/ „Die Nutzer hier schätzen die Diskretion“: Der Drogenkonsumraum im „Contact Esch“ ist seit sechs Wochen geöffnet
Der Drogenkonsumraum im „Contact Esch“ ist seit anderthalb Monaten geöffnet. Die erste Bilanz von Martina Kap, der Abteilungsleiterin des niederschwelligen Bereichs bei der „Jugend- an Drogenhëllef“, fällt positiv aus. Die Ängste, die zuvor von der Bevölkerung geäußert worden waren, scheinen sich bisher nicht bestätigt zu haben.
Mit Fotos von Isabella Finzi
Tageblatt: In der Bürgerversammlung zum Thema „Contact Esch“ wurde gesagt, 27 Prozent der Nutzer des „Abrigado“ in der Hauptstadt kämen aus dem Süden. Wie wurde diese Zahl ermittelt?Tageblatt: In der Bürgerversammlung zum Thema „Contact Esch“ wurde gesagt, 27 Prozent der Nutzer des „Abrigado“ in der Hauptstadt kämen aus dem Süden. Wie wurde diese Zahl ermittelt?
Martina Kap: Als wir vor fünf Jahren begonnen haben, dieses Gebäude zu planen, brauchten wir Statistiken. Wir mussten eine ungefähre Einschätzung davon kriegen, wie viele Menschen kommen könnten.
Wer im „Abrigado“ in der Hauptstadt den Drogenkonsumraum nutzen will, muss einen Vertrag unterzeichnen. Wir haben begonnen, die Herkunft derer, die einen solchen Vertrag abgeschlossen haben, zu notieren. Dabei haben wir sie grob in Bezirke eingeteilt. Das wurde ausgewertet und heraus kam, dass ein Drittel derjenigen, die einen Nutzungsvertrag gemacht haben, aus dem Süden kommen. Langfristig rechnen wir demnach in Esch mit 50 bis 60 am Tag, die kommen und gehen – nicht nur um Drogen zu konsumieren, sondern auch fürs Kontaktcafé oder weil sie unseren Krankenpflegedienst nutzen.
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Diese 27 Prozent sollen in Zukunft im Idealfall nach Esch kommen. Wie viele kommen bisher tatsächlich?
Wir haben seit sechs Wochen geöffnet und bisher wurden 35 Nutzungsverträge im „Contact Esch“ abgeschlossen. Im Oktober wurden im Durchschnitt 15 Konsumvorgänge am Tag durchgeführt.
Entlasten Sie damit das „Abrigado“?
Das werden wir erst in einem halben Jahr feststellen können. Die Mitarbeiter im „Abrigado“ sagen, bisher zumindest, Nein.
Wie kriegen Sie Drogenabhängige dazu, von der Straße hierher zu wechseln?
Es sind erwachsene Menschen und sie können nicht gezwungen werden, hierherzukommen. Das ist ein Prozess, der dauert und das ist vollkommen normal. Die „Jugend- an Drogenhëllef“ besteht in Esch schon lange und wir kennen die Drogenabhängigen mehr oder weniger. Als wir im vergangenen Jahr Mitarbeiter eingestellt haben, die Eröffnung des Drogenkonsumraums dann aber verschoben wurde, haben wir die Zeit für intensives Streetwork genutzt. Das machen wir bis heute. Wir haben die Hotspots abgesucht und geschaut, was wo konsumiert wird. Diese Plätze, wo aktiv konsumiert wird, sind wir über ein halbes Jahr lang abgegangen und sind mit den Personen in regelmäßigem Kontakt getreten. Wir haben uns ihnen vorgestellt und davon erzählt, dass wir bald aufmachen.
Wie haben sie reagiert?
Das kam relativ positiv bei ihnen an. Wenn wir den Leuten draußen, sozusagen auf ihrem Terrain, begegnen, merken wir schnell, ob wir ankommen oder nicht.
Wie sieht die Arbeit hier aus?
Im „Contact Esch“ sind 14 Leute eingestellt. Ich bin von Beruf Psychologin und sowohl hier als auch im „Contact 28“ der Stadt und im „Contact Nord“ in Ettelbrück Leiterin im niedrigschwelligen Bereich. Hier in Esch haben wir vier „Assistantes sociales“, die sich um die freiwillige finanzielle Hilfe, Taschengeldausgabe, Schuldenregulierung, die „Adresse de référence“ und andere Dinge kümmern, die anfallen. Wir sind eigentlich das „Office social“ für Drogenabhängige. Wir haben Erzieher hier, die Motivations- und Orientierungsarbeit machen. Dann haben wir Krankenpfleger, die hauptsächlich in der Infirmerie, aber auch im Drogenkonsumraum arbeiten. Wir sind alle in Erster Hilfe ausgebildet. Derzeit sind wir dabei, das medizinische Netzwerk auszubauen mit Psychologen und dem Krankenhaus. Wenn unsere Klienten im Krankenhaus sind, besuchen wir sie auch.
Ist das Ziel der Arbeit im „Contact Esch“, dass die Nutzer irgendwann clean werden?
Nein. Wir sind dazu da, ihnen auf dem Weg raus aus den Drogen zu helfen. Dabei sind wir aber nicht auf Abstinenz als ultimatives Ziel festgelegt. Manche wollen clean werden, manche wollen nie clean werden. Manche haben den Anspruch, ihren Konsum zu stabilisieren und nur noch ein Mal am Tag Drogen zu nehmen. Dann können sie noch funktionsfähig sein und arbeiten gehen.
Wie sind die Regeln im „Contact Esch“?
Wir nennen das die drei goldenen Regeln: Kein Konsum außerhalb vom Konsumraum, sobald die Klienten aus dem Raum austreten, ist die Droge wieder illegal. Kein Deal und keine Gewalt – physisch wie auch psychisch.
Kein Deal, wie ist das möglich? Schließlich müssen die Klienten ihren Stoff irgendwo herbekommen.
Damit meinen wir, dass auf unserem Gelände oder im Contact Kafé nichts verkauft werden darf. Natürlich gibt es in Esch Dealer, bei denen sie sich ihren Stoff besorgen. Aber das soll nicht vor unseren Augen passieren. Sonst müssen wir die Polizei rufen.
Um das Gebäude zu gestalten, haben sie sich viele Gedanken gemacht. Gibt es bereits Feedback von den Nutzern?
Das stimmt, wir sind mit einer Delegation aus Esch nach Udense in Dänemark gefahren und haben uns das Konzept des dortigen Drogenkonsumraums angesehen. Dort hat uns der Hinterhof sehr gut gefallen, wo sie nach und nach mit den Klienten Möbel gebaut und das alles ein wenig begrünt haben. Das haben wir auch hier umgesetzt. Der Vorteil davon ist, dass die Klienten dort nicht so gesehen werden. Das ist nicht nur für die Bevölkerung wichtig, sondern auch für die Kunden, die eine gewisse Privatsphäre haben wollen. Sobald wir unsere Routine gefunden haben, wollen wir ein wenig Projektarbeit machen und den Hinterhof zusammen verschönern. Das ist auch für die Stadt gut, dass sie einen Rückzugsort haben und nicht auf dem Bürgersteig stehen. Viele sagen, dass es viel ruhiger ist als im „Abrigado“. Die meisten fühlen sich wohl und finden es schön. Das Haus ist renoviert worden und auch der Anbau ist modern. So dass man nicht unbedingt vermuten würde, dass hier ein Drogenkonsumraum ist. Das Feedback ist bisher sehr positiv.
Wurden allgemein schon Ängste von den Bürgern aus Esch be- oder widerlegt? Haben Sie diesbezüglich bereits Feedback bekommen?
Nein, noch gar nicht. Wir werden uns mit der Stadt und der Polizei in den nächsten vier Wochen treffen. Esch hat ja ein Telefon eingerichtet. Wenn etwas Akutes gewesen wäre, denke ich, wüssten wir das. Wir sind im Kontakt mit dem Cactus und „Hëllef Doheem“, die hier ein Büro haben. Dort gab es tatsächlich eine Auseinandersetzung zwischen zwei unserer Klienten wegen Drogen. Das wurde uns gemeldet und wir haben mit den Personen gesprochen und eine Sanktion ausgeführt. Wenn wir von solchen Vorfällen wissen, können wir etwas unternehmen, natürlich ohne Garantie, dass es dann nicht mehr passiert.
Martina Kap ist die Leiterin des niederschwelligen Bereiches bei der „Jugend- an Drogenhëllef“, sowohl im „Contact 28“ in der Hauptstadt als auch im „Contact Nord“ und im „Contact Esch“. Sie zieht eine positive erste Bilanz, nachdem der Drogenkonsumraum im Süden seit sechs Wochen geöffnet hat.
Besonders beim Cactus gab es die große Angst, dass sich auf dem Parkplatz eine Szene bildet. Wie sieht die Situation dort bisher aus?
Wir stehen im Kontakt mit dem Cactus. Falls dort Gruppierungen entstehen sollten, haben wir dem Supermarkt angeboten, uns umgehend darüber zu informieren, damit wir eingreifen und mit den Betroffenen reden können. Bisher geschah das nicht. Falls es vorkommen sollte, dass auf dem Parkplatz Drogen konsumiert werden, ist das natürlich illegal – so wie überall außerhalb des Drogenkonsumraums. Wer so etwas mitbekommt, kann die Polizei rufen. Wir sind natürlich daran interessiert, dass es eine solche Szenenbildung hier in der Nähe nicht gibt.
In Esch ist der Drogenkonsumraum von der Notschlafstelle getrennt. Wieso ist das sinnvoll?
Der Vorteil ist ganz einfach, dass sich die Nutzer mehr bewegen müssen. Wer im „Abrigado“ in der Hauptstadt angekommen ist, muss nirgendwo mehr hin. Dort bekommt er alles. Vom Schlafen übers Essen, Duschen, dem Konsumraum und so weiter. Einige kommen da gar nicht mehr raus. Sie leben im „Abrigado“ oder auf der Wiese. Die Mitarbeiter dort versuchen natürlich, sie zu motivieren, herauszugehen, aber das ist sehr schwer. Eigentlich müsste die Notschlafstelle auch in der Hauptstadt woanders hinkommen, damit sich die Szene auseinanderzieht. Damit diejenigen, die nur eine Übernachtungsmöglichkeit wollen, ohne mit der Szene in Kontakt zu kommen, auch die Möglichkeit dazu haben.
Inwiefern unterscheiden sich die Klienten aus Esch von denen aus der Hauptstadt?
Im „Abrigado“ sind viele Menschen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben. Sie halten sich nur auf dem Fleckchen Stadt auf, auf dem sie das dürfen und leben quasi dort. Hier ist das anders. Die meisten kommen, um Drogen zu konsumieren, und gehen dann wieder. Sie haben oft ein Zimmer oder eine Wohnung und müssen nicht den ganzen Tag hier sein. Die Klienten hier in Esch wollen überhaupt nicht auffallen. Sie legen Wert auf Diskretion. Die Drogenszene in Esch ist viel weniger sichtbar und die Menschen sind etwas stabiler als in der Stadt.
Jean-Nico Schmit, der Direktor der „Jugend- an Drogenhëllef“ fordert insgesamt fünf Drogenkonsumräume im Land. Mit dem „Contact Esch“ tut sich langsam etwas.
Keiner will einen Drogenkonsumraum in seiner Stadt. Esch hat sich ja auch lange dagegen gewehrt. Aber langsam bewegt sich etwas und die Menschen sind nicht mehr ganz so verschlossen demgegenüber, wie noch vor drei Jahren. Es wird ja auch darüber diskutiert, ob im Norden ein weiterer Drogenkonsumraum öffnen soll. Ob das passieren wird, weiß ich nicht.
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Nein danke. Ich kiffe lieber zuhause!