Gemeindepolitik / Die „Neue” in Lorentzweiler: Bürgermeisterin Marguy Kirsch-Hirtt
Gerade etwas mehr als eine Woche vereidigt und schon hat Marguy Kirsch-Hirtt (60) eine proppenvolle Agenda. Die LSAP-Politikerin ist Mitglied bei „Är Leit“, der Mehrheit im Rathaus, und die Nachfolgerin auf dem Bürgermeistersessel von Jos Roller, der 34 Jahre lang die Geschicke der Gemeinde Lorentzweiler gelenkt hat. Sie ist die erste Frau in dieser Position in der Gemeinde.
Schöffenrats-, Fraktions- und erste Gemeinderatssitzung, Termin im Umweltministerium, Austausch mit dem Bürgermeister der Nachbargemeinde Steinsel, dazwischen noch Proben mit der Fanfare: Die Agenda der neuen Bürgermeisterin von Lorentzweiler ist gut gefüllt. Da hat sie sich noch nicht auf ihren Unterricht als Physiklehrerin am Lycée Michel Lucius vorbereitet, ihren Hund ausgeführt oder ihre Enkelkinder gesehen. Trotzdem ist ihr der Stress nicht anzumerken.
Sie wusste, was auf sie zukommt, und hat sich ihren Schritt gut überlegt. „Ausgleich“ ist ein Wort, das sie oft sagt. Und wenn etwas an der 60-Jährigen auffällt, dann ist es ihre sachliche, an Fakten orientierte Art. Inhalte sind ihr wichtig und eine Bürgermeisterin, die lediglich beim Bändchendurchschneiden glänzt, will sie nicht sein. „Davor muss etwas geplant und dann auch noch umgesetzt werden“, sagt sie aus langjähriger Erfahrung.
Seit 2005 macht sie zunächst als parteiloses Ratsmitglied und später als erste Schöffin Gemeindepolitik. Seit 2009 ist sie Mitglied in der LSAP, obwohl Parteipolitik in der Gemeinde keine Rolle spielt. „Är Leit“, die Mehrheit im Gemeinderat, ist ein Zusammenschluss von Menschen mit und ohne Parteikarte, die sich in der Gemeinde einbringen wollen. Gerade muss sie sich um die Trassenführung der geplanten Stromleitung kümmern, welche die Versorgung des Landes von 220 kV auf 380 kV erhöhen soll.
Lösungen für die neue Stromtrasse
Lorentzweiler, Junglinster und Steinsel werden stark von dieser Leitung belastet und arbeiten zusammen, um eine Lösung zu finden. Wenn sie kommt, wie geplant, wird die Gemeinde umringt sein von der Leitung. Abgesehen von der Frage, ob die Verlegung umweltfreundlich geregelt werden kann, gibt es Bedenken wegen des elektromagnetischen Feldes, das entsteht. „Viele Bürger sind nicht begeistert von dem Projekt“, sagt Kirsch-Hirtt. „Wir versuchen, die Trasse so weit wie möglich von den Wohnvierteln fernzuhalten.“
Stolz ist sie auf das, was sie zuvor als Schöffin im Ressort Umwelt- und Klimaschutz auf unterschiedlichen Ebenen erreicht hat. Die Gemeinde ist Mitglied im Klimabündnis, im Klimapakt und jetzt auch im Naturpakt. Außerdem ist die Gemeinde dem Naturschutzsyndikat SICONA beigetreten. In der Schule initiierte sie Projekte, um Schülern die Kultur anderer Kontinente näherzubringen. In Indien, Afrika und Südamerika geht es anders zu als im beschaulichen Luxemburg.
Seit der Fußgängerweg von Hünsdorf an den Bahnhof Lorentzweiler, den sie vorangetrieben hat, fertig ist, lassen viele das Auto stehen. Jetzt dauert es 10 Minuten, bis die Hünsdorfer zu Fuß am Bahnhof sind. Ganz nebenbei können sie beim Gang zum Zug die Skulpturen bewundern, die internationale Künstler aus Holz kreiert haben. Das circa 600 Meter lange Teilstück ist in den „Skulpturenpfad“ integriert. Ein Herzensanliegen war für sie der Gemeinschaftsgarten, der 2019 angelegt wurde.17 Parteien, überwiegend Privatleute, die keinen eigenen Garten haben, haben auf dem 21,6 Ar großen Gelände eine Parzelle gemietet, um sich mit Gemüse selbst zu versorgen.
„Eigentlich keine geborene Politikerin“
In die Politik zu gehen, war nie ihre erste Priorität. Kirsch-Hirtt kommt aus einer politischen Familie. Ihr Vater war CSV–Mitglied, ihre Schwester sitzt im Gemeinderat von Mertert. Sie selbst zieht 1996 in die Gemeinde und nimmt als Bürgerin aktiv am Dorfleben teil. Als sie 2005 gefragt wird, ob sie bei der Wahl mitgehen will, macht sie es. „Ich bin eigentlich keine geborene Politikerin“, sagt sie. „Aber die Politik ist ein guter Ausgleich zur Schule.“ Sie hat im Gemeinderat Sachen umsetzen können, die man sieht und von denen die Bürger profitieren.
Obwohl ihr Vorgänger große Fußstapfen hinterlassen hat, war der Übergang gut vorbereitet und reibungslos, wenn man sie so hört. Die großen Projekte wie den Ausbau der Schule, die Renovierung der ehemaligen Bofferdinger Grundschule – um die Musikschule, das Jugendhaus und die Kulturarchive unterzubringen – hat sie mit vorbereitet. „Eigentlich habe ich nur den Stuhl getauscht“, kommentiert sie den Wechsel. Trotzdem hat sie den ersten Schöffenrat ohne Jos Roller dann doch als „Schnitt“ empfunden.
Auf die Möglichkeiten, die es in den neuen Räumlichkeiten geben wird, freut sie sich als Mitglied der Fanfare „Hielem-Luerenzweiler“. „Es gibt dann endlich einen angemessen großen Proberaum, der außerdem barrierefrei zugänglich ist“, sagt sie. Bis zum Wochenende, wenn die große Gala unter dem Motto „Nees Do … Re Mi“ über die Bühne geht, muss sie noch üben. Sie spielt das Flügelhorn in dem Musikverein. Mit zehn Jahren erlernt sie das Blechblasinstrument, das ähnlich wie eine Trompete klingt. Die Frage, ob der weibliche Blick auf die Politik anders ist, beantwortet sie überraschend modern.
Stereotype wie typisch Mann oder typisch Frau will sie nicht gelten lassen. „Für mich sind Frauen und Männer gleichberechtigt“, sagt sie. Ihre Eltern haben sie und ihre drei Geschwister schon vor 60 Jahren so erzogen. Später kämpft sie als Präsidentin der Gleichstellungskommission in der Gemeinde dafür, dass das gesellschaftlich Konsens wird. „Für mich gibt es nur unterschiedliche Charaktere“, sagt sie. Mit ihrem ausgleichenden Charakter hat sie gute Chancen, sich bei den Wahlen 2023 durchzusetzen. Sie will – mit Mehrheit, wie jetzt, oder in Koalition mit einem politischen Partner.
Lorentzweiler
Die Gemeinde ist mittlerweile auf rund 4.500 Einwohner aus 78 Nationen angewachsen. Es regiert eine Mehrheit von „Är Leit“ im Gemeinderat. Die Gemeinde besteht aus den Ortschaften Asselscheuer,
Blascheid, Bofferdingen, Helmdingen, Hünsdorf und Lorentzweiler.
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