„The year after“ / Die parteipolitischen Herausforderungen 2021
2020, allgemein als ein Jahr zum Abhaken und Vergessen gesehen, wird nachwirken: Noch ist die Pandemie nicht bewältigt und wird, je nach Geschwindigkeit der Impfungen und wohl auch nach Betrachtungsweise, medizinisch wenigstens noch einige Monate, wirtschaftlich und sozial eher Jahre spürbar sein. Was steht in diesem Kontext für Luxemburg parteipolitisch an? Der Versuch einer Prognose …
Es gab 2020 nur wenige Nebenschauplätze; allzu umfassend prägte Covid-19 das politische Geschehen. Kurz vor, oder besser zu Beginn der Krise fand ein letzter, einigermaßen normal verlaufender Parteikongress statt: Die LSAP traf sich, wenn auch schon ohne Begrüßungsküsschen, im März in Bascharage. Prägend dabei war die programmatische Grundsatzrede von Dan Kersch, Vize-Premier und Arbeitsminister der Dreierkoalition, der einen Prozess – der bereits auf dem Moutforter Parteikongress zum Ende der CSV-LSAP-Koalition offensichtlich geworden war – vorerst entschied: die Suche nach einer Parteilinie, weg von konsensuellem Mittragen etwa von Austeritätspolitik als Antwort auf die Finanzkrise 2008, hin zur Rückbesinnung auf linke und fortschrittliche Werte.
Damit hatte Kersch nicht nur dem linken Flügel der Sozialisten die Sicherheit geliefert, die Oberhand gewonnen zu haben, sondern auch sich selbst noch vor Mitte der Legislaturperiode zum potenziellen Spitzenkandidaten gemacht (selbstredend ohne dies so zu formulieren), der zudem noch – auf der Suche nach einer breiteren Wählerbasis – eher arbeitnehmerfreundlichen Kräften innerhalb der ADR, die keine Lust mehr auf reaktionäre bis rechtsextreme Ausrutscher von anderen ADLern in sozialen Medien hatten, die Hand reichte und ihnen die Aufnahme in der LSAP anbot. Eine Diskussion hierüber wurde ob der sich anschließend überschlagenden Pandemie-Ereignisse übrigens nicht mehr geführt; vom Tisch dürfte das Thema allerdings noch nicht definitiv sein.
Stallgeruch aufnehmende Neuministerin
Bei besagtem Kongress stand eher unbemerkt irgendwann eine Frau nahe am Eingang, die wenige Wochen zuvor zusammen mit Franz Fayot die Nachfolge in den Ministerien für Wirtschaft (Fayot) und Gesundheit des sich gerne selbst als Neoliberalen definierenden Etienne Schneider übernommen hatte. Dessen Ausscheiden aus der Nationalpolitik – die Konsequenz seines eher schwachen Abschneidens als Spitzenkandidat und wohl auch der linkeren Ausrichtung der Partei sowie einer Lebensplanung abseits von Politik – machte den Weg frei für eine Ex-Beamtin, die während des gesamten folgenden Jahres sowohl unerwartet als auch mit großer Souveränität im Rampenlicht des öffentlichen Interesses stehen sollte. Die Neu-Politikerin Paulette Lenert, die sich in Rekordzeit auf die Spitzenposition in Sachen Beliebtheit der Luxemburger hievte, nahm in Bascharage vorsichtig und eher zurückhaltend den Stallgeruch der LSAP auf. Ob sie auch nach der Krise Spitzenfrau der LSAP, die es immerhin schaffte, beliebter als Jean Asselborn zu werden, bleiben wird oder will, wird 2021 zeigen; ebenso wie die Machtpositionen sich weiterentwickeln werden.
Solche Dynamiken können nicht – auch dies ein sichtbares Ergebnis von 2020 – auf digitalen Kongressen entstehen oder zur demokratisch abgesegneten Realität werden.
Dies zeigte der Machtkampf bei der CSV, der im Sommer mit dramatischem Gehabe, einem christlich-sozialen Sommertheater mit dem Prädikat „versuchte Selbstzerstörung“, einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Auf der verzweifelten Suche nach einer neuen, beim wählenden Publikum wieder auf Zustimmung treffenden Ausrichtung hatte Parteipräsident Frank Engel, der sich im Jahr zuvor nur knapp gegen Kontrahent Serge Wilmes bei der Wahl zu dem Posten durchsetzen konnte, einen Vorstoß in Richtung Vermögens- und Erbschaftssteuer gewagt. Und wurde prompt von der Fraktion unter Führung von Martine Hansen sowie ehemaligen Mitstreitern des mittlerweile unbeliebten Luc Frieden zurückgepfiffen. Die folgende Demütigung einer öffentlichen Entschuldigung überspielte Engel auf einem digitalen Kongress der Partei im Oktober, zeigte sich rhetorisch kaum geschwächt und verteidigte seine sozial ungewohnten Pläne. Auch die Leitung des Kongresses durch den nach außen auf Konsens und Einigkeit bedachten Altpolitiker Marc Fischbach konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche parteiinterne Auseinandersetzung nur verschoben war. Die kathartische Läuterung bei den Christlich-Sozialen steht noch an.
Kathartische Läuterung bei der CSV
Ein CSV-Kongress mit statutarisch vorgesehenen Wahlen, mit großer Sicherheit inklusive eines Gegenkandidaten zu Engel, wird in den kommenden Monaten für personelle Klarheit sorgen und es ist – trotz heftigen Gegenwindes für den aktuellen Mann an der Spitze – keineswegs ausgemacht, dass dieser, immerhin gewiefter Stratege, sich nicht behaupten kann. Ausgestanden ist die Krise der von Machtpositionen im Staat abgeschnittenen Partei allerdings auch damit noch nicht. Schade, auch für die politische Streitkultur ganz allgemein, wäre es, würde auch dieses anstehende Treffen der CSV-Delegierten wieder über heimische Computer laufen.
Ganz angstfrei verabschiedete die ADR ihren Top-Stimmenfänger Gast Gibéryen ebenfalls auf einem Oktober-Kongress, allerdings mit realer Präsenz der Delegierten in der Ettelbrücker Deichhalle. Inwiefern die Partei – die sich während Corona eher an bundesdeutschen Querdenkern orientierte denn an ernstzunehmenden Wissenschaftlern – mit einem recht aggressiv auftretenden neuen Fraktionschef Kartheiser und immer noch teils windigen Exponenten bei einer künftigen Wahl punkten kann, bleibt mehr als offen.
Ausgemachtes Feinbild der ADR sind die Grünen, denen sie so ziemlich alles vorwerfen, was im Lande nicht rundläuft. Diese haben nach den Verlusten des verstorbenen Camille Gira und des erkrankten Felix Braz zwar mit einer Reorganisation begonnen und besonders der Wechsel von Claude Turmes in die Nationalpolitik hat der Partei neuen Schwung gebracht. Die Partei, die ebenfalls einen digitalen Kongress ohne sichtbare politische Höhepunkte absolvierte, wird allerdings nicht nur an den ökologischen Erfolgen gemessen.
Dass ein Grüner Wohnungsbauminister ist und so auf einem der Hauptproblemfelder nationaler Politik quasi auf verlorenem Posten kämpfen muss, wird durch die zunehmende Wirkung von Tram und ausgebautem CFL-Netz, für die François Bausch steht, kaum kompensiert; dafür werden die nach der Bewältigung der Covid-Krise wieder täglich nervenden Staus für die immer noch zu vielen Autofahrer schon sorgen. Und auch wenn die CO2-Steuer nur einige Cent pro Liter Kraftstoff ausmacht, so hat sie bei einer breiten Wählerschicht die Beliebtheit von Claude Turmes kaum gefördert. Die Grünen müssen im angelaufenen Jahr viel erklären, mehr als ihre Koalitionspartner, von denen die DP wie gewohnt mit der Zugkraft des Staatsministers durch die Meinungsumfragen und die Wahlen surfte.
Politisch isolierender Wirtschaftsliberalismus
Die kaum nachvollziehbare schulpolitische Vorgehensweise von Claude Meisch allerdings, der nicht nur einen seltsamen Corona-Kurs fuhr, sondern zudem in wirtschaftsliberaler Ideologie vergangener Zeiten private Macht in der öffentlichen Schule zulassen wollte, wird der Partei, die nicht unbedingt für interne Streitkultur bekannt ist, künftig mehr schaden als nutzen. 2021 müsste die DP unter ihrer Präsidentin Cahen, die nicht gerade als Widersacherin von Meisch zu sehen ist, klären, wie viel ihres Liberalismus gesellschaftlich und damit konsensfähig und wie viel wirtschaftlich und damit politisch isolierend ist.
Für Linke und Piraten, die weiteren im Parlament vertretenen Parteien, aktuell zu schwach, um große Wirkung zu entfalten, gilt, was für sie immer galt: mit intelligenten Aussagen Boden gutmachen. Für die ideologisch gefestigte und personell gut besetzte Linke erscheint dies auch 2021, nachdem das Rotationsprinzip Marc Baum und David Wagner aus der Chamber verbannen wird, einfacher als für die Piraten, die nicht nur die meisten ihrer europäischen Parteikollegen in der politischen Versenkung verloren haben, sondern praktisch ausschließlich auf die Kompetenzen eines Politikers setzen müssen. Sven Clement wird auch 2021 sicherlich unter der Totenkopf-Flagge weitermachen, wenn auch recht einsam und mittelfristig auf eher verlorenem Posten.
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