EU-Sanktionen gegen RT / Die Waffe im Informationskrieg schießt weiter – auch in Luxemburg
Trotz kraftvoller Ankündigungen: Abgeschaltet ist die Propagandamaschine „RT“ aus Moskau noch lange nicht. Stattdessen wird einmal mehr offenbar, dass die bürokratischen Mühlen der Europäischen Union auch angesichts eines bedrohlichen Kriegs nicht schnell wie gehofft mahlen. Und wie schwer sie und ihre Mitgliedstaaten sich noch immer mit dem Digitalen tun.
„Der Krieg ist nach Europa zurückgekommen“, sagte Ursula von der Leyen am 27. Februar, nur drei Tage nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. „Dies ist in Moment der Wahrheit für Europa.“ Die EU zeige eine Einigkeit, die die Kommissionspräsidentin mit Stolz erfülle. Drei Wellen schwerwiegender Sanktionen seien in „Lichtgeschwindigkeit“ gegen Russland beschlossen worden. „Es ist das größte Sanktionspaket in der Geschichte der Union“, sagte von der Leyen. Sie werden der russischen Wirtschaft und dem Kreml schweren Schaden zufügen.
Die Sanktionen zielten auf Russlands Banken, Russlands Wirtschaft – und Russlands Medien. „In einem nie dagewesenen Schritt setzten wir die Lizenzen für die Propaganda-Maschine des Kremls aus“, sagte von der Leyen. „Russia Today und Sputnik und all ihre Subunternehmen werden nicht mehr in der Lage sein, ihre Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und die Union zu spalten.“
Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel schlug am nächsten Tag weiter in die Kerbe: RT sei Teil eines „aggressiven militärischen Akts“, sagte er am 28. Februar bei einer Pressekonferenz. „Sie sind eine Waffe des russischen Staats und ein integraler Teil in diesem Krieg.“ Luxemburg habe sich dafür starkgemacht, eine europäische Lösung zu finden, die es ermöglicht, dass konzertiert gegen die verschiedenen Diffusionskanäle der genannten Gruppen vorgegangen werden kann.
„Mit Sorgfalt hergestellte Sanktionen“
Am Montag nach von der Leyens Ansprache mahlten in Brüssel die Mühlen, um den Sanktionstext in Sachen RT und Sputnik auszuarbeiten. Am Dienstagabend lud die Kommission dann zu einem Hintergrund-Briefing ein, auf dem die Maßnahmen Journalisten vorgestellt werden sollten. Die beiden russischen Medienunternehmen seien „essenziell“ darin, die Aggression gegen die Ukraine voranzubringen und seine Nachbarn zu destabilisieren, hieß es dort von EU-Seite. RT und Sputnik seien keine klassischen Medienhäuser, sondern strategische Organisationen, geschaffen durch ein Dekret des Präsidenten. Sie seien Werkzeuge der Desinformation und Instrumente im Informationskrieg mit massivem Budget. Die EU-Offiziellen gingen sogar so weit, dass sie darüber spekulierten, dass russische Geheimdienste hinter einigen Machenschaften von RT und Sputnik steckten.
Der Rat habe die Maßnahmen deshalb einstimmig beschlossen. Sie seien zeitlich begrenzt, für so lange, bis die „Aggression beendet ist“ und Russland und seine Medien aufhörten, „mediale Aggressionen“ gegen Europa auszuführen. Die Sanktionen würden am kommenden Tag im Amtsblatt der Union veröffentlicht werden – und gelten dann sofort.
Es gehe nur um die Inhalte, erklärten die EU-Beamten – die Journalisten würden weiter ihren Job machen können. Die Maßnahmen seien Teil ökonomischer Sanktionen und beträfen nicht den Rechtsrahmen der Medienregulierung.
Schon da dämmerte wohl einigen der anwesenden Reporter, dass das mit dem Verbannen ausländischer Medien doch nicht so einfach ist. Unzählige Nachfragen mussten die EU-Offiziellen über sich ergehen lassen. Aber sie betonten: Die Sanktionstexte seien „mit Sorgfalt“ hergestellt und sehr gezielt. Und alle Verteilungskanäle, also auch die über das Internet, seien durch die Sanktionen abgedeckt.
So gezielt dann wohl doch nicht. Zwar wurde die Ausstrahlung der RT-Fernsehsender über Satellit zügig abgeschaltet. Der Luxemburger Satellitenbetreiber SES bestätigte bereits Anfang der vergangenen Woche gegenüber dem Tageblatt, dass die „betroffenen Sender“ vom Satelliten entfernt wurden. Die Webseiten der russischen Propagandamaschine sendeten jedoch tagelang unbeeindruckt weiter, stellenweise sind sie – und auch der RT-Videostream – auch heute noch erreichbar. Kann Web-Content im Jahr 2022 keine „mediale Aggression“ sein? Oder ist das Netz inzwischen so mächtig, dass es sich Kriegssanktionen entziehen kann?
Informationskriegshelden
„Unsere Mainstream-Medien sind ein Haufen konzerngesteuerter Drecksäcke“, sagt Lee Camp in die Kamera. Camp ist Amerikaner und arbeitete acht Jahre lang für den US-Ableger von RT. 2010 wurde der Sender dort gegründet, am 3. März dieses Jahres – also kurz nach Kriegsbeginn – wurde der Betrieb eingestellt. Inzwischen ist Camp offenbar freiberuflich unterwegs. Seine Videos werden aber noch immer von den alten Kollegen verbreitet. In einem, das beim russischen Facebook-Äquivalent „VK“ gehostet wird, widmet er sich dem Krieg in der Ukraine. „Es ist den USA völlig recht, wenn sich das möglichst lange hinzieht“, erklärt er da. „Das bedeutet – wenn man den logischen Teil seines Gehirns nutzt – dass die USA gerade jetzt für mehr Tod und Zerstörung eintreten.“ Camp negiert nicht den Krieg an sich – aber aus seiner Sicht ist dieser nur eine geopolitische Entscheidung Russlands. Die eigentliche Verantwortung für Tod und Vernichtung würden die USA tragen. „Die US-Regierung will also gerade, dass noch mehr Menschen in der Ukraine sterben, weil sie will, dass es so weitergeht.“ Camps Tirade über Krieg und Mainstream-Medien wird auch auf der Webseite RT DE gefeatured – samt Senderlogo und deutschen Untertiteln.
„Es gibt keine Objektivität.“ Das, sagte RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan im Jahr 2012. In dem Interview mit der russischen Zeitung Kommersant rechtfertigt sie sich, weshalb der russische Steuerzahler Medien im Ausland bezahlen sollte. „CNN wird ganz hysterisch, wenn 20 amerikanische Soldaten sterben, mögen sie in Frieden ruhen. Und die Tatsache, dass 2000 weitere Zivilisten getötet wurden, wird nicht einmal erwähnt“, sagt Simonjan da. „Welche Objektivität, wo ist sie? Wenn sich Russland im Krieg befindet, sind wir natürlich auf der Seite Russlands.“
Russia Today, wie das Medienunternehmen vorher hieß, wurde 2005 gegründet – als Reaktion auf die Orangene Revolution in der Ukraine, wie die Website Medium schreibt. Auf 23 Millionen Dollar belief sich das Startkapital laut der Zeitschrift New Eastern Europe bei der Gründung. Das Geld floss direkt aus dem Staatsetat. Aber der wirklich einschneidende Moment für Simonjan und ihre Propagandamaschine kam noch. Am 8. August 2008 griff Russland Georgien an. Das Narrativ des Kremls, „Gegenmaßnahmen gegen die Militäroffensive Georgiens“ durchzuführen, setzte sich nicht wie gewünscht gegen die „westliche Propaganda“ durch. „Die Zuschauer, selbst die erzliberalsten, waren sich einig, dass es sich um eine heftige Propaganda handelte, die Russland als sinnlosen Aggressor darstellte, der plötzlich beschlossen hatte, einen winzigen Staat zu verschlingen, der niemanden berührt oder etwas getan hatte“, sagte Simonjan in einem Interview 2013. Ihrer Ansicht nach hatte Russland den Informationskrieg während des Georgien-Konflikts verloren – weil dafür nicht ausreichend Ressourcen da waren. Das sollte sich ändern. 2011 überstieg das Budget mit 11,4 Milliarden Rubel weit die 300-Millionen-Dollar-Marke. Laut Statista liegt es für die Jahre 2022 bis 2024 bei über 28 Milliarden Rubel. „Ich würde es wagen zu behaupten, dass die Welt anders aussähe, wenn das Jahr 2008 jetzt stattfinden würde“, sagte Simonjan 2013.
Im selben Jahr interviewte sie den Präsidenten auf ihrem Kanal. „Wir haben nichts zu verstecken“, sagte Simonjan. „Es gibt nichts zu verstecken“, sagte Putin. Dann legte er seine Interpretation der Aufgaben von RT dar. „Als wir dieses Projekt 2005 konzipierten, wollten wir einen weiteren starken Akteur auf der Weltbühne einführen“, sagte Putin. Einen Akteur, der nicht nur eine „unvoreingenommene Berichterstattung“ über die Ereignisse in Russland biete, sondern auch versuche, das „angelsächsische Monopol auf die globalen Informationsströme“ zu brechen. „Und ich habe den Eindruck, dass Sie bei dieser Aufgabe erfolgreich sind“, sagte Putin.
Neben dem englischsprachigen Hauptsender RT International wurden französische, amerikanische, britische, spanische und arabische Ableger gegründet. Seit 2014 gibt es im Internet den deutschsprachigen Ableger von RT. Und der sendet wie die internationale Hauptstelle trotz Sanktionen immer noch – in Deutschland wie in Luxemburg.
Die deutsche Webseite zeigt die gespinnte Wahrheit in ihrem ganzen Wahnsinn. Vor Dschihadisten wird dort gewarnt, die aus Nordsyrien in die Ukraine „verlegt“ worden seien, um dort an der Seite der „ukrainischen Streitkräfte gegen die russische Armee zu kämpfen“. Ein „Ex-US-Offizier“ zieht Bilanz: „Russen zielen nicht auf Zivilisten, aber in der Propaganda sind sie schwach“. In einer Homestory warnt ein deutscher Flüchtlingshelfer: „Ich habe ein großes Problem damit, dass der tiefe Staat jederzeit die Möglichkeit hat, hier die totale Auslöschung zu inszenieren.“ Putin erinnert daran, dass Kiew möglicherweise Nuklearwaffen besitzt – und wirft der ukrainischen Armee die „sinnlose Tötung von Zivilisten“ vor. Mitarbeiter des Flughafens Pisa behaupten, humanitäre Flüge für die Ukraine mit Waffen beladen zu haben. „Die Blockade ukrainischer Städte durch Kiew ist Genozid“, erklärt das russische Verteidigungsministerium. Und der russische Botschafter in London ist sich sicher: Die Bilder von verwundeten Schwangeren aus Mariupol sind gestellt.
Glaubt man dem Tonus von RT, sind die Brigaden ukrainischer Nazis mächtiger als die Rote Armee in ihren besten Zeiten.
Blocken, oder nicht?
Für die Beantwortung der Frage, ob auch der Web-Content von RT eindeutig unter die Sanktionen fällt, haben sich die nationalen Regierungen und auch die Kommission trotz ihrer „mit Sorgfalt hergestellten“ Sanktionstexte einige Zeit gelassen. Vier Presseanfragen brauchte es, bis sich ein EU-Sprecher nach dem Inkrafttreten der Sanktionen zu einem eindeutigen „Yes“ durchringen konnte. In Deutschland verwies die zuständige Medienaufsichtsbehörde auf das Bundeskanzleramt, das wiederum auf die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien verwies. Die antwortete schließlich am 7. März: „Die RT-Webseiten und die dort eingestellten Artikel fallen unter die EU-Sanktionen“ – und fügte an: „Die Frage der Zuständigkeit für die Durchsetzung bei Verstößen gegen das Sendeverbot wird momentan innerhalb der Bundesregierung und gemeinsam mit den Ländern geklärt. Hierbei wird eine schnellstmögliche Lösung angestrebt.“
Und Luxemburg? Das Medienministerium interpretierte die Sanktionen erst einmal anders als die EU und Deutschland. „Der Fokus des ersten Sanktions-Texts zu den Propaganda-Instrumenten handelt vor allem von den Broadcast-Medien, die one-to-all gestreamt werden, da die EU dort den größten Hebel sieht“, antwortet ein Ministeriumssprecher kurz nach Inkrafttreten der Maßnahmen. „In diesem Sinne sind die Websites nicht davon betroffen.“ Möglich sei jedoch, dass noch eine „Klarifikation“ der EU-Kommission kommen würde.
Tatsächlich musste sich erst eine EU-Stelle mit dem Thema befassen, die wohl nicht so oft im Licht der Öffentlichkeit steht: das „Berec“ – das „Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation“ mit Sitz im lettischen Riga. Am Freitag vor einer Woche veröffentlichte das Gremium seine Sicht der Dinge: „Das Berec geht davon aus, dass die Verpflichtung zur Sperrung von RT und Sputnik weit gefasst ist und dass alle Websites, die zu den in Anhang XV der Verordnung genannten Einrichtungen gehören, darunter fallen.“
Die Verzögerungen erklärt der Sprecher des Luxemburger Medienministeriums so: „Da wir uns in einer außergewöhnlichen Situation befinden, brauchte es etwas Zeit, um sich der genauen Auslegung der Sanktionen zu vergewissern.“ Man habe sich auch auf EU-Niveau koordinieren müssen. „Bei den Broadcasts war es einfacher dies umzusetzen, bei den Webseiten nicht, da auch mehr Stakeholder beteiligt sind – das hat mit der dezentralen Natur des Internets zu tun.“ Das Regulierungsinstitut ILR wiederum sei mit den Luxemburger Internet-Providern im Kontakt, um die Sanktionen umzusetzen.
Das ist offenbar wesentlich komplizierter, als es Ursula von der Leyens Rede angedeutet hatte. Denn obwohl die Rechtslage jetzt wohl geklärt ist – die wilde Welt des Internets schert sich darum bis jetzt nicht viel. Bis Freitagabend hatten wohl erst zwei Luxemburger Internetanbieter definitiv die Webseiten über die DNS-Einträge geblockt. Und das Broadcast-Videosignal, das ja von Beginn an eindeutig unter die Sanktionen fiel? Das wird wie gehabt gesendet – und kommt mit wenigen Klicks über eine amerikanische Videoplattform aufs Smartphone oder den heimischen Computer.
„Information ist eine Waffe wie jede andere auch“, sagte RT-Chefin Margarita Simonjan 2013, in Friedenszeiten. „Zu sagen, wieso brauchen wir sie? Das ist so, als würde man sagen: Wozu brauchen wir das Verteidigungsministerium, wenn es keinen Krieg gibt?“
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„„Information ist eine Waffe wie jede andere auch“, sagte RT-Chefin Margarita Simonjan 2013, in Friedenszeiten.“
Desinformation(fake news) auch. Und weiter… “ Wenn Russland sich im Krieg befindet sind wir natürlich auf der Seite Russlands.“
Selbstverständlich.Wenn man die Wahl hat zwischen Freiheit und Gulag! Wenn diese Regimes sich nach den Befindlichkeiten des Volkes richten würden,gäbe es sie nicht mehr. Gott,König,Vaterland. Wie viele Menschenleben haben diese drei „Schlagworte“ schon gekostet. Dabei wäre es so einfach. Gott und König können wir uns schenken und das Vaterland ist schlicht und einfach unsere Mutter Erde.Wir sind wie Flöhe die sich streiten wem der Hund gehört auf dem sie leben. „Imagine“ sang einst John Lennon.Aber dabei wird es wohl bleiben.Wir sind nicht reif und die Gier bringt uns um.