Editorial / Die Ukraine sollte sich angemessener verteidigen können
Längst befindet sich die Ukraine im dritten Jahr ihres Verteidigungskampfes gegen die russischen Invasionstruppen, doch noch immer wird das Land vom Westen nicht in dem Maße unterstützt, wie es die Situation erfordert. Die Praxis hinkt in zwar immer weniger, aber dennoch sehr bedeutenden Teilen den vielen Beistandsbekundungen und Versprechen nach wie vor hinterher. Was sich dann auch auf den Schlachtfeldern im Osten des Landes widerspiegelt. Dies ist jedoch nicht allein das Ergebnis mangelnder Waffen- und Munitionslieferungen. Denn die jüngste russische Offensive in der Region Charkiw hat gezeigt: Die Einschränkungen einiger westlicher Länder, was den Gebrauch der von ihnen an die Ukraine gelieferten Waffen anbelangt, kann man geradezu als direkte Unterstützung von Putins Truppen ansehen. Zwar haben die ukrainischen Verteidiger bereits Waffen, mit denen sie jenseits ihrer Grenze in Russland zu ihren Gunsten hätten eingreifen können. Doch ihnen wurde zum Kämpfen eine Hand auf den Rücken gebunden und sie mussten sich auf Wunsch unter anderem aus dem Weißen Haus zurückhalten, während sich die russischen Truppen unter den Augen aller seelenruhig auf ihre Offensive vorbereiteten und dabei die größten Geländegewinne seit langem machen konnten.
Absolut keine Bedenken haben hingegen Moskau und dessen Verbündete Iran und Nordkorea. Drohnen und Raketen von den Mullahs sowie Artilleriegeschosse von den Steinzeit-Kommunisten aus Fernost werden ohne Aufhebens auf zumeist zivile Ziele in der Ukraine abgefeuert. Ohne dass dies zu irgendwelchen bedeutenden Konsequenzen für eine der beteiligten Parteien geführt hat. Ob jetzt einige Sanktionen mehr gegen Teheran oder Pjöngjang verhängt wurden: Bei den ohnehin bereits bestehenden Strafmaßnahmen fallen sie kaum ins Gewicht und werden ebenso wenig wahrgenommen.
Dabei müsste doch umso mehr ins Gewicht fallen, dass der Iran und Nordkorea gerade den Aggressor in diesem Krieg unterstützen und beide sich damit mitschuldig an der von Moskau ausgehenden eklatanten Verletzung des Völkerrechts machen. Im Gegensatz dazu können Waffen und Munition aus dem Westen in Russland eingesetzt werden, was ausdrücklich durch das Völkerrecht gedeckt ist. Trotz dieser eindeutigen Rechtslage haben diesseits der Frontlinie die Bedenkenträger die Deutungshoheit. Die sich – wieder einmal – an den Putin’schen Vorgaben orientieren. Natürlich sieht der Kremlherrscher eine Ausweitung des ukrainischen Verteidigungsradius auf sein Territorium als nicht hinnehmbare Bedrohung. Wie Putin das jedoch einordnet, ist unter Umständen zweitrangig, da sein Handeln und seine Einschätzungen ohnehin von einer gehörigen Portion Willkür geleitet sind. Befürchtungen einer Eskalation mögen angebracht sein, doch worin würde diese bestehen? Putin wähnt sich längst in einem Krieg mit der NATO, was von der Militärallianz selbstredend keineswegs so gesehen wird. Zudem hat sich das russische Eskalationspotenzial im Kriegsverlauf abgeschwächt. Will heißen, die russischen Militärs sind froh, wenn sie den Druck auf die Ukraine aufrechterhalten können. Die Eröffnung einer zweiten Front – wo auch immer – können sie sich schlicht nicht leisten.
Der Westen sollte demnach aufhören, Putins Invasionsarmee zu unterstützen und den Ukrainern die Bekämpfung militärischer Ziele jenseits ihrer Landesgrenzen ermöglichen. Denn die bleiben auch damit immer noch hinter den Möglichkeiten zurück, die den Kremltruppen in ihrem Krieg gegen die Menschen in der Ukraine zur Verfügung stehen.
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