Lokalgeschichte / Die vergessene Sphinx aus Esch – Eine Erinnerung an das Schloss Berwart
Die „freie Stadt Esch“ und die Herrschaft Berwart können auf viele Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte und geteilter Schicksalsschläge zurückblicken. Im Gegensatz zur freien Stadt mit ihrer Festungsmauer sind vom ehemaligen Schloss jedoch einige wenige steinerne Elemente erhalten geblieben. Zwei markante Statuen zählen mit dazu.
Gegründet wurden die „freie Stadt Esch“ und die Herrschaft Berwart in etwa um die gleiche Zeit: zum Ende des 13. Jahrhunderts. Die genauen Daten sind nicht bekannt. Kurz zuvor hatten die Grafen von Luxemburg die Region unter ihre Kontrolle gebracht. Um sich in der Grenzregion gegen Einfälle aus der Herrschaft Bar/Lothringen zu schützen, fuhren die Luxemburger eine doppelte Strategie: Sie sicherten die Zufahrt durch das Tal der Alzette mit der Errichtung einer befestigten freien Stadt auf der einen Seite der Straße und mit einer Burganlage, die einer adeligen Familie gehörte, auf der anderen Seite des strategisch wichtigen Weges.
Die adeligen Herren von Berwart (Bervart), Vasallen der Grafen von Luxemburg, entschieden sich, wie damals modern, für den Bau einer befestigten Wasserburg (Berwart I) – einer Anlage umgeben von breiten Wassergräben, direkt neben der Alzette, die nur über eine Zugbrücke zu betreten war. Zum Herrschaftsbereich der Berwarts zählten Teile von Lallingen, Monnerich und Ehleringen.
Doch auch wenn Stadt und Herrschaft gemeinsam als Bollwerk gegen Angriffe aus dem Süden wirken sollten, so entstand trotz der gemeinsamen Feinde aus der Nachbarschaft keine Freundschaft. Zwischen den standesmäßig ungleichen Nachbarn kam es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu Rechtsstreitereien. Die freie Stadt Esch musste ihre Hoheitsrechte, wie beispielsweise die Gerichtsbarkeit, fortwährend gegen die Ansprüche der Adeligen verteidigen. Stadt Esch und Herrschaft Berwart hatten beide ihren eigenen Galgen: Der eine stand auf dem Galgenberg, der andere auf einem Hügel in Lallingen.
Zwei Galgen auf zwei Hügeln
Unklar ist bis heute die noch weiter entfernte Vergangenheit. Umstritten ist beispielsweise, ob die „Freiheit Esch“ oder die „Herrschaft Berwart“ älter ist, oder ob es am Ort der Berwart-Anlage auch davor schon einen Wehrturm gab oder nicht. Manche Historiker vermuten zudem, dass es ein Vorgänger-Schloss Berwart nahe der französischen Grenze in Höhe des „Schlassbösch“ gegeben haben könnte. Überreste eines kleinen, alten Anwesens mit Mauern und Turm sind dort noch heute im Walde zu erkennen.
Sicher ist aber, dass relativ schnell, bereits vor Ende des 14. Jahrhunderts, die Berwart-Dynastie verschwand. Nur hat die von ihr errichtete Anlage bis heute ihren Namen erhalten. Nach ihrer Zerstörung Mitte des 16. Jahrhunderts durch den Herzog von Lothringen ging die ehemalige Burganlage an die Familie Schauenburg (Schauwenburg; Schauwenbourg).
Im Jahre 1621 wurde das ganze Anwesen als modernes Schloss (Berwart II) neu aufgebaut. Es waren jedoch immer noch keine einfachen und ruhigen Zeiten in dieser umkämpften Grenzregion. Keine 30 Jahre nach dem Neubau sollte die Schlossanlage erneut geplündert und zerstört werden.
Geplündert, zerstört und wieder neu aufgebaut
Dem Nachbarn, der freien Stadt Esch, erging es nicht besser: Im Februar 1636 wurde die Stadt von Soldaten der Österreicher, die eigentlich Freunde hätten sein sollen, gestürmt und geplündert. Im Oktober, auf ihrem Rückweg aus Frankreich, kamen sie wieder in Esch vorbei. Vier Jahre später wurde die Stadt erneut, diesmal von französischen Truppen, in Schutt und Asche gelegt. Im Jahr 1671 wurden die überlebenden Escher aus strategischen Überlegungen sogar zum Abriss der Stadtmauer gezwungen. Insgesamt wurde Esch zwischen 1328 und 1688 satte 23 Mal ausgeplündert und abgebrannt. Jedes Mal ist die Stadt wieder auferstanden.
Doch zurück zum adeligen Nachbarn: Im folgenden Jahrhundert wurden die zum Anwesen der Familie Schauenburg zählenden Wirtschaftsgebäude wieder renoviert und modernisiert. Noch heute steht über dem letzten verbleibenden Gebäude der Anlage, dem sogenannten „Berwart-Turm“, die Jahreszahl 1721 – Jahr des Neubaus. Dabei handelt es sich jedoch nicht direkt um einen Teil des Schlosses, sondern um einen Turm, der zu den zugehörigen Wirtschaftsgebäuden zählte und durch den man gehen musste, um bis zum Schloss selber zu gelangen.
Es dürfte sich beim Berwart-Turm um das älteste noch erhaltene Gebäude der Stadt Esch handeln. Bei den Renovierungsarbeiten wurde zudem festgestellt, dass er auf den noch viel älteren Fundamenten des viereckigen Turmes von Berwart I aus dem 14. Jahrhundert errichtet wurde.
Im Jahr 1763 erneuerte Anton-Joseph von Schauenburg dann das Schloss mit dem dazugehörigen Garten (Berwart III). Weiterhin umgeben von einem Wassergraben soll es damals eines der schönsten im ganzen Land gewesen sein. Das Gebäude bestand aus zwei Flügeln. Im Erdgeschoss befanden sich 18 Zimmer, im ersten Stockwerk weitere 16 und auch eine Kapelle.
Zwei rätselhafte Steinfiguren
Wie vor altägyptischen Tempeln standen vor dem Haupteingang des Schlosses zwei imponierende mythische Steinfiguren. Teils Wassernixe, teils Sphinx, teils Meerjungfrau. Laut dem Prospekt zur Ausstellung zum 50-jährigen Geburtstag der Stadt Esch „spendeten sie aus ihren Brüsten einen hellen Wasserstrahl“. In ihren Sockeln sind die Wappen der Familie, wie auch die Jahreszahl 1750 eingemeißelt.
Mehr scheint über diese wundersamen Wassersphinxe nicht bekannt zu sein. Es dürften aber die beiden ältesten (außenstehenden) Statuen in Esch sein. Sie haben die Wirren der Geschichte überlebt und überraschen die wenigen Besucher, die sie zu Gesicht bekommen, auch heute noch.
Nach einigen Jahren am Haupteingang des Schlosses, wurden sie später hinter das Anwesen verbannt. Warum, ist nicht bekannt. Seitdem wachten sie über die kleine Brücke über die Alzette, über die man vom Schloss aus zu den Lustweihern gelangen konnte. Diese Weiher gibt es auch heute noch. Wer im Gewerbegebiet „Schlassgoart“ bei Enovos arbeitet, geht wohl täglich an ihnen vorbei, um zum Parkhaus zu gelangen. Die Statuen selbst sind hingegen weniger sichtbar.
Schloss und Stadt gehen in Flammen auf
Doch wieder zurück zur Schlossgeschichte: Die politische Lage in der Grenzregion blieb auch nach der Errichtung von Berwart III eher unruhig. Die Französische Revolution zog ihre Kreise. Im Oktober 1792 wurde das Anwesen der Adeligen erneut verwüstet und geplündert. Im Mai 1794 ging es dann – gemeinsam mit der „Freiheit Esch“ – in Flammen auf.
Eine neue Ära wurde eingeläutet. Die Franzosen lösten die alten Strukturen auf und organisierten das Land neu. Sowohl Esch als auch Berwart hatten große Teile ihrer Bevölkerung verloren und erhielten nun auch politisch weniger Gewicht zugesprochen. Erst wird das Dorf Esch dem Kanton Zolver zugewiesen, dann Hesperingen, dann Niederkerschen und danach Bettemburg. Zur Gemeinde „Esch“ zählen nun auch Berwart, Lallingen und Schifflingen. 1876 trennten sich dann die Gemeinden Schifflingen und Esch – die einstige Herrschaft Berwart aber ist seitdem Teil von Esch geblieben.
Seit 1841 steht Esch wieder dem Kanton Esch vor. Den Titel einer Stadt wird der Ort 1906 wieder erhalten. Nach einem starken Bevölkerungswachstum, dank der industriellen Entwicklung. Halt zum zweiten Mal in seiner Geschichte.
Das Schloss und die umliegenden Ländereien waren 1806 von der Familie Schauenburg verkauft worden. Die Wirtschaftsgebäude wurden von den neuen Besitzern verpachtet und das Schloss notdürftig repariert. Letztendlich stand es leer und war dem Verfall preisgegeben.
Auf Adelige folgen Stahlbarone
Im Jahr 1869 gelangte das ganze Anwesen dann in den Besitz der Betreiber des „Schifflinger Werks“ und wurde so zum Wohnsitz der beiden Direktoren, Léon Metz und Hubert Muller-Tesch. Auf die Feudalherren folgten so die Stahlbarone. Die Wassergräben wurden 1880 zugeschüttet. Die Nebengebäude wurden zu Wohnungen mit Schlafsälen für Arbeiter und Werkspolizei umfunktioniert. Dies brachte ihnen den wenig ehrenhaften Namen „Metze-“ bzw. „Schlasskasären“ ein.
Nach einem Feuer im Dachstuhl des Gebäudes im Jahr 1905 wurde bei der Renovierung ein weiteres Stockwerk hinzugefügt. Die ehemalige Mühle des Schlosses wurde 1911 abgerissen. Das Schloss war noch bis 1928 bewohnt. Dann wurde es wieder dem Verfall überlassen.
Mitten im Zweiten Weltkrieg erhielt das einst stolze Gebäude wieder neue Bewohner. Rund 150 Zwangsarbeiter aus Russland, der Ukraine, Weißrussland und Polen, sogenannte „Ostarbeiter“, brachten die Nazi-Besatzer hier unter. Oben im Schloss lebten einige Familien, im Erdgeschoss Frauen und Mädchen und hinter dem Schloss, in sogenannten „Russenbaracken“ hinter Stacheldraht, die Männer.
Lager für Ostarbeiter und modernes Bürogebäude
Nach dem Krieg verfiel das einst stolze Anwesen dann weiter. Im Oktober 1954 wurde es letzten Endes abgerissen. An seiner Stelle entstand das Verwaltungsgebäude „Schlassgoart“ der Arbed. Die ehemaligen Wirtschaftsgebäude des Schlosses blieben noch bis 1972/73 stehen und fungierten als Arbeiterwohnungen. Dann wurden auch sie abgerissen. Durch einen Teil des ehemaligen Schlossparks wurde eine Umgehungsstraße errichtet.
Nach Druck aus der Öffentlichkeit konnte der Turm mit der Jahresmarke 1721 schließlich den Abriss überleben. Er wurde unter Denkmalschutz gestellt und 1992 mittels zweier Verbindungsgalerien für Ausstellungen in das neue Verwaltungs- und Forschungsgebäude der damaligen Arbed integriert. Er ist somit das einige Gebäude aus dem Mittelalter, das heute in Esch noch steht. Nur war er jedoch nicht Teil der „freien Stadt Esch“.
Gleich zwei Jahre nach dem Abriss wurde das ehemalige Berwart-Schloss praktisch am selben Ort, an dem es stand, noch einmal als Kulisse neu nachgebaut. Anlass war der zweite 50. Geburtstag der Stadt. Auch einer der Türme der ehemaligen Festungsmauer der freien Stadt, der Turm, der auf dem Wappen zu sehen ist, wurde für diese Ausstellung nachgebaut. In der Mitte des zu besichtigenden Geländes standen zudem, neben einem Brunnen, auch die zwei Statuen, halb Nixe, halb Sphinx.
Auch haben neben dem Berwart-Turm und den Sphinx-Statuen noch einige weitere Überbleibsel des ehemaligen Schloss-Anwesens die Zeiten überlebt. So befinden sich vor dem heutigen „Schlassgoart“-Gebäude mehrere als Blumentöpfe genutzte Behälter, die früher mal Futterstellen für Pferde waren. Im Innenhof des Gebäudes des Stahlkonzerns befindet sich zudem auch heute noch neben den alten Statuen eine Steinplatte mit Wappen, die einst über der Tür des Hauptgebäudes des Schlosses hing.
Quellen
Zur Inspiration für diesen Artikel dienten die Bücher „Schloss und Schlossherrschaft Berwart“ (J.B. Weyrich, 1933), „Das andere Esch“ (Joseph Flies, 1979) und „Esch/Alzette – Geschichte und Architektur“
(Stadtführer; 2021) sowie einige Gespräche. Die Illustrationen sind teils Postkarten aus einer Sammlung, teils Fotos der Escher Stadtbibliothek. Die Fotos von heute sind von Ania und Christian Muller.
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