiker, er müsste sogleich das Rad neu erfinden?
Es geht hier nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Es geht darum, alte Territorialaufteilungen den Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte anzupassen, d.h. ein paar Kantons- und somit Bezirksgrenzen so zu korrigieren, dass sie den Verflechtungen und Aktivitätsmustern, wie sie sich heute darstellen, gerecht werden. Es kann nicht sein, dass solche sich aufdrängenden Änderungen unter dem ständig bemühten Verweis (oder Vorwand?), das alles sei zu kompliziert, dafür brauche es eine Verfassungsänderung usw., immer wieder abgeschmettert werden. Übrigens können Verfassungsparagrafen durchaus geändert werden. Der gesunde Menschenverstand verlangt dies gelegentlich!
Selbst in der sehr konservativen, ebenfalls in Kantone eingeteilten Schweiz war es möglich, dass sich das Laufental nahe Basel, das ewige Zeiten zum Kanton Bern gehörte, nach der Bildung des (französischsprachigen) Kantons Jura dem Kanton Basel-Land anschloss. Die Menschen dort fühlten sich zu sehr von Bern abgeschnitten und Basel lag ihnen einfach näher.
Und ganz ähnlich verhält es sich mit Kopstal/Bridel und Leudelingen, die zum Zentrum wechseln müssten, sowie Colmar-Berg, dessen Verflechtungen klar im „Nordstad“-Raum liegen, das den Bezirk Zentrum verlassen und zum Kanton Diekirch wechseln müsste. Damit zusammenkommt, was zusammengehört.