Neun Anwärter auf die „Chambre des salariés“ / Die OGBL-Mehrheit scheint kaum anfechtbar
Der 12. März ist das Stichdatum der Sozialwahlen. An dem Tag wird in vielen Betrieben der Ausschuss, also die Personaldelegation, bestimmt. Ab diesem Tag werden aber auch die Wahlzettel der mehr als 615.000 Stimmberechtigten zur Neuwahl der „Chambre des salariés“, die erst vor kurzem ihr hundertjähriges Jubiläum beging, ausgezählt bzw. es wird mit der Auszählung begonnen.
Auch wenn bereits während der vergangenen Wahl verstärkt auf Digitalisierung bei dem Prozess gesetzt wurde und der damalige Arbeitsminister eine Beschleunigung der Auszählung versprach, muss auch diesmal davon ausgegangen werden, dass es Tage sprich Wochen dauert, bis die endgültigen Resultate bekannt sind. 60 Delegierte bilden das Plenum der „Chambre des salariés“ (CSL), dem Nachfolger von Privatbeamten- und Arbeiterkammer, die in ihrer aktuellen Zusammensetzung mehrheitlich von OGBL-Vertretern gebildet und von OGBL-Präsidentin Nora Back als CSL-Vorsitzende angeführt wird. Die letzten Wahlen bescherten dem „Onofhängege Gewerkschaftsbond Letzebuerg“ 35 Delegierte im Plenum der 60, der LCGB wurde zweitstärkste Gewerkschaft und kam auf 18 Vertreter in dem Gremium, gefolgt von der Aleba (vier Sitze), dem FNCTTFEL-Landesverband (zwei Sitze) und dem Syprolux (ein Sitz).
Zwar treten bei der aktuellen Wahl neun Gewerkschaften bzw. Splittergruppen an, es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass die absolute Mehrheit des OGBL gefährdet oder das Amt von Nora Back als Präsidentin infrage gestellt werden dürfte. Dies zumal der Landesverband in die stärkste Gewerkschaft integriert wurde und so die Stimmen der ehemaligen FNCTTFEL-Mitglieder, die nun durch drei OGBL-Sektionen repräsentiert sind, eine Schwächung des OGBL wohl verhindern werden. Auch die jüngsten Streiks, bei denen sich LCGB und OGBL (Cargolux) und Ampacet (nur OGBL mit LCGB-Streikbrechern) durchsetzen konnten, werden die Position eher stärken, ebenso wie die ausschließlich durch den OGBL und dessen Aktionen verhinderten Tripartite-Angriffe auf das Indexsystem.
Zur besseren Einordnung nachfolgend eine kurze Historie der jeweiligen, mit Listen in allen, einigen oder auch nur einem Sektor antretenden Gruppierungen; dies in der Reihenfolge der am 20. November 2023 im Arbeitsministerium gezogenen Listennummern.
Liste 1: LCGB
Als Reaktion katholisch beeinflusster Kräfte auf die stärker werdenden freien Gewerkschaften wird 1921 der LCGB („Lëtzebuerger chrëschtleche Gewerkschaftsbond“) gegründet. In dem historischen Material, das im vergangenen Jahr während der Feier zum hundertjährigen Jubiläum, wegen Corona verspätet begangen, veröffentlicht wurde, verweist die Gewerkschaft allerdings auf die Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit (Erster Weltkrieg 1914-1918), die zu einer heftigen Kraftprobe zwischen Arbeitern und Arbeitgebern in Luxemburg geführt hatte. Und weiter in dem Papier zur LCGB-Geschichte: „Reformen drängen sich auf und der erste Arbeiterurlaub wird geschaffen. 1921 wird der LCGB gegründet. Aufgrund einer Statutenänderung 1928 kann der LCGB nun an den Verhandlungen über die Lohnbedingungen der Arbeiter teilnehmen. Der LCGB erobert seinen Platz im öffentlichen Leben des Landes.“
Mitte der 30er-Jahre wird mit den freien Gewerkschaften eine gemeinsame gewerkschaftliche Lohnkommission geschaffen. Epochen der Zusammenarbeit mit den anderen Repräsentanten der Arbeiterschaft gab es danach immer wieder, bis in die heutige Zeit hinein. Punktuelle Kooperation gab es demnach und zeitweise wurde diese auch institutionalisiert. Vor der Gründung des OGBL, die eigentlich den Startschuss für eine Einheitsgewerkschaft bilden sollte, gab es denn auch Verhandlungen zwischen den Initiatoren der Idee aus LAV („Lëtzebuerger Aarbechterverband“) und FEP („Fédération des employés privés“) und LCGB-Spitzengewerkschaftlern. Widerstand seitens der CSV und aus den eigenen Reihen verhinderte allerdings die Teilnahme des LCGB an dem 1978 umgesetzten Projekt einer Einheitsgewerkschaft.
Nach der Gründung des OGBL konnte der LCGB – nicht alle waren mit dem Verschwinden des LAV einverstanden – das erste und einzige Mal in seiner Geschichte übrigens die Mehrheit in der Arbeiterkammer erreichen und den Präsidenten stellen. Aktueller Präsident des LCGB ist Patrick Dury.
Liste 2: OGBL
Die mitgliederstärkste Gewerkschaft des Landes, der „Onofhängege Gewerkschaftsbond Lëtzebuerg“, wurde als Nachfolgerin von LAV und u.a. Teilen der FEP 1978 mit dem Ziel gegründet, als Einheitsgewerkschaft die Interessen aller arbeitenden Menschen in Luxemburg effizient gegen die geeinten Arbeitgeber vertreten zu können. Auch wenn dieses vom ersten Präsidenten der Gewerkschaft John Castegnaro während intensiver Verhandlungen mit anderen Personalvertretungen angestrebte Ziel nicht vollständig erreicht werden konnte, entwickelte sich die Gewerkschaft schnell und ist sowohl in den Betrieben als auch in der Arbeitnehmerkammer inzwischen die unbestrittene Nummer eins der Szene.
Der OGBL, der 2016 hundertjähriges Bestehen der freien Gewerkschaften feierte, beruft sich auf den Luxemburger Berg- und Hüttenarbeiterverband (LBHAV) als Vorgängerorganisation, die am 1. September 1916 in Esch gegründet wurde, sowie auf den Luxemburger Metallarbeiterverband, dessen Gründung am 3. September des gleichen Jahres in Hollerich beschlossen und am 29. Oktober 1916 vollzogen wurde. Beide Organisationen fusionierten 1920 zum Luxemburger Berg- und Metallindustriearbeiterverband (LBMIAV), der damals mit 18.000 Mitgliedern die bedeutendste Gewerkschaft des Landes stellte und dies auch nach der Gründung des LCGB (1921) blieb.
Vor kurzem wurde die Integration des 115 Jahre bestehenden Landesverbandes, der hauptsächlich Eisenbahner, aber auch Lehrbeauftragte und Gemeindeangestellte organisierte, in den OGBL beschlossen, der somit einen weiteren Schritt in Richtung Einheitsgewerkschaft gehen konnte und auch weiterhin an diesem Ziel festhält – auch wenn das Projekt beim LCGB nach wie vor auf wenig Gegenliebe stößt. Präsidentin des OGBL ist Nora Back, die ebenfalls an der Spitze der CSL steht.
Liste 3: Aleba
Die „Association luxembourgeoise des employés de banques et d’assurances“ Aleba beruft sich auf 1918 als Gründungsjahr und konnte lange Zeit als führende Gewerkschaft im Bankensektor auftreten. Als Mitgliederzahl gibt die Vereinigung, die eine Zeit der Skandale und Personalprobleme hinter sich hat, 10.000 an. Mittlerweile versucht sich die Aleba als eine Gewerkschaft für alle zu profilieren.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg solidarisierten sich, so heißt es auf der Internetseite, eine Handvoll Arbeitnehmer des Bankensektors, um ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten. Die tägliche Arbeitszeit betrug damals zehn bis zwölf Stunden an sechs Tagen die Woche. Die „Association cantonale générale des employés privés“ und die „Fédération natiuonale des employés du Luxembourg“ schlossen sich 1918 mit der „Fédération générale des employés de l’Etat“ zusammen. Etwas später wurde dann die „Association des employés de banque“ (ALEB) gegründet. Aus dieser ging die Aleba hervor, die innerhalb der „Fédération des employés privés“ (FEP) funktionierte. 1978 trennte sich die Aleba von der FEP, viele Mitglieder der beiden Organisationen stießen zum neu gegründeten OGBL, u.a. FEP-Präsident Jos Kratochwil.
Liste 4: FGFC
Die „Fédération générale de la fonction communale“ (FGFC) vertritt Angestellte des Gemeindesektors und ist enger Kooperationspartner der „Confédération générale de la fonction publique“ (CGFP). Als Gründungsjahr gibt die FGFC 1912 an. Sie repräsentiert denn auch vor allem Gemeindebeamte, die nicht an den CSL-Wahlen teilnehmen, sondern die „Chambre des fonctionnaires et employés publics“ mitbestimmen. Dennoch hofft das Syndikat auf Stimmen von nicht-beamtetem Gemeindepersonal bei den aktuellen Sozialwahlen. Präsident der FGFC ist Claude Reuter.
Liste 5: Syprolux
Ähnlich, wie der LCGB als Reaktion der katholischen Kräfte auf die stärker werdenden freien Gewerkschaften 1921 gegründet wurde, entstand 1922 das „Syndicat professionnel des cheminots luxembourgeois“ (Syprolux) u.a. auch auf Drängen der Rechtspartei (Vorgängerin der CSV). Die „kleinere der beiden Eisenbahnergewerkschaften“ (der FNCTTFEL-Landesverband war in dem Sektor stets federführend) hat nun das Problem, dass der Landesverband im OGBL integriert ist und so etwa über das neu gegründete „Syndikat Schinn“ nicht nur über die nationale Repräsentativität, sondern auch über eine deutlich größere Macht verfügt.
Ein spannendes Resultat der Wahl wird in diesem Zusammenhang jenes der Syprolux-Kandidaten sein. Bislang konnte die Gewerkschaft einen Vertreter in die CSL delegieren. Syprolux-Präsidentin ist Mylène Bianchy.
Liste 6: SEA
Hinter der Bezeichnung SEA versteckt sich ein LCGB-Syndikat, und zwar das „Syndicat des employés du secteur de l’aviation“, dies als eigenständige Gruppierung bzw. als Gruppierung, die nicht unter dem Namen der Mutterorganisation zur Wahl antritt. Das SEA arbeitet eng mit der Pilotenvereinigung „Association des pilotes de lignes“ (ALPL) zusammen.
Liste 7: NGL-SNEP
Die NGL-SNEP sieht sich als Gewerkschaft aller Arbeiter des Landes. Die einst stärker auftretende Organisation hat heute kaum mehr Einfluss und wenige bis keine sichtbaren Aktivitäten. Nationalpräsident ist Armand Wildanger.
Liste 8: CLSC
Die „Confédération luxembourgeoise des syndicats chrétiens“ (CLSC) ist nichts anderes als der LCGB, der sich von einem offiziellen Auftreten unter der französischen Bezeichnung mehr Zuspruch bei frankophonen Wählern erhofft.
Liste 9: Neutrale Verband Gemeng Lëtzebuerg
Seit immerhin mehr als 30 Jahren vertritt der wenig bekannte „Neutrale Verband Gemeng Lëtzebuerg“ Beschäftigte der Hauptstadt, auch wenn unter den Aktivitäten eher Freizeitgestaltung hervorsticht. Nach der Gründung 1990, die durch Absplitterung von der NGL erfolgte, zählte der Verband 240 Mitglieder. Im Rahmen der Delegation konnte die Vereinigung teils eine recht starke Vertretung stellen. Präsident des Hauptvorstandes des NVGL ist Christian Reimen. Die letzten News auf der Internetseite des Verbandes wurden allerdings im Januar 2020 veröffentlicht …
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