/ Direktor Serge Pommerell: „Die Mission der Jugendherbergen ist aktueller denn je“
Im Alter von 16 Jahren bekommt Serge Pommerell (56) seinen ersten Mitgliedsausweis. Später leitet er 20 Jahre lang den luxemburgischen Verband der Jugendherbergen. Ende August 2019 hört er als Direktor auf und übergibt neun Häuser, die Rekorde bei den Übernachtungen erreicht haben.
Tageblatt: Herr Pommerell, wann waren Sie das letzte Mal in einer Jugendherberge?
Serge Pommerell: Da muss ich nachdenken … Das müsste letztes Jahr im Winter in Amsterdam gewesen sein. Ich gehe immer, wenn wir Konferenzen haben, in Jugendherbergen.
Dann können Sie Betten beziehen …
Ja. Das macht mir nichts aus.
Werben Sie mich mal als Kundin an. Warum sollte ich in einer Jugendherberge übernachten?
Weil die Atmosphäre hier locker ist. Und Sie haben sehr viele Möglichkeiten. Sportangebote, gemeinschaftlich genutzte Aufenthaltsräume, man kann immer Leute kennenlernen.
Das habe ich im Hotel auch …
Ja, aber im Hotel ist es intimer. Man geht in sein Zimmer, hat Fernsehen und Minibar und bleibt meistens dort. Jugendherbergen sind bescheidener eingerichtet: kein Fernseher, keine Minibar, dafür einladenden Aufenthaltsräume. Ich habe das alles auf einer Rucksacktour durch Schottland kennengelernt, als ich 16 Jahre alt war.
Es gehen nicht mehr nur junge Leute in Jugendherbergen. Auch Familien und Senior befinden sich unter den Gästen.
Die Senioren gab es immer schon, seitdem die Altersbeschränkung vor über 30 Jahren aufgehoben wurde. Die Familien kommen heute vermehrt, weil die Ausstattung besser geworden ist und wahrscheinlich auch, weil sie auf das Geld achten müssen. Aber: 50 Prozent der Gäste in den luxemburgischen Jugendherbergen sind Gruppen. Das ist seit Jahren stabil. Dann haben wir viele Rucksacktouristen und Leute, die mit dem Fahrrad kommen oder wandern.
Wie sieht denn der typische Jugendherbergsgast aus?
Das sind Leute jeden Alters, die im Kopf jung geblieben sind. Der Komfort reicht ihnen aus und sie knüpfen gerne Kontakte.
Zwischen 2016 und 2017 gibt es einen ordentlichen Sprung bei den Übernachtungszahlen. Ist das der Eröffnung der Herberge in Esch zu verdanken?
Zu einem großen Teil, ja. Die Jugendherberge dort funktioniert von Anfang an sehr gut.
Wer übernachtet denn da?
Esch ist ein gerne genommenes Ausweichquartier für die Jugendherberge in der Hauptstadt. Sie ist sehr oft ausgebucht und Esch liegt nur 20 Minuten mit dem Zug von der Stadt entfernt. Der zweite Grund ist, dass es sehr viele Veranstaltungen in Esch gibt. Allein die Rockhal bringt viele Übernachtungen – und nicht nur die Gäste. Es kommen vor allem Leute, die für die Technik bei den Konzerten zuständig sind. Uns kommt außerdem zugute, dass das Hotelangebot in Esch nicht ausreichend ist. Das bringt uns Gäste in die Jugendherberge, die normalerweise nicht in eine Jugendherberge gehen.
Mit einem Jahresplus von 11.038 Übernachtungen zwischen 2017 und 2018 haben die Jugendherbergen in Luxemburg ihren Zuspruch noch mal gesteigert. Wie kommt’s?
Das liegt an der Gesamtsituation im Tourismus. Er boomt europaweit. Luxemburg ist da keine Ausnahme. Zu uns: Wir haben gute Einrichtungen und gute Programme zu bieten.
Mai, Juni, Juli und September sind die Monate mit der größten Belegung. Dabei ist der August doch der klassische Sommerferienmonat und die Luxemburger sind bei den Nationalitäten das größte Klientel …
In den Monaten bis Juli kommen viele Schulklassen und Vereine. Im August, der früher der absolute Topmonat war, sind die Luxemburger woanders. Letztes Jahr kamen noch die Blaualgen im Stausee hinzu, die die Saison in Lultzhausen verdorben haben.
Echternach und Remerschen sind die Spitzenreiter bei der Auslastung mit Gruppen. Warum?
Beide Jugendherbergen haben sehr gute Programme und sportliche Angebote. Echternach hat eine Sporthalle, eine Kletterwand, einen Trampolinpark usw. Für Gruppen ist das Haus ideal. In Remerschen liegen die Dinge ähnlich: Baggerweiher, Radfahren an der Mosel, Wanderungen …
Befort ist der Renner für Kindergeburtstage. Wie erklärt sich das?
Ja. Wir haben einen Indoorspielplatz in der Jugendherberge, der ist unglaublich schön.
Was ist von Richard Schirrmann, dem Gründer der Jugendherbergsbewegung (1909), nach so vielen Jahren übrig?
Schirrmann hatte ja den Grundgedanken, dass Klassen, wenn sie wandern, eine günstige Unterkunft finden. Bescheiden sind die Jugendherbergen auf Zimmerniveau immer noch, finde ich.
Also ist es der Preis?
Nein, nicht nur. Auch von der Mission ist noch viel da. Begegnung der Kulturen, Begegnung von Jugendlichen, unabhängig von Nationalität und Religion. Ich finde, die Mission der Jugendherbergen ist heute aktueller denn je.
Warum?
Aufkommende rechte Parteien in Europa, Fremdenfeindlichkeit, mangelnde Solidarität, Hetze über die sozialen Medien: In dem Zusammenhang finde ich es sehr gut, dass Jugendherbergen Begegnungen zwischen Jugendlichen in einem neutralen Raum ermöglichen. Und dann kommt der traditionell in Jugendherbergen starke „grüne Gedanke“ hinzu. Große Teile der luxemburgischen Umweltbewegungen kommen aus den Jugendherbergen. Und mit unserem Speisenangebot mit Produkten aus der Region sind wir Trendsetter gewesen.
Die Bettwäsche ist trotzdem immer noch in Plastiktüten …
Das stört mich auch. Es muss aber sein wegen der Hygiene.
Jugendherbergen heute: zwischen Idealismus und Professionalisierung. Gelingt der Spagat?
Ja, ich glaube schon. Früher sollte der Jugendherbergsvater Gulasch kochen können, ein paar Brocken Englisch beherrschen und Gitarre spielen können. Heute ist er „Hostel Manager“. Die Sicherheit spielt eine viel größere Rolle als früher. Eltern wollen, dass ihre Kinder sicher untergebracht sind, und wir wollen keine Unfälle haben. Die Köche sind heute ausgebildete Experten. Trotzdem steht die Begegnung der Gäste immer noch im Mittelpunkt.
Jetzt fehlt noch die Gitarrenromantik …
Kommt ab und zu auch noch vor, aber weniger als früher.
Sie bewerben aktiv Kongress-Touristen. Das ist kein klassisches Herbergsklientel …
Stimmt. Wir haben sehr gute Räumlichkeiten für Konferenzen und Freizeitangebote, aber wir sind keine klassische Unterkunft für dieses Klientel.
Der Porsche vor der Jugendherberge: Ist er die Ausnahme?
Den sieht man mittags schon öfter mal. Aus den umliegenden Büros kommen viele hierher, um zu essen. Zum Übernachten eher nicht.
Tierisch fleißige Übernachtungsgäste haben Sie auch. Wie viele Bienenvölker leben denn nun hier im Pfaffenthal?
Hier in der Stadt leben vier Bienenvölker, sie wohnen über meinem Büro. Sie erzeugen 70 Kilo Honig im Jahr, der bei uns verkauft wird. In Esch haben wir seit diesem Jahr auch vier Völker.
Sie hören in zweieinhalb Monaten als Direktor auf ….
Ja, aber ich bleibe den luxemburgischen Jugendherbergen treu. Ich widme mich dann der Aufgabe, das Netz weiterzuentwickeln und die bestehenden Strukturen zu pflegen.
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