Iran / Die Mullahs lassen einen neuen Präsidenten wählen
Wirtschaftskrise, Massenproteste und der eskalierende Nahost-Konflikt: In einer äußerst angespannten Lage wählen die Menschen im Iran am Freitag einen neuen Präsidenten.
Im Mai war der bisherige Präsident Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen. Die ursprünglich für 2025 geplante Wahl musste deshalb vorgezogen werden. Der ultrakonservative Wächterrat hat sechs Kandidaten zugelassen, unter ihnen nur ein einziger Reformer. Aber nur noch vier Kandidaten stehen am Freitag zur Wahl, nachdem zwei ultrakonservative Bewerber ihre Kandidatur zurückgezogen haben.
Als Reformer geht der 69-jährige Parlamentsabgeordnete Massud Peseschkian bei der Wahl als einer von drei Favoriten ins Rennen. Als aussichtsreiche Kandidaten gelten auch der konservative Parlamentspräsident Mohammad-Bagher Ghalibaf und der ultrakonservative Ex-Atomunterhändler Said Dschalili. Aus dem konservativen Lager tritt auch der Geistliche Mostafa Purmohammadi an.
Seine Kandidatur zurückgezogen hat der amtierende Vizepräsident Amir Hossein Ghasisadeh-Haschemi, der die ultrakonservative Märtyrer-Stiftung leitet. Er rief das konservative und ultrakonservative Lager auf, sich auf einen Kandidaten zu einigen. Wenig später zog am Donnerstag auch der ultrakonservative Bürgermeister von Teheran, Aliresa Sakani, seine Bewerbung zurück.
Der Wahlkampf verlief weitgehend unspektakulär. Alle Kandidaten versprachen in TV-Debatten, die wirtschaftlichen Probleme des Landes wie die massive Inflation und den drastischen Verfall der iranischen Währung anzugehen. Unterschiedliche Ansichten vertraten sie bei den Beziehungen zum Westen.
Als weitere große Herausforderung sieht der Experte Ali Vaez von der International Crisis Group die sich vertiefende „Kluft zwischen Staat und Gesellschaft“. Bisher habe keiner der Kandidaten „einen konkreten Plan“ vorgelegt, wie er mit diesem Problem umgehen wolle.
Wieder geringe Wahlbeteiligung erwartet
Das geistliche Oberhaupt des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, hat die Menschen zu einer „hohen Beteiligung“ an der Wahl aufgerufen. Bei der Wahl Raisis 2021, vor der der Wächterrat nur sieben Kandidaten zugelassen und ebenfalls zahlreiche moderate Politiker und Reformer ausgeschlossen hatte, war die Wahlbeteiligung mit knapp 49 Prozent auf den niedrigsten Stand seit Gründung der Islamischen Republik 1979 gesunken.
Auch in diesem Jahr sind viele Menschen unschlüssig, ob sie zur Wahl gehen sollen oder nicht. Auf große Veränderungen hofft kaum jemand. „Ich werde auf keinen Fall wählen“, sagt etwa die Ingenieurin Neda, die nur ihren Vornamen nennen will. „Egal, wer den Posten bekommt, keiner von ihnen ist dem Land wohlgesonnen. Meine Stimme wird nichts bewirken.“ Die Hausfrau Dschaleh will dagegen für Reformer Peseschkian stimmen. Er sei ein Mann „aus dem Volk“ und werde etwas gegen Armut und Arbeitslosigkeit tun.
Die Ex-Präsidenten Hassan Ruhani und Mohammad Chatami sowie der frühere Außenminister Mohammed Dschawad Sarif haben ebenfalls zur Wahl Peseschkians aufgerufen. Manche Iraner sind allerdings der Meinung, dass es dem Herzchirurgen aus der nordiranischen Stadt Täbris an Regierungserfahrung mangelt – er war bisher lediglich Gesundheitsminister und das ist auch schon 20 Jahre her.
Kopftuchpflicht bleibt ein Thema
Ghalibaf ist dagegen ein erfahrener Politiker und gehörte zudem der mächtigen Revolutionsgarde an. Ex-Atomunterhändler Dschalili, der für seine harte Haltung gegenüber dem Westen bekannt ist, kann auf die Unterstützung der Hardliner setzen.
Ein Thema, das seit den Massenprotesten nach dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini im Jahr 2022 viele Menschen im Iran bewegt, ist auch die strenge Kopftuchpflicht für Frauen. Die 22-jährige Amini war wegen eines angeblich nicht vorschriftsgemäß getragenen Kopftuchs von der Sittenpolizei festgenommen worden. Ihr Tod löste wochenlange Proteste gegen die iranische Regierung aus. Seitdem gehen immer mehr Frauen im Iran aus Protest ohne Kopftuch auf die Straße. Seit einigen Monaten wird die Einhaltung der Kopftuchpflicht aber wieder verstärkt kontrolliert.
In den TV-Debatten äußerten sich die meisten Kandidaten vage und sprachen sich lediglich gegen ein gewaltsames Vorgehen gegen Frauen ohne Kopftuch aus. Nur Peseschkian übte vorsichtige Kritik. „Wir haben 40 Jahre lang versucht, das Hidschab-Problem zu lösen, aber wir haben die Situation nur verschlimmert“, sagte er im Wahlkampf.
Viele Frauen glauben nicht an eine rasche Lockerung. „Es ist für die Kandidaten schwer, ihre Versprechen zu erfüllen“, sagt die 31-jährige Marjam. Neda sagt: „Das Hidschab-Gesetz wird niemals aufgehoben, weil der Iran eine Islamische Republik ist.“ Sie könne sich nicht vorstellen, „dass irgendein Präsident bereit wäre, dieses Gesetz zu ändern“. (AFP)
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