Corona / Die Verfolgung von Infektionsketten läuft in Luxemburg (fast) reibungslos
Durch Kontaktverfolgung sollen Menschen, die sich mit Corona angesteckt haben, ermittelt werden; auf diese Weise soll eine Ausbreitung der Krankheit verhindert werden. Als es in der Stadt Göttingen in Deutschland zu einem Ausbruch in einem Hochhaus kam, hatten die Behörden Mühe, alle Bewohner dazu zu bewegen, sich testen zu lassen. Von solchen Erfahrungen ist man in Luxemburg weit entfernt. Die Menschen kooperieren vorbildlich, wie die Leiterin der Tracing-Einheit des Sanitäramtes, Laetitia Huiart, gegenüber dem Tageblatt berichtet. Sie appelliert an die Menschen, jetzt nicht unvorsichtig zu werden.
Auf Baustellen wird wieder gearbeitet. In Schulen wird wieder unterrichtet. Restaurants haben wieder auf. Nach und nach erwacht Luxemburg aus seinem Dornröschenschlaf. Damit es kein böses Erwachen gibt, werden immer noch Regeln eingehalten. Die Konzerthallen bleiben leer. Hände werden nicht geschüttelt. Eingekauft wird nur mit Mundschutz.
Dass es nicht zu einer zweiten Welle kommt, dafür sorgt auch die Tracing-Einheit des Sanitäramtes. In Detektivarbeit geht sie Infektionsketten nach, ermittelt Menschen, die möglicherweise infiziert sind, damit diese untersucht werden können und im Fall der Fälle Vorsichtsmaßnahmen treffen können, um andere Menschen zu schützen.
Bei rund einem Viertel der täglich gemeldeten Neuansteckungen handelt es sich um Kontaktpersonen, die von der Tracing-Einheit ermittelt worden sind. Es handelt sich also um Personen, die sich bei einer den Behörden bekannten Person angesteckt haben. Zum Zeitpunkt ihres Tests waren diese Personen oft schon in Quarantäne.
Starke Mitarbeit in Luxemburg
Laetitia Huiart leitet die Abteilung für Kontaktverfolgung in Luxemburg. Sie äußert sich positiv über die Mitarbeit der Bevölkerung in Luxemburg. Manchmal brauche es ein wenig Überzeugungskraft, aber sie habe den Eindruck, dass die betroffen Menschen sehr gut kooperieren. Es komme nur sehr selten vor, sagt sie, dass jemand sich verweigert. Im Gegenteil: Die meisten Menschen seien sogar damit einverstanden, dass ihr Name genannt wird (und sie nicht anonym bleiben), wenn Kontaktpersonen angerufen werden, die sich möglicherweise bei ihnen angesteckt haben.
Derzeit behandelt die Abteilung einige wenige Fälle am Tag. Drei Personen stehen bereit, um mit den Erkrankten zu sprechen. Ein Team aus fünf bis sechs Personen steht immer bereit, um die Personen, die sich angesteckt haben könnten, anzurufen. Im Notfall kann das Team allerdings schnell aufgestockt werden. 100 Posten und eine Liste mit Personen, die herangezogen werden können, stehen der Abteilung dafür zur Verfügung.
In Luxemburg gibt es zurzeit 35 aktive Fälle, die den Behörden bekannt sind. 3.904 positiv getestete Personen haben sich von ihrer Infektion erholt und 110 Person sind gestorben. Die Reproduktionszahl liegt offiziellen Angaben zufolge bei 0,997. Eine kranke Person steckt also im Schnitt weniger als eine weitere Person an. Das Ausmaß der Epidemie ist in Luxemburg derzeit also überschaubar.
Freiwillige Initiative in UK
Im Vereinigten Königreich sieht die Lage noch anders aus. Das Land zählt mittlerweile (kumuliert) fast 292.000 bestätigte Corona-Fälle. Lediglich die Vereinigten Staaten, Brasilien und Russland zählen mehr Fälle. Daneben befindet sich Großbritannien noch immer in schwierigen Post-Brexit-Verhandlungen mit der Europäischen Union. Das Land muss eine politische Unwägbarkeit und eine sanitäre Krise parallel bewältigen.
Am 12. März hatte der britische Premier Boris Johnson angekündigt, dass die Epidemie in seinem Land nicht länger mittels Tracing in Schach gehalten werden kann. Das Contact Tracing wurde gestoppt und getestet wurden nur noch Menschen, die ins Krankenhaus kamen. Ein Lockdown wurde allerdings erst zehn Tage später, am 23. März, verhängt.
Einige Bürger beschlossen, das Vakuum zu füllen und die Initiative „Community contact tracers“ auf die Beine zu stellen. Laut ihrer Internetseite handelt es sich um „eine Gruppe von Ärzten aus Sheffield, darunter pensionierte Spezialisten für öffentliche Gesundheit, Direktoren für öffentliche Gesundheit und Allgemeinmediziner“. Die Initiative hat Freiwillige ausgebildet, beaufsichtigt und koordiniert, um Contact Tracing zu machen. Das Ziel des Pilotprojektes war es, die Durchführbarkeit einer solchen Initiative zu erproben. „Sollte es erfolgreich sein, besteht die Hoffnung, dass es vom NHS, der Public Health England und den lokalen Behörden weitgehend übernommen wird“, heißt es auf der Internetseite weiter.
Erfahrungen aus China
Die Gruppe beruft sich auf Erfahrungen, die in China gemacht wurden: „Wir wissen, dass es in China ein sehr starkes gemeinschaftliches Unterstützungselement bei der Bewältigung des Ausbruchs in Wuhan gab, die Menschen wurden täglich kontaktiert, um zu überprüfen, wie es ihnen geht, und sie im Verlauf der Krankheitsphasen zu unterstützen. Gegenwärtig gibt es keinen ähnlichen Beitrag zur Unterstützung von Menschen, die an der Krankheit leiden, aber keinen Krankenhausaufenthalt benötigen, in Sheffield.“
Das Resultat des Pilotprojekts ist ernüchternd: Sechs Freiwillige haben eine Schulung von fünf Stunden erhalten. Die Freiwilligen ermöglichten mindestens 19 Selbstisolationen, die sonst vielleicht nicht stattgefunden hätten. Allerdings gab es auch Schwierigkeiten: Die Erkrankten konnten oder wollten die Namen von 39 Kontaktpersonen nicht herausgeben. 29 davon arbeiten in Pflegeberufen. In solchen Fällen wurden die Arbeitgeber angerufen, die manchmal versprachen, die Information an das Personal weiterzugeben, allerdings konnte das von der Initiative nicht überprüft werden.
Die Initiative sucht nach Gründen für die fehlende Kooperationsfreude der Betroffenen. Ein Grund sei, dass es der Initiative an Gewicht fehlt: „Der Mangel an Autorität führte dazu, dass 39 Kontakte, die hätten isoliert werden können, nicht weiterverfolgt wurden.“ Der Staat könnte das ändern, glauben die Macher der Sheffield-Initiative in ihrem Abschlussbericht: „Starke Botschaften von der nationalen Regierung, Unterstützung durch die Kommunalverwaltung und Durchsetzung durch Umweltgesundheitsbeamte könnten die Ergebnisse verbessern.“
Der Fall Göttingen
Aber auch offizielle Stellen scheinen manchmal auf Widerstände zu stoßen. So zum Beispiel in der deutschen Stadt Göttingen. Dort ist es – möglicherweise bei Familienfeiern – zu einem Ausbruch in einem Wohnkomplex gekommen. Die Behörden der Stadt wollten daraufhin alle Bewohner des Hauses auf Corona testen. 600 Menschen sind offiziell in dem Haus gemeldet. Laut dem Norddeutschen Rundfunk kamen viele der Bewohner nicht: „Trotz zwei behördlichen Testanordnungen am vergangenen und vorvergangenen Wochenende waren rund 80 der dort gemeldeten 600 Menschen nicht zum Test erschienen. Ein Teil davon habe Gründe dafür genannt, sagte der Stadtsprecher. In den anderen Fällen werde noch ermittelt, warum sie nicht kamen. Die Tests würden in jedem Fall erneut angeordnet.“
Die Initiative aus Sheffield glaubt, dass sich das Tracing von Coronafällen wesentlich dem von anderen Krankheiten unterscheidet: „Die Ermittlung von Kontaktpersonen für Covid-19 unterscheidet sich deutlich und ist komplexer als die Ermittlung von Kontaktpersonen bei Tuberkulose, Meningokokken-Erkrankungen oder sexuell übertragbaren Krankheiten. Bei diesen Krankheiten können Kontakte einen offensichtlichen Nutzen aus der Identifizierung ziehen, da ihnen normalerweise eine Behandlung angeboten wird. Bei Kontakten mit Covid-19-Fällen gibt es derzeit jedoch kein Angebot für einen Test oder eine Behandlung, sondern die Aussicht auf eine Selbstisolierung, die in einigen Fällen auch nicht funktionieren wird, mit den damit verbundenen finanziellen Sanktionen für einen Zeitraum von 14 Tagen.“
Huiart sieht diesen Unterschied nicht. Das Einzige, was sich in ihrer Arbeit verändert habe, sei das Ausmaß. „Ältere Menschen können sehr wohl an der Krankheit sterben und es gibt keine guten Behandlungsmethoden. Es besteht schon der Wunsch, Menschen, die anfälliger sind, zu schützen“, sagt sie gegenüber dem Tageblatt.
Unbekannte Rufnummer
Auch das Stigma kann Menschen davon abhalten, zu kooperieren, vermutet die Initiative aus Sheffield: „Für die kontaktierten Personen, die derzeit in einem Beschäftigungsverhältnis stehen und sich physisch an ihren Arbeitsplatz begeben, hat es sich als besonders schwierig erwiesen, das Etikett ‚Kontakt’ zu akzeptieren.“
Auch in den USA machen sich Behörden und Epidemiologen Sorgen, Menschen könnten nicht kooperieren: „Ich bin ziemlich besorgt darüber, dass es, während wir die Tests hochfahren und darum bitten, Menschen zu testen, viele Menschen geben könnte, die keine Symptome haben, und offen gesagt nicht wissen wollen, ob sie positiv sind, weil sie nicht isoliert oder unter Quarantäne gestellt werden wollen, und sie nicht arbeitslos werden wollen“, wird Epidemiologe Aaron Wendelboe in der Zeitung The Oklahoman aus dem Bundesstaat Oklahoma zitiert.
In den USA sind die Behörden außerdem auf ein simples Problem gestoßen. Die Zeitung Detroit Free Press berichtete darüber: „Viele der Personen, die die Kontaktverfolger zu erreichen versuchen, nehmen Anrufe einfach nicht entgegen, weil sie von unbekannten Nummern kommen. Darüber hinaus bezeichnet mindestens ein Kommunalpolitiker das Bemühen als einen datenpolitischen Trick, um Informationen zu sammeln.“
Nicht leichtsinnig werden
Danach gefragt, warum die Menschen in einigen Ländern besser kooperieren als in anderen, bietet die Leiterin der Luxemburger Kontaktverfolgungsabteilung zwei mögliche Erklärungen: Zum einen könnte der Stellenwert des Allgemeinwohls in der Gesellschaft eine Rolle spielen, zum anderen, wie gut Menschen Gesundheitsfragen verstehen.
Trotz der Erholung der Lage in Luxemburg gilt es, nicht leichtsinnig zu werden. „Les règles de la distanciation sociale sont fondamentales. Les gestes barrères sont fondamentales“, sagt Huiart. Man könne normal leben, müsse aber ein Bewusstsein dafür haben, dass ein gewisser Abstand zu anderen Personen das Ansteckungsrisiko verringert und dass man sich, falls man Symptome bei sich feststellt, unbedingt zurückziehen muss und zum Beispiel auf keinen Fall mit Fieber zur Arbeit geht.
Fast? In Peking haben sie es gestern auf einem 12 Hektar großen Markt bis auf ein einzelnes Fisch-Schneidebrett zurückverfolgt.