Interview / „Die Pride ist heute genauso wichtig wie vor 25 Jahren“: Patrick Weber über die Anfänge der Pride
In diesem Jahr feiert die Pride in Luxemburg ihr 25. Bestehen. Patrick Weber hat als ehemaliger Präsident von Rosa Lëtzebuerg die Anfänge der Veranstaltung miterlebt. Im Gespräch mit dem Tageblatt blickt er auf die damalige Zeit zurück, zieht Bilanz über das bisher Errungene und wagt einen besorgten Blick in die Zukunft.
Tageblatt: Sie sind einer der Aktivisten der ersten Stunde. Wann hat Ihr Engagement begonnen?
Patrick Weber: Begonnen hat alles damit, als ich 1995 auf meiner erster Gay Pride in Brüssel war. Das war ein besonderes Erlebnis. An einem Punkt der Parade habe ich mich umgedreht – und tausende Menschen hinter mir gesehen. Da war mir klar, ich will mich zu Hause engagieren.
Wie kam es zur ersten Pride?
1996 wurde Rosa Lëtzebuerg gegründet und man hat Freiwillige gesucht, um eine Gesprächsrunde im „Cercle municipal“ in Luxemburg-Stadt zu organisieren. Und da ich beruflich viele Kontakte hatte, bot ich an, die PR-Arbeit und die Moderation zu übernehmen. Wir sind von 20 bis 30 Besuchern ausgegangen. Am Ende waren mehr als 100 Menschen im Saal. Das war überraschend. Als sich der damalige Präsident Marc Grond aus gesundheitlichen Gründen zurückzog, habe ich die Organisation übernommen. Das Jahr danach haben wir eine weitere Konferenz in der Victor-Hugo-Halle organisiert. Da gab es wieder einen enormen Zulauf. Am Ende habe ich ins Publikum gefragt: Wer ist bereit, mit auf die Straße zu gehen? Fast der ganze Saal hat die Hand gehoben. Das war der Startschuss, die erste Pride-Veranstaltung zu organisieren. Damals noch ohne Parade. Das war uns organisatorisch eine Nummer zu groß. Wir haben uns für ein Straßenfest auf dem Kapuzinerplatz mit Informationsständen entschieden, wo wir Unterschriften gesammelt haben für eine Petition zur Öffnung der Ehe. Das war am Wochenende vor den Nationalwahlen 1999. Als wir nach einem Namen für die Veranstaltung gesucht haben, hat jemand „GayMat“ vorgeschlagen. Der Name wurde ja leider mittlerweile durch „Pride“ ersetzt.
Gab es Pushback?
Nein, überhaupt nicht. Am selben Abend war ich bei Mariette Zenners als Studiogast, was dann auch mein persönliches offizielles Outing war.
War das einfach für Sie?
Ja, zu diesem Zeitpunkt schon. Anschließend habe ich auch nur positive Reaktionen bekommen.
Wie ging es weiter?
Nach dem Jahr GayMat auf dem Kapuzinerplatz hat das Komitee beschlossen: Wir ziehen auf die place d’Armes um und reichern das Programm um Konzerte und Auftritte an. Ich selbst war skeptisch. Doch das Fest war am Ende ein großer Erfolg.
Was waren die zentralen politischen Forderungen?
Das Motto des ersten GayMat war „Pour l’HOMOlogation de nos droits“, beim zweiten „Liberté. Egalité. Diversité.“. Was auch heute wieder ganz aktuell ist. Wir wollten, dass wir sichtbar werden. Politisch forderten wir die Öffnung der Ehe.
Wie war die Situation, in die die erste Pride hineingeboren wurde?
Es gab schon recht lange eine „Szene“, eine Reihe von Bars und Kaffees, wo man in der Regel Homosexuelle antraf. Mehr, als es heute gibt. Aber so etwas wie ein Centre Cigale oder ein Rainbow Center gab es nicht. Auch sonst war Homosexualität kaum sichtbar. Im Fernsehen kam es nur im Zusammenhang mit AIDS zur Sprache. Es gab kaum offen queere Stars, die als Beispiel hätten dienen können. Man hatte kaum Anlaufstellen, kaum Austausch, bis man später mit der Szene in Kontakt kam. Deswegen erzähle ich Ihnen kurz meine Lebensgeschichte.
Gerne.
Mit elf habe ich mich zum ersten Mal in den Ferien in einen anderen Jungen verliebt. Auch wenn mir das erst viel später bewusst wurde. Mit 16 habe ich mit einem Klassenkameraden ein wenig herumprobiert und es ein paar Schulfreundinnen erzählt, aber das blieb unser großes Geheimnis. In der Schule wurde überhaupt nicht darüber gesprochen. Mit 20 habe ich mit einem gleichaltrigen Homosexuellen zum ersten Mal über das Thema geredet. Nie vorher hatte ich die Gelegenheit, unbefangen mit einem, der selbst betroffen ist, über das Thema zu reden. Mit 22 hat mich eine Freundin das erste Mal mit in eine Szenebar genommen. Erst als ich meinen ersten Freund hatte, habe ich mich bei meinen Eltern geoutet. Sie nahmen das zu meiner Überraschung gut auf. Erst mit 30 war ich zum ersten Mal bei einer Pride.
Im Vergleich muss sich die Situation in den letzten 25 Jahren rapide geändert haben?
Jein. Wenn ich bedenke, dass ich 1999 im Fernsehen gesagt habe, wir brauchen die gleichgeschlechtliche Ehe, und 2014 kam erst das Gesetz, dann ist das alles andere als schnell. Vor allem für Paare, die das dringend brauchten. Und dennoch gibt es eine enorme Veränderung. Nicht nur zum positiven.
Was meinen Sie damit?
Wenn heute irgendwo das Thema Homosexualität oder Transsexualität vorkommt, wissen Sie, was in den Kommentaren vor sich geht. Das gab es damals nicht. Als ich geoutet war, hatte ich keine Probleme, mit meinem Freund Hand in Hand durch die Stadt zu gehen. Heute wüsste ich nicht, ob ich das an verschiedenen Orten noch tun würde. Was mich aber auch wütend macht, ist die Haltung von einigen Homosexuellen. Ich nenne sie jetzt mal die Alpha-Macho-Homos, die nichts mit einer Pride, mit Rosa Lëtzebuerg oder LGBTQIA+ zu tun haben wollen, denn es gibt ja jetzt die Ehe für alle. Man muss aber einsehen, dass der Kampf für die Rechte von Minderheiten nicht aufhört, bis die letzte Minderheit alle ihre Rechte hat.
Wie stehen Sie zur Kritik, dass die Luxemburg Pride nicht divers genug ist?
Eine Pride ist immer nur so divers, wie die Menschen, die dahingehen. Desto mehr Veranstaltungen gesondert organisiert werden, desto weniger sieht man sie bei der Pride. Außerdem ist Luxemburg klein. Wir haben nur eine begrenzte Zahl von Trans-Personen, nichtbinären Menschen und so fort. Wenn die sich dann auch noch zurückziehen, verschwinden sie ganz. Auch die Kritik des Pinkwashings (die oberflächliche Anbiederung von Firmen an die LGBTQIA+-Bewegung zu kommerziellen Zecken, Anm. d. Red.) kann ich nachvollziehen, gebe aber zu bedenken, dass wir froh gewesen wären, wenn wir früher so viele Sponsoren gehabt hätten. Um solche Events auf die Beine zu stellen, braucht es eben Geld.
Was waren für Sie die Highlights der letzten 25 Jahre Pride?
Ich hatte Tränen in den Augen, als Boy George auf der Bühne in Esch stand. Aus dem einfachen Grund, dass mir da bewusst wurde, wie groß die Pride geworden ist. Das hätten wir uns vor 25 Jahren ganz sicher nicht erträumt. Aber was noch wichtiger ist: Dass unser Einsatz nicht umsonst war. Dass wir die eingetragene Lebenspartnerschaft erkämpft haben; dass das Centre Cigale eröffnet wurde; dass die gleichgeschlechtliche Heirat anerkannt wurde … Ich will nicht sagen, dass das nur wegen des GayMat und Rosa Lëtzebuerg passiert ist. Aber wir haben unseren Teil dazu beigetragen.
Ist die Pride heute noch politisch genug?
Eine Pride ist allein durch ihre Existenz schon politisch. Weil sie der breiten Öffentlichkeit und der Politik zeigt: Seht her, es gibt uns und wir sind viele. Das ist immer eine wichtige sozialpolitische Botschaft. Dazu kommen dann die Forderungen, die zu jeder Pride gestellt werden.
Die Pride hat also nicht ausgedient?
Nein, sicher nicht. Eine Pride entwickelt sich, die Forderungen verändern sich. Aber sie ist heute genauso wichtig wie vor 25 Jahren.
Wie wird die 50. Pride in 25 Jahren aussehen?
Ich hoffe, es gibt in 25 Jahren noch eine Pride. Wenn ich sehe, was in Frankreich und in anderen Ländern geschieht, hoffe ich, dass wir nicht um 80 Jahre zurückfallen. In jenen Ländern, wo Rechtsextreme an der Macht sind, nimmt man sich oft ein Beispiel an Russland, verbietet etwa „schwule Propaganda“ in Schulen, Bibliotheken, kurzum in der Öffentlichkeit. Das ist der erste Schritt. Mit den erstarkenden rechtsextremen Parteien in Frankreich und Deutschland könnten solche Initiativen folgen. Manche sagen, ich sei zu pessimistisch, aber ich habe auf jeden Fall große Bedenken.
Wie kann man sich am besten dagegen wehren?
In dem man sich offen dagegen auflehnt, statt die Augen zu verschließen, den Kopf einzuziehen und eine Vogelstraußpolitik zu machen. Indem man auf eine Pride geht. Sich nicht versteckt. Sich nicht klein macht, um anderen genehm zu sein. Damit überlässt man den Gegnern den Platz. Wenn du Angst hast, du selbst zu sein, dann haben sie das erreicht, was sie wollen.
Was geben Sie jungen Menschen, die queer sind, mit auf den Weg?
Vor allem: Genießt euer Leben und lebt, was ihr seid. Egal, was ihr seid. Egal, was andere darüber denken. Wenn du dich dazu berufen fühlst, engagiere dich – auf politischer, sozialer oder pädagogischer Ebene. Und das ist eine Botschaft, die nicht nur an junge Menschen geht, sondern auch an ältere, die sich jetzt erst trauen, dazuzustoßen.
Zur Person
Patrick Weber war von 1998 bis 2002 Präsident von Rosa Luxemburg und somit einer der Mitbegründer des ersten „GayMat“. Beruflich war er als Journalist für die Revue und die Autorevue aktiv. Der 59-Jährige lebt gemeinsam mit seinem Partner Nicolas zusammen am Rande der Hauptstadt.
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