Hinter den Kulissen / Die Studie, auf der Luxemburgs Hoffnung ruht
Wann ist das Ganze zu Ende? Während die Regierung im stillen Kämmerlein eine Exit-Strategie ausarbeitet, schlägt die Stunde der Wissenschaft. Forscher untersuchen seit Mittwoch die Corona-Ausbreitung in Luxemburg: Wie verlässlich sind ihre Daten und welche Aussagekraft werden sie besitzen? Ein Blick auf das Innenleben der neuen CON-VINCE-Studie.
Die Lage ist ernüchternd: Bislang verfügbare Daten zur Corona-Krise lassen nur wenig verlässliche Antworten zu. Obschon Luxemburg im internationalen Vergleich sehr viel testet, ist am Ende nur eins klar: bei wie vielen der untersuchten Personen entsprechende Tests positiv ausgefallen sind – oder eben nicht. Für das ganze Land ist die Gruppe der Getesteten aber nicht repräsentativ. Die Analyse der Dynamik der Infektionen steht zudem auf wackeligen Beinen: Die Dunkelziffer der tatsächlich in Luxemburg Infizierten ist kaum abschätzbar.
Genau hier setzt die Forschung jetzt an. Während das politische Krisenmanagement die Menschen mit „Masken zum Selbstnähen“ bei Laune hält, gehen Wissenschaftler konkrete Wege. Ihr Ziel: verlässliche Daten zur Corona-Krise zu erhalten. Dies soll mit einer neuen Studie gelingen. Ihr Name: „CON-VINCE”. Das Wortspiel: Überzeugen. Die Ironie dahinter: Gelegentlich ist unklar, wer eigentlich wen überzeugen will – die Wissenschaft die Politik oder die Politik die Wissenschaft?
Prof. Rejko Krüger muss bei seiner Arbeit diese Frage ausklammern. Der Koordinator der neuen „CON-VINCE“-Studie ist die Stimme des aktuell wohl wichtigsten Forschungsprojekts in Luxemburg. Die Studie wird vom „Fonds national de la recherche“ (FNR) mit 2,5 Millionen Euro unterstützt. Nähere Details zur Verteilung des Budgets will Krüger nicht nennen. Ob die Forschungsergebnisse am Ende helfen, über eine Exit-Strategie zu entscheiden? Krüger winkt zunächst ab: „Die Studie ist nicht dafür designt. Sie soll die bestmöglichen und objektiven Daten aus einer repräsentativen Population gewinnen können.“ Er hütet sich, Aussagen zum politischen Entscheidungsfindungsprozess zu machen. Der Grund: „Ich bin mir sicher: da werden einige unerwartete Dinge dabei sein.“ Die Priorität lautet demnach: aussagekräftige Daten sammeln. Danach wird weitergeschaut.
Wer ist der Koordinator?
Krüger ist seit 2019 Direktor für transversale, transnationale Medizin am „Luxembourg Institute of Health“ (LIH). Sein Forschungsschwerpunkt: Parkinson. Warum koordiniert gerade er und nicht ein Virologe die „CON-VINCE-Studie? – Es ist seine Erfahrung: Krüger kennt sich mit der Zusammensetzung komplexer Teams aus. Er ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Aufbau des Luxemburger „National Centre of Excellence in Research on Parkinson’s Disease”. Dort arbeiten Uni Luxemburg, LIH, Krankenhäuser und die „Integrated Biobank of Luxembourg“ (IBBL) zusammen. Die Entstehung des Centers glich jedoch zeitlich einem Spaziergang im Park im Vergleich mit dem Aufbau des „CON-VINCE“-Teams: „Damals hatten wir ein Jahr Zeit. Jetzt mussten wir das in drei Wochen aufbauen.“
Krüger kann jedoch von der damals aufgebauten Infrastruktur und den Netzwerken profitieren: „Die sichere Datenspeicherung, die Partner, die dabei sind – das waren zum Teil schon vorbestehende Kontakte. Andere kamen neu hinzu. Nur so war es möglich, so schnell ein solch breites Konsortium aufzustellen.“ Konkret heißt das: Krüger musste innerhalb von drei Wochen ein Studien-Team aufbauen, das sich aus Immunologen, Epidemiologen, „Public Health”-Experten, „Labo“-Leuten, Grundlagenforschern, Informatikern, Infektiologen und weiteren Experten zusammensetzt. Nebenbei muss Krüger Bedürfnisse und Schnittstellen erkennen. Hinzu kommt die Kommunikation. Denn neben den Experten gilt es, die Zusammenarbeit mit Partnern wie KetterThill, Laboratoires Réunis und BioneXt Lab zu koordinieren.
Doch wozu der ganze Aufwand? Die Antwort zeigt sich nicht direkt beim Blick auf das Studien-Design von „CON-VINCE“. Denn in der Theorie klingt die Studie nicht allzu aufwändig. 1.500 zufällig ausgewählte Menschen in Luxemburg sollen auf Covid-19 getestet werden. Aus dieser repräsentativen Studie werden nur jene Menschen langfristig untersucht, die mit dem Virus infiziert sind, aber keine oder nur milde Symptome zeigen. Sie heißen im Fachjargon „asymptomatische Personen“. Gerade diese asymptomatischen Menschen lassen sich vermutlich meist nicht auf Covid-19 testen. Sie verbreiten das Virus aber potenziell munter weiter. Die Idee hinter der Studie: Aussagen zur Frage der Dunkelziffer sowie zur Verbreitung der Krankheit mit verlässlichen, international vergleichbaren Daten generieren.
Wer nimmt an der Studie teil?
Damit dies jedoch gelingt, muss viel hinter den Kulissen gearbeitet werden. Das beginnt bei der Stichprobe. Woher nimmt man 1.500 zufällig ausgewählte Luxemburger? Während Krüger bei seiner Parkinson-Forschung Patienten teilweise bei dreistündigen Gesprächen selbst trifft, muss er nun zum ersten Mal mit dem Meinungsforschungsinstitut TNS Ilres zusammenarbeiten. Der Vorteil: Das Institut kann auf einen Pool von 18.000 Menschen in Luxemburg zurückgreifen, die repräsentativ sind für das Land. Aus ihnen können 1.500 potenzielle Studienteilnehmer zufällig ausgewählt werden. Die Kriterien: Geschlecht, Wohnort und älter als 18 Jahre. „Dadurch haben wir die große Chance, die engen Zeitrahmen zu erfüllen, die nötig sind“, so Krüger.
Wie groß die Hoffnung und Verzweiflung bei so manchem ist, erlebt Krüger am eigenen Leib: „Ich erhalte schon Anrufe von Leuten, die mitmachen wollen.“ Sich freiwillig melden, entspricht jedoch nicht dem Sinn der repräsentativen Studie. Die zufällig ausgewählten Studienteilnehmer werden von TNS Ilres kontaktiert und kommunizieren über eine gesicherte Online-Plattform. „Die Daten werden alle pseudonymisiert und nicht mit persönlichen Daten zusammengeführt“, betont Krüger. Bei Unklarheiten stehe auch eine telefonische Helpline für Studienteilnehmer zur Verfügung. Die restliche Kommunikation erfolge strikt online: „Man will die Leute nicht in Interview-Situationen bringen oder in persönliche Kontakte, weil das heutzutage ein gewisses Risiko bedingt.“
Wie laufen die Tests ab?
Nach der Kontaktaufnahme kann der Studienteilnehmer sein freiwilliges Einverständnis geben. Danach wird er gebeten, Fragen zu beantworten. „Diese drehen sich im Wesentlichen um Gesundheit, Begleiterkrankungen, Medikamente und um mögliche Infektionswege: War man auf Reise? Wenn da Ischgl auftaucht, hat man schon eine Idee“, resümiert Krüger. Daneben werden optional weitere Fragen gestellt. Sie befassen sich nicht mehr mit der eigentlichen Studie. „Das sind psychologische Fragen: Wie kommt man im Moment mit den Containment-Maßnahmen klar?“ Wurden die Fragen beantwortet, werden die asymptomatischen Studienteilnehmer gebeten, ein Labor aufzusuchen, wo Abstriche und Blutproben für die Antikörpertests genommen werden. „Das sind Teilnehmer, die in der Regel infiziert sind, aber kaum Symptome haben“, hebt Krüger hervor. Studienteilnehmer, bei denen hingegen starke Covid-19-Symptome identifiziert werden, werden aus der Studie ausgeschlossen und zur geläufigen Behandlung geschickt.
Die Vorarbeit hierfür leisten Krüger, das Forschungsteam und ihre Partner: „Das ist durch unsere Partner möglich: KetterThill, Laboratoires Réunis und BioneXt Lab haben Einrichtungen im ganzen Land. Diese Zentren stehen für die Studienteilnehmer offen.“ Abstriche und Blutproben würden zeitgleich durchgeführt, so Krüger. Gerade die Antikörpertests stehen jedoch zurzeit wegen ihrer mangelnden Verlässlichkeit im Fokus. Er begrüßt, dass die Abstrich-Tests („RT-PCR”) zuverlässiger geworden seien. Die erste Etappe der Nasen- und Rachenabstriche sei weniger das Problem. Schwieriger werde es danach: „Der Antikörpertest, der die Immunologie bestimmt, wird momentan noch getestet.“
Welche Rolle spielt die Task Force?
Dies geschieht wiederum außerhalb der „CON-VINCE“-Studie. Koordinator Krüger ist Teil einer mehrgliedrigen Task Force, die sich auf unterschiedliche Coronakrisen-Schwerpunkte fokussiert hat. Sie setzt sich erneut aus vielen verschiedenen Akteuren zusammen. Die „CON-VINCE-Studie” ist Teil der ersten Arbeitsgruppe der Task Force. Die Erforschung der Zuverlässigkeit der Antikörpertests, die in der „CON-VINCE“-Studie gebraucht werden, erfolgt wiederum in der vierten Arbeitsgruppe der Task Force. Diese wird von Prof. Markus Ollert geleitet. „Diese Gruppe wird uns zuweisen, welche Antikörpertests sie für am zuverlässigsten hält. (…) Es gibt Hinweise, dass es inzwischen einen Antikörpertest gibt, der deutliche Verbesserungen zu allen vorherigen bietet. Ich erwarte die ersten Ergebnisse in den nächsten Tagen.“
Ist diese Etappe erreicht, kann die Studie eigentlich durchgeführt werden. Allerdings weist Krüger darauf hin, dass die Entscheidung von Prof. Ollerts Team nur zu Forschungszwecken dient. Die Entscheidung über die Wahl der Antikörpertests habe noch keinen offiziellen Charakter: „Man muss zwischen dem Forschungsteil und der regulären Diagnostik in akkreditierten Laboren unterscheiden.“ Die Proben der „CON-VINCE“-Studie können zunächst nur helfen, zu sagen, welcher Antikörpertest nachher der Beste ist, um bei den regulären, alltäglichen Covid-19-Tests gebraucht zu werden. Deswegen müssen Menschen, die im Rahmen der Studie positiv getestet werden, sich noch einmal „normal“ testen lassen. „Wir machen eine Diagnostik auf Forschungsbasis. Das heißt, wann immer wir jemand positiv identifizieren, muss er noch einmal regulär bestätigt werden über die normale Versorgungsdiagnostik wie zum Beispiel bei den Laboratoires Réunis, Laboratoire National de Santé (LNS), KetterThill oder BioneXt Lab.“
Wann gibt es Resultate?
Alleine diese Passage verdeutlicht, weshalb die Studie eine zentrale Anlaufstelle hat. Der Koordinationsaufwand ist komplex, der Zeitdruck groß. Und am Ende interessiert die Menschen nur eine Handvoll Fragen: Was bringt diese Studie? Wann ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen? Und welchen Einfluss haben diese auf die Politik und unser Leben? „Sie können sicher sein, dass wir alle Tag und Nacht an dem Projekt arbeiten. Wir rechnen in den nächsten Wochen mit den Ergebnissen. Je eher, desto besser. Aber Sie können sich das sicherlich vorstellen: Es gibt einige Unwägbarkeiten“, gibt Krüger zu bedenken. Worauf er anspielt: Lieferengpässe und entfesselte Märkte. „Das sind bestimmte Lieferungen von Röhrchen auf dem Weg von China nach hier. Die sollen dann und dann ankommen. Wenn die erst zwei Tage später ankommen, verzögert sich unsere Studie um zwei Tage. Das kann man im Moment noch nicht im Detail vorhersehen. Dazu sind die Zeiten einfach zu kompliziert.“ Seien die Bestellungen früher „trivial“ gewesen, könne man heute nur spekulieren.
Die Versorgung der „CON-VINCE“-Studie erfolgt über die „Integrated Biobank of Luxembourg“ (IBBL) in Düdelingen. „Sie stellt uns diese Kits zur Verfügung: Da sind die Abstriche und die Blutröhrchen drin. Die können an die verschiedenen Rekrutierungsstellen im Land gebracht werden, wo dann die Blutabnahme und der Abstrich der Studienteilnehmer vorgenommen werden.“ Sollte die IBBL auch unter Lieferengpässen leiden, muss Krüger dafür sorgen, dass alternative Lieferanten von anderen Instituten in Luxemburg mitgenutzt werden. „Wir können unsere Studie nur durchführen, solange die Versorgung und die Realdiagnostik gesichert sind.“
Bleiben Lieferengpässe aus, werden die Studienteilnehmer alle 14 Tage zur freiwilligen Sichtung eingeladen. „Wir werden einen Verlauf über zwei Monate haben. Anhand davon werden wir sehen: Wer ist neu infiziert? Wer ist gesundet? Wer hat eine Immunität? Diese zwei Monate sind entscheidend. Und dann ist am Ende nach einem Jahr vorgesehen, dass man noch mal die gleiche Gruppe untersucht. Denn dann sieht man erst Langzeiteffekte.“ Ob Politik, Wirtschaft und die Bevölkerung so viel Geduld haben werden, ist mindestens so ungewiss wie die bisher verfügbaren Daten.
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