Editorial / Die Welt spielt weiter Risiko
„The same procedure as every year!“ Wie im weltbekannten Neujahrssketch verhält es sich auch beim jährlichen Verfassen des Kommentars unserer Retro-Beilage, die Sie gerade in den Händen halten: Die guten Vorsätze sind gefasst und lauten in diesem Fall vor allem, mal etwas Positives zu schreiben – und zerbröseln dann ebenso rasch wie verlässlich beim Rückblick auf das abgelaufene Jahr.
Zur Rechtfertigung dieser Zeilen lässt sich jedoch festhalten, dass das Jahr 2024 besonders wenig zur allgemeinen Beruhigung beigetragen hat. Die Kriege sind nicht weniger, sondern mehr geworden. Die Krisen wurden nicht eingedämmt, sondern sind eskaliert. Und alles, was uns weltweit als Antwort darauf einfällt, ist noch rechter zu wählen und den bereits Jahre anhaltenden Rechtsruck zu verstärken.
Kurz vor Schluss deutet vieles darauf hin, dass Russland mal wieder ein Passagierflugzeug abgeschossen hat. In der Region Kursk nehmen die Ukrainer derweil erstmals einen nordkoreanischen Soldaten gefangen. In der Ost- und Südukraine walzt die russische Offensive währenddessen unerbittlich voran. Und während Syrien vor einer ungewissen Zukunft steht, muss man festhalten, dass das Land nach Assads Sturz immerhin wieder die Möglichkeit auf eine Zukunft hat – auch wenn es schwerfällt, den blumigen Worten der Islamisten, die jetzt an die Stelle des grausamen Diktators getreten sind, auch nur einen Funken Glauben zu schenken. Israel will derweil, nachdem es Gaza in Schutt und Asche gelegt hat, das syrische Machtvakuum nutzen, um immer tiefer in das Land einzumarschieren. Den Weg nach Iran haben sich die israelischen Streitkräfte in den Wochen seit Assads Sturz freigebombt, indem sie die syrische Luftverteidigung fast vollständig zerstörten. Moskau ist nach der Niederlage seines Schutzbefohlenen Assad eiligst dabei, seinen Hafen und Flughafen von der syrischen Mittelmeerküste an jene Libyens zu verlegen, um nichts von seinem Einfluss in Afrika einzubüßen. Währenddessen händigt Frankreich seinen ersten Militärstützpunkt im Tschad an die Regierung des Landes über und verabschiedet sich fast vollständig aus dem Sahel. Die Welt spielte also auch 2024 eifrig Risiko. Und am 20. Januar setzt sich mit Donald Trump ein weiterer Spieler an den Tisch, der nichts von Regeln hält und bereits ein Auge auf Grönland und den Panama-Kanal geworfen hat.
Von Luxemburg aus gesehen, eint diese Kriege und Krisen, dass sie sich allesamt aus der fernen und damit sicheren Distanz betrachten lassen. Im Angesicht all dieser Unruhe scheint das Großherzogtum tatsächlich jene „Stabilitätsoase“ zu sein, als die Premier Luc Frieden (CSV) das Land in Anspielung auf die Regierungskrisen bei unseren direkten Nachbarn bezeichnete. Doch auch Luxemburg wurde in diesem und damit dem ersten vollen Jahr unter der CSV-DP-Regierung durchgeschüttelt. Zum einen hat der Sozialdialog arg wie lange nicht mehr gelitten und sich eine kältere, restriktivere Politik Bahn gebrochen. Zum anderen lässt sich nach dem Caritas-Skandal ernüchternd festhalten, dass Betrug in Luxemburg offenbar erstens recht leicht zu bewerkstelligen ist und zweitens nur schwerfällig aufgearbeitet wird. Die Rolle der Banken hierin ist auch aus internationaler Perspektive kein Ruhmesblatt für den Finanzplatz, der sich mit seinen Regeln gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung brüstet, auf dem aber mir nichts, dir nichts, hundertfach Irrsinnssummen auf Fantasiekonten überwiesen werden können. Darüber können dauerhaft weder ein Papstbesuch mit peinlichen Familienplanungstipps noch eine merkwürdig fröhliche Wiederauferstehung unserer Monarchie, deren Skandale und Skandälchen der vergangenen Jahre bereits vergessen scheinen, und schon gar nicht ein entlaufenes Känguru oder eine Eurovision-Teilnahme hinweghelfen.
Was das kommende Jahr bringen wird, darauf sind wir gespannt. Mit Sicherheit können wir nur eines voraussagen: Dass wir als Tageblatt-Redaktion auch 2025 über alles berichten werden, was wichtig ist. So wie das Tageblatt es seit 1913 tut. „The same procedure as every year“, aber mit einem immer besseren Journalismus. Und damit bleibt nur noch eines – Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, vom ganzen Tageblatt-Team und von Herzen alles Gute zu wünschen für 2025. Auf dass die Kriege ruhen!
- Die Welt spielt weiter Risiko - 31. Dezember 2024.
- Erstes Jahr, alter Luc: Junckers Zensur für Friedens Politik sollte aufhorchen lassen - 24. Dezember 2024.
- Würdelos vor der Geschichte: Nach Assads Fall ruft Europa seinen Basar der Gehässigkeiten aus - 16. Dezember 2024.
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