MNHA / „Die Realität so zeigen, wie sie war“: Ausstellung über die koloniale Vergangenheit von Luxemburg eröffnet
Die Sonderausstellung „Le passé colonial du Luxembourg“ im Nationalmuseum für Geschichte und Kunst ist seit dem vergangenen Freitag für Besucher offen. Wie ihr Name schon verrät, setzt sie sich mit der kolonialen Vergangenheit des Großherzogtums auseinander – und zeigt, dass das Vermächtnis dieser Zeit bis in die Gegenwart hinein weiterwirkt.
Das Figürchen fällt beim Vorbeigehen ins Auge. Es trägt ein korallenrotes Gewand, passend zu seinen rot gefärbten Lippen und Bäckchen. In seinen beiden Händen hält es eine Schale, darin befindet sich ein schmaler Schlitz für die Spenden. Unter der Brust trägt der dunkelhäutige Junge, den die Figur darstellt, einen Schriftzug: „Merci“ steht da in schwarzer Schrift, die Buchstaben heben sich klar von dem goldbraunen Untergrund ab. Und wenn man eine Münze hineinfallen lässt, nickt das Kind sogar mit dem Kopf – eine besondere Vorrichtung, die zum Spenden animieren soll. Bei dem Ausstellungsstück handelt es sich um eine Sparbüchse, die im Inneren einer luxemburgischen Kirche stand. Es ist ein Zeitzeugnis der katholischen Mission in Afrika, an denen auch Luxemburger Priester beteiligt waren. Wie die vielen anderen Gegenstände, die in den graugestrichenen Räumen auf Sockeln oder in Glaskasten stehen, an den Wänden hängen oder mithilfe von feinen Nylonfäden als freischwebende Konstruktion montiert wurden, macht sie deutlich: An der kolonialen Expansion europäischer Mächte in Afrika hat sich auch das Großherzogtum beteiligt.
Die verschiedenen Facetten der kolonialen Vergangenheit des Landes versucht die Sonderausstellung „Le passé colonial du Luxembourg“ im Nationalmuseum für Geschichte und Kunst (MNHA) zu ergründen, denn eines ist sicher: Es gibt sie, diese Vergangenheit. Die Ausstellung können Interessierte vom 8. April bis zum 6. November besichtigen, für Erwachsene kostet der Eintritt sieben Euro. Begleitend zur Ausstellung werden eine Reihe von öffentlichen Vorträgen abgehalten. So wird zum Beispiel Benoît Henriet, Geschichtsprofessor an der Freien Universität Brüssel, am 5. Mai um 18 Uhr über „Violence coloniale et résistance au Congo (1876-1960)“ sprechen (das Programm mit allen Vorträgen finden Sie in der Informationsbroschüre zur Ausstellung).
Ausstellung mit Bezug zur Aktualität
Der Kolonialismus sei ein „komplexes wie aktuelles Thema“ unterstrich der Museumsdirektor Michel Polfer am vergangenen Donnerstag während der Pressevisite im MNHA. Entstanden sei die Idee für die Ausstellung im Jahr 2019, in der Zwischenzeit sei man von der Aktualität eingeholt worden. Polfer verwies auf die „Black Lives Matter“-Bewegung, die besonders in den letzten Jahren international hohe Wellen schlug und durch den grausamen Mord am Afroamerikaner George Floyd 2020 eine neue Dringlichkeit bekam. Auch in den kommenden Jahren wolle das Museum Ausstellungen kuratieren, die in Beziehung zu öffentlichen Debatten ständen, bemerkte der Museumsdirektor. Dabei sei der Titel der derzeitigen Ausstellung – auf die die rechtskonservative Partei ADR schon mit einer parlamentarischen Frage reagierte – weder als Beschuldigung noch als Lob gedacht, sondern würde einer einfachen Feststellung gleichkommen. Dass es ihnen als Verantwortliche darum gegangen sei, „die Realität so [zu] zeigen, wie sie war“, betonte auch Kurator Régis Moes. Deswegen habe man entschieden, historische Quellen wortwörtlich zu zitieren und dabei Begriffe, die das heutige Publikum womöglich schockieren, beizubehalten. Den Prozess hätten Nichtregierungsorganisationen begleitet.
Die Ausstellung sei unterteilt in unterschiedliche thematische Blöcke, die auch eine gewisse Chronologie verrieten, erklärte Polfer. Zudem seien zeitgenössische Biografien und subjektive Erfahrungsberichte in die Ausstellung mit eingeflochten worden – so zum Beispiel die persönlichen Aussagen von Nachfahren von Kolonisten oder auch Erzählungen von Menschen, die nach wie vor wegen ihrer Hautfarbe rassistischen Angriffen ausgesetzt sind. Zudem geht die Ausstellung auf Geschichten wie die des verstorbenen LSAP-Politikers Jacques Leurs ein, der 1910 als Kind eines Luxemburger Vaters und einer afrikanischen Mutter im Kongo geboren wurde und im Luxemburger Pfaffenthal aufwuchs. Er war zeitlebens als „erster Luxemburger mit dunkler Hautfarbe“ bekannt und begegnete, auch wenn seine beruflich-politische Karriere von Erfolg gekrönt war, zahlreichen Hindernissen, die mit seiner Herkunft zusammenhängen. Über ihn drehte der Luxemburger Regisseur Franz Hausemer den 2017 erschienenen Film „Schwaarze Mann – Un noir parmi nous“.
Kolonialverbrechen in den Blick genommen
Die Ausstellung deckt die zahlreichen Dimensionen der kolonialen Vergangenheit des Großherzogtums ab. Informationstafeln erörtern die ökonomischen Zusammenhänge – seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die aus den Kolonien importierten Waren hierzulande zuhauf konsumiert – und erklären, inwiefern durch die Bildung von Klischees und Stereotypen die Eroberung von fremden Territorien allgemein legitimiert wurde. So argumentierte man, die Europäer brächten der indigenen Bevölkerung „Kultur“ oder klärten sie über das Christentum auf. Der „colonialisme à la luxembourgeoise“, wie der Museumsdirektor die koloniale Beteiligung des Landes nannte, entfaltete dann im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts eine eigene Wirkungskraft, als die belgische Regierung 1922 die Luxemburger in den Kolonien im Kongo, in Ruanda und Burundi mit den Belgiern gleichsetzte. Den luxemburgischen Staatsbürgern standen somit neue Karrieremöglichkeiten als Ingenieure, Angestellte, Unternehmer, Mediziner o.ä. in den Überseegebieten offen – die sichere Existenz und die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs machte das Übersiedeln nach Afrika für viele Menschen attraktiv.
„Le passé colonial du Luxembourg“ bespricht auch die verschiedenen Formen der kolonialen Gewalt. So nehmen zwei ausgestellte Gemälde die körperliche Repression aus der Perspektive der Unterdrückten in den Blick und zeigen, wie dunkelhäutige Menschen mit Peitsche und Stöcken grausam zugerichtet wurden. Außerdem klärt die Ausstellung über die sogenannten „Völkerschaus“ auf, die im Kontext von Weltausstellungen oder auch Zirkussen stattfanden. Dabei wurden außereuropäische Menschengruppen Schaulustigen wie in einem Zoo vorgeführt. Was nur noch wenige Menschen wissen: Auch auf der Schobermesse gab es solche dehumanisierenden Zurschaustellungen.
Interessant ist, dass „Le passé colonial du Luxembourg“ die bisherige Auseinandersetzung mit der Luxemburger Kolonialgeschichte mit einbegreift. Thematisiert werden die Umbenennung verschiedener Straßen, deren Namensgeber während der Kolonialzeit Schuld auf sich luden, oder auch Aktionen wie die des Künstlerkollektivs Richtung 22, das am Denkmal des sogenannten „Kolonialpioniers“ Nicolas Cito in Käerjeng im Angedenken an 5.500 Zwangsarbeiter rote Gitterstäbe anbrachte, denn letztere waren beim Bau einer Zugstrecke im Kongo ums Leben gekommen. Die Ausstellung umkreist somit auf verschiedenen Ebenen das Thema der kolonialen Vergangenheit des Landes und leistet so einen Beitrag zur nationalen Erinnerungskultur. In seiner Broschüre schreibt das MNHA: „Die koloniale Vergangenheit prägt bis heute die Identität zahlreicher Menschen. In ihrer Familiengeschichte, in ihrem eigenen Leben, in Form von Diskriminierungen, die sie erdulden müssen, oder auch als Ursache für ihr politisches Engagement – die Folgen zeigen sich überall.“
Lesen Sie auch:
„Ich schäme mich für mein Land“: „Richtung 22“ und „Lëtz Rise Up“ bauen Führungen aus
- „und zerbröselt in vierzig stückchen illusion“: Tom Webers Lyrikband „fluides herz“ erzählt von Zerfall und Neubeginn - 19. Dezember 2022.
- Wir müssen die Lyrik befreien: Warum die Dichtung trotz ihrer Präsenz in den Medien ein Image-Problem hat – und wie sich das ändern kann - 27. November 2022.
- Mehr Akzeptanz fürs Kinderwunschlosglück: „Nichtmuttersein“ von Nadine Pungs - 4. September 2022.
Guten Tag Frau Lauer,
Kolonialismus ist eng mit der Entwicklung der rassistischen Eugenikbewegung ab 1900 verbunden. Diese führte zu der auch in Luxemburg begeistert begrüßten NS-Rassen- und Euthanasiepolitik hin. Die mit dieser Politik in Kauf genommenen Massengräber müssen in die luxemburgische Erinnerungskultur integriert werden.
https://www.namibiana.de/en/kolonialismus-eugenik-und-buergerliche-gesellschaft-in-deutschland-1850-1918.html
https://www.gedenkort-t4.eu/sites/default/files/media/file/heiliger_krieg_trus.pdf
MfG
Robert Hottua