Kundgebung am Samstag / Die Wohnungsnot in Luxemburg zieht sich durch alle soziale Schichten
Die Wohnungsnot trifft in Luxemburg immer mehr auf den Widerstand der Bevölkerung. Um politischen Druck aufzubauen und die Regierung zum Handeln aufzufordern, rufen mehr als 15 Organisationen für Samstag, 14 Uhr, zu einer nationalen Kundgebung für das Recht auf Wohnen auf. Im Vorfeld der Protestaktion auf den hauptstädtischen Glacis erklären Nathalie Reuland, Gary Diderich und Max Leners von Mieterschutz Lëtzebuerg, wie das Wohnungsproblem sich durch die ganze Gesellschaft zieht.
Zur Illustrierung der Lage auf dem Luxemburger Wohnungsmarkt zieht der Co-Sprecher von „déi Lénk“ und Differdinger Gemeinderat Gary Diderich die Lehnspyramide heran. An der Spitze stehen wenige Großeigentümer. Je mehr sie besitzen, desto mehr nehmen sie ein. Fürs Wohnen müssen sie nicht bezahlen, sondern machen Gewinne, indem sie Land und Wohnungen an andere verkaufen und vermieten. Es handelt sich hauptsächlich um Familien und Gesellschaften, die Grundstücke und Immobilien horten. Der Liser-Forscher Antoine Pacoud hatte 2019 herausgefunden, dass in der Stadt Luxemburg elf Familien und elf Gesellschaften 63% der Grundstücke mit einem Gesamtwert von 3,8 Milliarden Euro besitzen. Laut einer anderen Liser-Studie sind es auch in Düdelingen nur wenige Familien, denen der Großteil des Bodens gehört. Meist seien es die Nachfahren von Landwirten oder lokalen Industriellen, erklärte Pacoud Ende 2019 in einem Interview im Lëtzebuerger Land. In anderen Städten und Gemeinden ist die Situation ähnlich, wobei es je nach Region und Gemeinde große Unterschiede bei den Besitzverhältnissen gibt. Indem sie ihre Grundstücke seit Generationen weitervererben und sie nur nach und nach abgeben, tragen die Großbesitzer maßgeblich zur Preissteigerung des Baulands und folglich auch der darauf errichteten Immobilien bei.
Während ausländische Anleger in Luxemburg bislang vor allem in Gewerbeimmobilien investiert haben, interessieren sie sich wegen der steigenden Preise zunehmend auch für Wohngebäude. Zwischen 2018 und 2019 haben sich die Verkaufspreise für Häuser und Wohnungen um über 11% erhöht. Wie das Luxemburger Wort am Donnerstag berichtete, investieren immer mehr Anleger in Mietwohnungen. Das „Observatoire de l’habitat“ sei dabei, Daten zu sammeln, um herauszufinden, wer diese Investoren sind und wie die Immobilien verteilt sind. Mit alternativen Investmentfonds wie dem zuletzt viel kritisierten „Fonds d’investissement spécialisé“ (FIS) haben Regierung und Parlament in den vergangenen 15 Jahren Instrumente geschaffen, die es großen Investoren erlauben, die Besitzverhältnisse durch komplexe Konstrukte zu verschleiern und gleichzeitig quasi keine Steuern oder Abgaben auf Grundstücks- und Immobiliengewinne zu zahlen.
Eigentümergeneration
Auf der zweiten Stufe der Pyramide stehe die „Eigentümergeneration“, wie Max Leners von der LSAP-nahen Fondation Robert Krieps sie nennt. Menschen, die in Rente sind oder kurz davor stehen, ihren Wohnungskredit vielleicht schon abbezahlt haben und sich auf Anraten ihrer Bank noch eine Zweit- oder Drittwohnung als Anlage zugelegt haben, um sich Steuervorteile zu sichern. Selbst wenn sie ihr Darlehen noch nicht abbezahlt haben, begleichen sie die Raten mit den Mieteinnahmen ihrer Zweitwohnung. Um zusätzlich noch kleine Gewinne zu erzielen, heben sie die Mieten etwas an. Auf diese Weise steige der Mietspiegel auch insgesamt, erläutert Leners.
Die Einstellung, dass die Mieteinnahmen den Wohnungskredit abbezahlen, sei ethisch eigentlich nicht korrekt, betont Gary Diderich. Durch das Mietgesetz werde diese Praxis aber sogar noch befeuert. 1955 wurde die Regelung eingeführt, dass die Höchstmiete 5% des investierten Kapitals nicht überschreiten darf. Im Gesetz von 2006 wurde sie übernommen. Auch im überarbeiteten Mietgesetz, das der grüne Wohnungsbauminister Henri Kox vor zwei Monaten vorgestellt hat, soll diese Regelung beibehalten werden. Kox hat sie als „Mietendeckel“ verkauft. Wer eine Immobilie für eine Million Euro erwirbt, könnte nach dieser Rechnung rund 4.100 Euro Monatsmiete verlangen. Für eine Wohnung mit einem investierten Kapital von 700.000 Euro liegt die Höchstmiete noch immer bei 3.000 Euro. In beiden Beispielen sind die Mietpreise höher als die tatsächlichen Mietpreise, die auf dem Markt verlangt werden. Die Fünf-Prozent-Regel greift eigentlich nur bei älteren Wohnungen, die nicht instand gesetzt wurden. Doch in dem überarbeiteten Gesetz hat Minister Kox nun eine Klausel eingeführt, derzufolge das investierte Kapital bei einer Vererbung oder Schenkung einer Immobilie an den zu dem Zeitpunkt aktuellen Marktwert angepasst wird. Diese Klausel lade geradezu zum Missbrauch ein, wie Max Leners erläutert: „Wäre ich Immobilienbesitzer und wollte ein Maximum an Miete herausschlagen, würde ich meine Wohnung einmal im Jahr zwischen vier oder fünf Familienmitgliedern oder Freunden herumreichen. Auf diese Weise würde ihr Wert regelmäßig an die Preissteigerung angepasst, ohne dass ich etwas investieren müsste.“
Die Fünf-Prozent-Regelung werde immer nur übernommen, ohne sich die wirtschaftliche Frage zu stellen, wo man eine solche Grenze ansetzen müsste, damit sie für Vermieter rentabel sei und zugleich für Mieter bezahlbar bleibe, sodass diese nicht ihr ganzes Gehalt dafür aufbringen müssen, bemängelt Max Leners. Auch Gary Diderich fordert eine Anpassung dieser Regelung. Zumindest müsse im Gesetz begründet werden, wieso man bei den 5% des investierten Kapitals bleibe, fordert Leners.
Berufsanfänger und Lohnabhängige
In Luxemburg sei es für Berufsanfänger unmöglich, erst einmal eine Mietwohnung zu beziehen und gleichzeitig zu sparen, um sich später eine Eigenwohnung leisten zu können. Viele würden sich lieber verschulden, um sofort zu kaufen. Sie wüssten, dass die Preise ein Jahr später wieder um über 10% gestiegen sein werden, während die Löhne sich kaum entwickeln. Laut dem letzten Bericht der Aufsichtskommission des Finanzsektors CSSF hat die Schuld der Haushalte mit 174% der Einkommen 2018 einen neuen Höhepunkt erreicht. Im Durchschnitt haben die Haushalte im Jahr 2019 75% des Kaufpreises ihrer Immobilie geliehen. Bei einem Drittel der neuen Kredite lag dieser Anteil bei 90%. Ein Fünftel der Haushalte mit einem neuen Kredit muss über die Hälfte ihres Einkommens aufwenden, um den Wohnungskredit zurückzuzahlen. Als Faustregel gelten lediglich 30%. Trotzdem sind die monatlichen Kreditrückzahlungen noch häufig niedriger als die Mieten, die für eine vergleichbare Wohnung verlangt werden. Statec-Studien haben gezeigt, dass einkommensschwache Haushalte einen verhältnismäßig höheren Anteil ihres Lohns fürs Wohnen ausgeben als Haushalte mit mittlerem oder hohem Einkommen. Damit die zunehmende Verschuldung der Haushalte für Banken nicht zum Problem wird, hat das Parlament Ende 2019 makroprudenzielle Maßnahmen beschlossen, die es der CSSF unter bestimmten Voraussetzungen erlauben, die Vergabe von Krediten einzuschränken.
Noch schwieriger ist die Situation für Lohnabhängige mit befristeten Verträgen. Für sie ist auf dem freien Wohnungsmarkt kaum noch Platz. Mit einem befristeten Arbeitsvertrag einen Immobilienkredit oder eine Mietwohnung zu bekommen, ist unmöglich. Wenn sie nicht gerade als Praktikanten der Big-Four-Beraterfirmen oder vergleichbarer Unternehmen tätig sind, die sich um ihre Unterbringung kümmern, bleiben befristeten Angestellten häufig nur noch die sogenannten „Cafés-Zëmmeren“, erklärt Gary Diderich. Ganz zu schweigen von den untersten Einkommensschichten, die vom Revis leben müssen. Diese Menschen seien den „Gangstern“ ausgeliefert. Häufig würden in solchen Wohnverhältnissen horrende Mieten verlangt und es würden keine schriftlichen Verträge abgeschlossen, sagt Diderich.
Ermöglicht wird dieses Ausgeliefertsein durch den Mangel an erschwinglichen Miet- und Sozialwohnungen in Luxemburg. Obwohl sie viele Anträge mit Betroffenen ausgefüllt habe, habe sie es in 27 Jahren, in denen sie als Sozialarbeiterin tätig war, nie geschafft, eine Familie in einer Wohnung des „Fonds du logement“, der „Société nationale des habitations à bon marché“ (SNHBM) oder der „Agence immobilière sociale“ (AIS) unterzubringen, erzählt die Psychotherapeutin Nathalie Reuland, Mitglied von „déi Lénk“. Der Anteil der sozialen Mietwohnungen am gesamten Wohnungsbestand liegt laut OECD in Luxemburg bei gerade einmal 2%. „In Großbritannien beträgt der Anteil an Sozialwohnungen fast 20%. Trotz Margaret Thatcher und Boris Johnson ist die soziale Wärme auf dem Wohnungsmarkt dort größer als in Luxemburg“, wundert sich Max Leners. Wohnungsbauminister Henri Kox hat vergangene Woche bei der Vorstellung des Zwischenberichts zum „Fonds spécial de soutien au développement du logement“ angekündigt, dass von 2020 bis 2024 bis zu 6.000 neue erschwingliche Wohnungen fertiggestellt werden sollen. Etwa die Hälfte davon soll zur Miete angeboten werden. Die andere Hälfte wird über Erbpachtvertrag verkauft. Das Grundstück bleibt im Besitz der öffentlichen Hand, der Käufer erwirbt lediglich das Wohnrecht für eine gewisse Dauer. Probleme stellen sich bei diesem Modell vor allem dann, wenn der Pächter die Wohnung verkaufen will oder muss (z.B. weil sich seine Familiensituation ändert) und er auf den freien Markt geworfen wird, wo die Preise sich viel schneller entwickeln als im subventionierten Segment. Denn einen ausreichenden Bestand an Wohnungen und Häusern in Erbpachtvertrag hat Luxemburg längst noch nicht.
Ankündigungen zum Wohnungsbau
Caritas und AIS hatten 2017 vorgerechnet, dass im Großherzogtum rund 30.000 Sozialwohnungen fehlen. Der „Pacte logement 2.0“ sieht nun vor, dass private Bauherren bei Neubauprojekten künftig je nach Größe 10 bis 30% der Fläche für bezahlbare öffentliche Mietwohnungen reservieren sollen, die an die jeweiligen Gemeinden gehen und von ihnen verwaltet werden sollen. Bis die ersten Wohnungen fertig sind, dürften mindestens zehn bis 15 Jahre vergehen. Spricht der Gemeinderat sich dagegen aus, kann der Staat die Wohnungen übernehmen und von „Fonds du logement“ oder SNHBM verwalten lassen. Der Wohnungsbauminister kann die Übernahme aber auch ablehnen. Allerdings ist im Gesetzentwurf unklar, welche Folgen dies hätte.
Unklar ist auch die Terminologie. Im neuen „Pacte logement“ wird der Begriff „logement abordable“ gebraucht, den die Autoren des Texts mit dem Begriff „logement à coût modéré“ aus dem Wohnungshilfegesetz von 1979 gleichsetzen. Der Begriff Sozialwohnung existiert offiziell in Luxemburg nicht. Im Gesetz ist nur von staatlich subventioniertem Wohnraum die Rede. Die „Sozialmiete“ wird nach der Höhe des Einkommens und der Zusammensetzung eines Haushalts sowie nach Größe der Wohnung berechnet.
„Beim Wohnungsbau haben in Luxemburg ganze Generationen von Politikern versagt“, bedauert Nathalie Reuland. Zu lange sei nichts unternommen worden. In den vergangenen Jahren sei die Wohnungsnot aber bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, betont Max Leners. Selbst angehende Staatsbeamte können sich mit ihrem Anfangsgehalt kaum noch etwas leisten. Dadurch sei der politische Druck gestiegen. Wohnungsbauminister Henri Kox hatte kürzlich verkündet, dass Premierminister Xavier Bettel (DP) in seiner Rede zur Lage des Landes am kommenden Dienstag Ankündigungen zum Wohnungsbau machen und die Problematik damit zur Chefsache erklären werde. Im vergangenen Jahr hatte Bettel das Thema Wohnungsnot in seiner Ansprache noch ausgeklammert und auf den Ressortminister verwiesen. Der zu erwartende Paradigmenwechsel sei begrüßenswert, sagt Max Leners. Er bedeute aber auch, dass Bettel im Wahlkampf 2023 die Verantwortung trage, falls die Preise in den kommenden Jahren weiter steigen sollten.
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No laanger, ganz laanger Zäit mol endlech rëm eng Manifestatioun hei am Land, déi e vernënftege Sujet huet an och Sënn mécht.
Wenn man sich die Dörfer,auch die allerkleinsten,ansieht wie dort gebaut und geteert wird,fragt man sich doch wie so etwas möglich ist. Gemeinden haben eine solche Bauwut an den Tag gelegt,dass sie im Sommer von Wasserknappheit „überrascht“ werden und „en catastrophe“ Zusatzreservoirs bauen müssen. Aber die Not kann dann doch nur durch unbezahlbare Preise entstehen. Was in der Immo-Branche verdient wird spottet jeder Vernunft. 3 bis 6% Komission für den Verkauf einer Immobilie,für einige Anzeigen mit oder ohne Foto und der „Führung“ des Kunden auf glitschigem Terrain.Und da wird zusätzlich zum angesagten Preis noch „unter der Hand“ geboten um einen „Nebenbuhler“ auszuschalten. Da bleibt für einen „Otto“ von der Straße nichts mehr über.
Knapp 80% der Bevölkerung besitzt ihre eigene Wohnung, so schlimm kann es doch dann nicht sein.