Filmbesprechung / Die Rache des Leierkastenaffen: „Mank“ von David Fincher
Sechs Jahre nach „Gone Girl“ kehrt David Fincher mit einem verschachtelten, dichten Biopic über den Drehbuchautor und die Entstehungsgeschichte von „Citizen Kane“ zurück, der sich gleichzeitig als nostalgische Reise in die Traumfabrik der 30er und 40er Jahre und scharfe Kritik an der politischen Korruption Hollywoods versteht. Mit „Mank“ ist Fincher das politische, mürrische Pendant zum metaphysischen Coen-Brüder-Meisterwerk „Barton Fink“ gelungen.
Wie viel Wirklichkeit verträgt ein Film? Und wie viel Fiktion kann man in die Wirklichkeit injizieren? Als Radio-Wunderkind und „Bulldoggen-Gesicht“ Orson Welles 1938 das Radiohörspiel zum „Krieg der Welten“ ausstrahlte, sollen einige Zuhörer an eine wahrhaftige Alien-Invasion geglaubt haben.
David Finchers „Mank“ handelt zwar nicht von Aliens, interessiert sich aber an der Schnittstelle zwischen Wahrheit und Fiktion, indem er von einem provokanten Drehbuch erzählt, das seine Referenzen an real existierende Personen nur leicht verschleierte und deswegen schon vor dem eigentlichen Filmdreh für Aufsehen gesorgt hat.
Orson Welles (Tom Burke) wird für sein Regie-Debüt die absolute künstlerische Freiheit gelassen. Als Drehbuchautor hat Welles niemand anders als Herman J. Mankiewicz, genannt Mank (Gary Oldman), vorgesehen. Ganz von Problemen und Polemik verschont bleibt das Projekt allerdings nicht: Mank ist nicht nur ein notorischer Alkoholiker, seine spitze Zunge und seine radikale Ehrlichkeit haben ihm in Hollywood den Ruf des Hofnarrens eingebracht.
Weiterhin inspiriert sich Manks „Citizen Kane“ am wirklichen Leben des mächtigen Zeitungsmoguls William Randolph Hearst, dessen Dinnerpartys und Liebhaberin Marion Davies (Amanda Seyfried) Mank selbst lange Zeit frequentierte – und der eine undurchsichtige Rolle in den an undurchsichtigen Macht- und Finanzierungsverstrickungen nicht armen Produktionsstudios MGM zu spielen scheint.
Nicht nur raten Bruder Joe (Tom Pelphrey) und Ehefrau Sara (Tuppence Middleton) Mank vom Projekt ab – Welles und Produzent John Houseman scheinen wenig zuversichtlich, dass der nach einem Autounfall bettlägerige und alkoholkranke Mank es vermag, das Drehbuch pünktlich, wenn überhaupt, abzuliefern.
In der erzählerischen Gegenwart sehen wir, wie der verletzte Mank auf einer abgelegenen Farm in der Mojave-Wüste der britischen Rita (Lily Collins) sein Drehbuch diktiert, mit seiner Alkoholsucht kämpft, an seiner Fähigkeit zweifelt, ohne die Unterstützung des Likörs rechtzeitig fertig zu werden, und in der deutsch-jüdischen Krankenschwester Freda (Monika Gossmann) eine Verbündete findet.
Besoffener Hofnarr
Immer wieder entführt uns Fincher via Rückblenden in die chauvinistische Welt der Produktionsstudios, um von Manks Steigen und Fallen in der Filmindustrie zu berichten – und nicht nur das Porträt eines Menschen, sondern auch einer Industrie und einer damals schon zerrissenen amerikanischen Gesellschaft zu zeichnen. So porträtiert „Mank“ eine Welt, in der die fiktionalen Improvisationen oder Gedankenexperimente eines Drehbuchautors verheerende Konsequenzen haben können – schnell kommt beim Produzenten Thalberg der Gedanke auf, dass Menschen, die sich in Kinos vor einem riesigen Affen fürchten, sich durch Bildsequenzen und Fiktion sicherlich auch politisch manipulieren lassen?
Das anfänglich schelmische Improvisieren – in einer urkomischen Szene soll Manks Team den MGM-Produzenten einen Film „pitchen“, die Autoren „jammen“ aus dem Nichts heraus einen Nonsens-Plot, den sie nachher noch gebührend interpretieren – weicht der Feststellung, dass die Vorstellungskraft auch zu Wirklichkeitsfälschungszwecken genutzt werden kann – mit verheerenden politischen wie persönlichen Konsequenzen.
Wo „Barton Fink“ den langsamen seelischen und künstlerischen Zerfall eines von Hollywood rekrutierten Drehbuchautors porträtierte, wird hier die Ausbeutung kreativer Menschen zwecks elektoraler Manipulation gezeigt. Wer hier nicht an das Zeitalter der auf sozialen Netzwerken verbreiteten Halbwahrheiten denkt, ist der Nostalgiefassade des Films auf den Leim gegangen.
Klar: Finchers Streifen ist eine formale und inhaltlich komplexe, meisterhaft gefilmte Hommage an „Citizen Kane“, die mit Referenzen an die Filmindustrie der 30er und 40er nur so gespickt ist und erzählerische Kniffe dieser Zeit imitiert. Der Film funktioniert aber auch als politische Parabel auf die Macht der Fiktion, wenn sie in falsche Hände gerät: Im Gegensatz zu Tarantinos rezentem Versuch, seiner Hollywood-Nostalgie eine politische Ebene aufzusetzen, ist die Verzahnung von Politik und Ästhetik in „Mank“ nicht nur eine filmische Verzierung, die mit einer gestelzt wirkenden Geschichtsumschreibung endet – hier geht es nämlich darum, wie Geschichtsumschreibung auch in der Wirklichkeit praktiziert wird.
Fiktion, Wahrheit, Wirklichkeit
Wenn sich Louis Meyer an seine „Mischpoke“ wendet und diesen in einer rührseligen Rede mitteilt, ihr Gehalt würde für einige Wochen halbiert, fühlt man sich an einige der Anfangssequenzen von David Lynchs „Inland Empire“ erinnert: Nur weil die Kamera nicht läuft, heißt es nicht, dass hier nicht gerade geschauspielert und gelogen wird, was das Zeug hält. Fiktion ist nur dann harmlos, wenn die „Lügen“ der Darsteller und Drehbuchautoren keinem weiteren Zweck als dem der Ästhetik, der Unterhaltung oder der Weiterbildung dienen.
Vor allem aber setzt sich der Film, wie auch „Barton Fink“, mit einem Autor auseinander, der sich stets zwischen Fiktion und Realität bewegt, der die Wirklichkeit nicht nur mit Anekdoten schmückt, sondern sie mithilfe von Metaphern, Geschichten und sinnstiftenden Allegorien erst richtig erfasst – und der an seiner Hellsichtigkeit, seinem scharfen Blick und seiner Menschenkenntnis, die es ihm stets erlauben, hinter die Kulissen der Machtgefüge zu blicken, langsam zugrunde geht.
Diese Figur, die ihre Tragik so lange in Wortwitz und Eleganz verpackt, bis sie der Elite wortwörtlich vor die Füße kotzt, wird von Gary Oldman grandios verkörpert – sein Mank ist so zynisch wie einfühlsam, zeitgleich eitel und berührend.
Immer wieder fragt er Ehefrau: „Wieso liebst du mich?“ „Poor Sara“, wie er sie anfangs nennt, scheint selbst keine Erklärung parat zu haben, wahrscheinlich aber liebt sie ihn vor allem, weil er im verlogenen, heuchlerischen Hollywood, das eine verlogene, heuchlerische Gesellschaft spiegelt, von einer erfrischenden, brutalen Ehrlichkeit ist. Denn Mank weiß ganz genau, dass Hearst recht hat: Ganz gleich, wie sehr er die Machtspielchen durchschaut hat – er wird stets der Leierkastenaffe bleiben, der nur dann tanzen darf, wenn die Musik gespielt wird.
Unvollständig und rätselhaft
„Man kann das Leben eines Menschen nicht in zwei Stunden umreißen. Man kann lediglich kurze Einblicke geben.“ Als sich Produzent John Houseman über das nur schleppend vorankommende „Citizen Kane“-Drehbuch und dessen Komplexität aufregt, regt sich Mank über die Widersprüche und Vollständigkeitsansprüche herkömmlicher Lebensverfilmungen auf – und gibt so einen Einblick in Finchers Poetik. Reale Leben haben stets Lücken, das Leben des Mank ist von Gedächtnislöchern und vom Alkoholkonsum entstellten Sequenzen gesät – genau diese Unvollständigkeit und Rätselhaftigkeit eines Menschen will Fincher einfangen.
Fast nebenbei wird der Fokus in diesem testosterongeladenen Milieu zunehmend auf die Frauenfiguren gerichtet: Wirkt Sara anfangs wie die treue Ehefrau, Rita wie die unterwürfige Sekretärin und Marion wie die gutaussehende, aber nicht sehr helle Schauspielerin, so tut Fincher dies, um die männlichen Vorurteile der Epoche erst zu veranschaulichen, dann zu verurteilen – jede dieser Figuren entpuppt sich im Endeffekt als komplexer, tiefgründiger und menschlicher als die meisten der männlichen, oftmals hohlen Nebenfiguren.
Für den Epoche-Soundtrack zeichnen erneut Trent Reznor und Atticus Ross verantwortlich – so weit haben sich die beiden Musiker, die das momentane Line-up der Industrial-Metal-Band Nine Inch Nails ausmachen, noch nie aus ihrer Komfortzone herausgewagt.
Das ist einerseits bewundernswert, andererseits hätte man für den stimmigen Jazz auch weniger bekannte Musiker gewinnen können – der Soundtrack ist zwar stimmig und passend, zeigt sich jedoch weniger eindrucksvoll und memorabel als Reznors und Ross’ Arbeiten zu „The Social Network“ und „The Girl with the Dragon Tattoo“.
Mit „Mank“ gelingt Fincher nach dem netten Thriller „Gone Girl“ wieder ein aussagekräftiger Film, der wie bereits „The Social Network“ trotz (oder eben gerade wegen) des dialoglastigen Drehbuchs zu jedem Zeitpunkt packt – nicht zuletzt dank Gary Oldmans ausgezeichneter schauspielerischer Leistung.
Bewertung: 4/5
Vorführungen
Im Utopia: Fr.-Di. 16.15 Uhr.
Im Kinepolis Kirchberg: Fr. & Mo.: 13.30, 16.45, 19.30 Uhr; Sa.: 16.30, 19.30 Uhr; So. & Di.: 16.45, 19.30 Uhr.
Kinepolis Belval: Fr. & Mo. 14.00, 17.00, 19.30 Uhr; Sa.: 16.30, 19.30 Uhr; So. & Di.: 17.00, 19.30 Uhr.
Ab dem 4. Dezember auf Netflix.
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