/ Die Multitasker – Die Musiker Michel Meis und Pascal Schumacher im Gespräch
Sie verbindet vieles: Die Leidenschaft für die Vielfältigkeit ihres Instruments, das Ausleben ihrer musikalischen Tätigkeit in verschiedenen Genres sowie auch die Tatsache, dass sie beide diese Woche eigene Kompositionen vor Publikum darbieten. Was sie jedoch trennt, sind knapp zehn Jahre Erfahrung. Das Tageblatt hat sich demnach mit zwei unterschiedlichen Musikergenerationen unterhalten, deren Wege sich mittlerweile kreuzen.
Das bekannte Online-Wörterbuch namens „Urban Dictionary“ versteht unter „Multitasking“ unter anderem: „The act of looking at pornography and instant messaging at the same time“ oder auch „Juggling far too many tasks at the same time, half of which are light years away from your job description, because your boss is too much of a tight-arse to recruit properly“. Obschon diese Umschreibungen einen gewissen Unterhaltungswert haben, treffen sie im Zusammenhang mit den luxemburgischen Musikern Schumacher und Meis nicht zu. Und zwar nicht nur, weil sie ihre eigenen Bosse sind. Vielmehr ist es so, dass beide sich trotz ihrer jeweiligen Spezialisierungen und Vorlieben bewusst breit aufstellen.
Der Vibraphonist Pascal Schumacher, dessen Spielplan für 2019 grundverschiedene Kooperationen, aber eben auch Eigenproduktionen – wie die Präsentation von „Rosace 8.0“ heute Abend in der Philharmonie – aufweist, unterrichtet ebenfalls und nennt ein Label (Modulating Music) sein Eigen. Laut dem erfahrenen End-Dreißiger handelt es sich bei Multitasking in seinem Bereich um ein unumgängliches Phänomen unserer Zeit: „Unter anderem darin besteht die Kunst, heutzutage zu überleben. Es ist ebenso aber auch eine Generationsfrage. Viele junge Musiker sind heute breiter aufgestellt, als ich es zu Beginn meiner Laufbahn war. Die einen fangen eben an, andere ziehen nach. Machen es vielleicht sogar besser. Das geht dann fast lawinenartig weiter.“
Teil der Lawine
Ein Teil dieser Lawine ist der 29-jährige Schlagzeuger Michel Meis, welcher derweil noch in Saarbrücken studiert, Unterricht gibt und sich gerade auf das morgige Release-Konzert für sein erstes eigenes Album „Lost in Translation“ in Düdelingen vorbereitet. Nur von der eigenen Musik leben zu können, bezeichnet er einerseits als Traum eines jeden Musikers, „andererseits ist es schwer, in einem derart kleinen Land ausreichend Konzerte zu spielen, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es hat zudem seine Vorzüge, in unterschiedlichen Disziplinen tätig zu sein und beispielsweise neben dem Spielen auch zu unterrichten und zu komponieren. Das hält fit und den Kopf munter.“
Die Entwicklungen, die vor seiner Zeit stattfanden und Teile seines Weges ebneten, weiß Meis zu schätzen: „Unter anderem die einzelnen Konzerthäuser in Luxemburg haben zu einer essenziellen Veränderung beigetragen, wobei es das Kulturzentrum ,opderschmelz‘ definitiv hervorzuheben gilt. Durch die Qualität der dortigen Bookings wurde es möglich, den Spot nach Luxemburg zu richten. Und man darf nicht vergessen, dass das Residenz-System es uns Musikern erlaubt, unter professionellen Bedingungen intensiv zu arbeiten und uns weiterzuentwickeln.“
Kein Reinheitsgebot mehr
Zu jenem Zeitpunkt, als Pascal Schumachers musikalische Reise vor mehr als zwei Jahrzehnten begann, gab es bestimmte Strukturen noch nicht. Auch musste er sich für eine der beiden Festungen, nämlich den Jazz oder eben die Klassik, entscheiden, und das obwohl jenseits der Lehranstalten zahlreiche andere Genres koexistierten. Er widmete sich lange Zweiterer, studierte sie später und ging erst in einem weiteren Schritt zum Studium des Jazz über. Als Michel Meis erstmals zu den „Sticks“ griff, hatte sich in den Konservatorien und Musikschulen des Landes schon einiges getan. „Es war wichtig, dass Jazz-Departements in den Konservatorien entstanden. Dass auf eine Nachfrage ein Angebot folgte. Jetzt unterrichtet bereits jene Generation, die damals Kurse belegte. Mal sehen, wie es weitergeht mit denjenigen, die derzeit Kurse besuchen. Das Netz spannt sich auf jeden Fall immer weiter.“
Auch sein Studiengang an der Hochschule in Saarbrücken wird dem Zeitgeist gerecht: „Er trägt den Titel ,Jazz und aktuelle Musik‘, das weist auf bestimmte weiter gefasste Tendenzen hin. Es besuchen immer mehr junge Menschen Jazzkonzerte, und ich glaube schon, dass das auch an dem Brückenschlag zwischen mehreren Musikrichtungen liegt, der sich immer stärker ausbreitet.“
Dementsprechend legt der junge Schlagzeuger den Begriff des Multitaskings auch anders in Bezug auf sich selbst aus: „Ich höre und spiele sehr viele unterschiedliche Musikrichtungen. Meine ersten Schritte waren in der Klassik, danach kam Blues und Funk, es folgte der Jazz und durch Zufall dann auch Hardcore und Punk. Alles, was ich daraus kanalisiere, wird dann zu einem Stil, den ich in mir vereine.“ Ihm sei zwar während seiner Ausbildung häufiger ans Herz gelegt worden, sich mehr auf eine bestimmte Richtung zu konzentrieren, aber „ich bin nicht unbedingt damit einverstanden“, so Michel Meis, „mir scheint eine gewisse Freiheit da schon wichtiger. Es gibt längst nicht mehr nur Schwarz oder Weiß. Warum sollte man also nicht mischen?“
Suche nach dem musikalischen Ich
„Über einen gewissen Zeitraum streifte ich quasi unterschiedliche Identitäten über. Mittlerweile habe ich vieles über Bord geworfen, weil ich gemerkt habe, dass das nicht der richtige Pascal Schumacher ist.“ Durch sein letztes gemeinsames Projekt mit dem französischen Gitarristen Maxime Delpierre mit dem Titel „Drops and Points“ habe er eine Art Tabula rasa vollziehen können, um quasi auch seinen langjährigen Zuhörern zu zeigen, dass nun eine starke Veränderung ansteht und er neue Wege geht, obwohl Jazz noch immer eine wesentliche Rolle in seinem Leben spielt.
„Ich bin froh, dass ich eine gute Weile gewartet habe und quasi in jenem Moment, der an Purismus grenzte, einen radikalen Wechsel vollzog“, heißt es weiter. Mittlerweile verortet Schumacher sich und seine Musik eher in der sogenannten „Neo-Klassik“, obwohl er den in der Musikszene viel diskutierten Terminus problematisch findet, da er laut Schumacher die Komplexität dieser Musikrichtung noch nicht vollständig zu erfassen verstehe.
Logische Evolution der Klassik
Nichtsdestotrotz deute der Begriff zumindest darauf hin, dass es sich, wie Schumacher es nennt, um „eine ganz natürliche und logische Evolution der Klassik“ handele, in der er sich als stetig in Bewegung befindlicher Musiker wiederfindet.
Pascal Schumacher beneidet in einem gewissen Ausmaß sogar manche Autodidakten, die sich gar nicht erst von bestimmten Konventionen befreien müssen, und hält das Erlernen von Musik – zumindest auf der Ebene eines kreativen Schaffensprozesses – für Fluch und Segen zugleich. Michel Meis für seinen Teil glaubt, dass er ohne seine klassische Ausbildung technisch nicht da wäre, wo er heute ist. „Dies ist aber nur eine mögliche Art und Weise unter vielen, Kompetenzen zu erlangen. Es gibt auch Menschen, die unglaublich gut spielen ohne eben diesen Background.“
Absolute Perfektion solle ohnehin nicht das Ziel sein, meint Meis: „Wenn man dieses Wort im Zusammenhang mit Musik in den Mund nimmt, klingt es so, als sei man fertig, aber das ist man nie. Es handelt sich nicht um Mathematik, sondern um etwas Lebendiges.“ Auch in Bezug auf seine eigene musikalische Identität will er sich noch nicht endgültig festlegen: „Mein Identifikationsprozess kann noch nicht abgeschlossen sein. Es ist noch zu früh. Was nicht bedeutet, dass das Ganze nicht schon Form angenommen hätte. Ich habe einen gewissen Weg hinter mir. Darüber hinaus kann man aber immer auch mal einen Schritt zurückgehen und eine neue Mittellinie finden.“
Das Unerlernbare
Die Veröffentlichung von Schumachers erstem Album „Change of the Moon“ liegt mittlerweile 13 Jahre zurück. Meis hat zwar bereits Alben mit anderen Musikern aufgenommen, jedoch stellt „Lost in Translation“ das erste Album dar, dessen Entstehungsprozess zuvorderst von ihm geleitet wurde und das überwiegend aus Eigenkompositionen besteht. Dass Pascal Schumacher aus Erfahrung sagen kann: „Das zweite ist immer schwerer als das erste, allerdings macht man dann auch schon eine ganze Reihe Fehler nicht mehr, die man zuvor machen musste“, wird den junger Musiker wahrscheinlich nun wenig trösten, aber dieser scheint die bevorstehende Situation wohl ohnehin mit (Galgen-)Humor zu nehmen: „Beim ersten Album wird man zwar kritisiert, aber wenigstens noch nicht gesteinigt.“
Wer Monty Pythons „Life of Brian“ kennt, weiß, dass erst mit der Steinigung begonnen werden darf, wenn der Anpfiff erklungen ist. Trotz seiner langjährigen Erfahrung ist Pascal Schumacher dieser Moment nicht gleichgültig. „Premieren stellen die Königsdisziplin dar, unabhängig von den unzähligen Malen, die man schon erlebt hat. Eine Premiere hat etwas, das man nicht endgültig erlernen kann. Es ist vergleichbar mit einem ersten Date. Das ist auch nicht immer sensationell. Wie dort gilt es auch hier, erst mal herauszufinden, wie das Publikum reagiert. Das wird man niemals proben können. Es ist eine Qual, aber eben auch ein unglaublich schöner Moment.“
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