Interview zur neuen Spielzeit / Dirigent Christoph König: „Luxemburg ist eine musikalische Insel für mich geworden“
Zum Beginn der neuen Spielzeit der Solistes Européens Luxembourg trifft das Tageblatt auf dessen Chefdirigenten Christoph König. Ein Interview über Freude, Veränderung und unbekannte Werke.
Tageblatt: Christoph König, Sie sind seit 2010 Chefdirigent der Solistes Européens Luxembourg (SEL) und auch nach fast 15 Jahren lassen sich keine Ermüdungs- oder gar Abnutzungserscheinungen erkennen. Das Orchester ist so fit wie noch nie.
Christoph König: Ja, ich selbst bin manchmal sehr erstaunt, dass ich schon 14 Jahre hier bin. Ich dirigiere ja auch viel im Ausland und Luxemburg ist so etwas wie eine musikalische Insel für mich geworden. Wir machen um die sechs Konzerte im Jahr, da stellt sich dann kaum eine ungesunde Routine ein und jedes Konzert ist somit auch eine neue Herausforderung. Sowieso ist die ungeschriebene Regel, dass ein Chefdirigent nach zehn Jahren ein Orchester verlassen soll, für mich eher ambivalent. Das mag für einige Orchester und Dirigenten gelten, aber nicht für alle. Seiji Ozawa war beispielsweise 30 Jahre beim Boston Symphony, Haitink 27 beim Concertgebouw, Karajan 33 bei den Berliner Philharmonikern oder Frederic Stock gar 37 beim Chicago Symphony Orchestra. Für diese Zehn-Jahre-Regel scheinen mir eher der schnelllebige Rhythmus unserer Zeit und der Wunsch nach stetigem Wechsel der Grund zu sein, als jetzt ein künstlerischer. Bei mir gibt es jedenfalls keine Ermüdungserscheinungen und ich freue mich auf noch viele Konzerte mit den SEL.
Die neue Spielzeit steht vor der Tür und die SEL haben diesmal ein sehr vielfältiges Programm mit neuen Aspekten zusammengestellt. Brauchen wir ein Umdenken bei den „traditionellen“ klassischen Konzerten?
Gute Frage. Sicherlich hat uns die Corona-Krise zum Umdenken gezwungen. Durch das Zögern und Wegbleiben des Publikums haben sich neue Formate entwickelt. Auch die ausführenden Künstler und die Kulturschaffenden haben gemerkt, dass sie nicht in einem goldenen Käfig sitzen und dass die Kultur nicht unantastbar ist. Das hat zu viel Unsicherheit im Sektor geführt. Was aber ein internationales Phänomen ist. Vieles hat man ausprobiert, manches hat gut, manches weniger gut funktioniert. Man wird sehen, wie es weitergeht. Bei den SEL hat sich im Laufe der letzten Jahre eine Schiene entwickelt, die neue Ideen, unbekannte Werke mit den altbewährten Klassikern verbinden will. Das Schöne dabei: Das Publikum scheint mitzugehen – und auch in diesem Jahr wird es so manche Überraschung geben.
Die ungeschriebene Regel, dass ein Chefdirigent nach zehn Jahren ein Orchester verlassen soll, ist für mich eher ambivalent. Das mag für einige Orchester und Dirigenten gelten, aber nicht für alle.Dirigent
Wofür dann auch luxemburgische Musiker sorgen: Die SEL zeichnen für die Uraufführung des Werkes des jungen luxemburgischen Komponisten Felix Turrion Eichler verantwortlich, arbeiten mit der Choreografin Sylvia Camarda und spielen zusammen mit der Pepino Caliente Band. Wobei man sagen muss, dass Pepino Caliente keine Person ist, sondern ein Margarita-Cocktail …
(lacht) Genau. Hinter dem Namen versteckt sich ein Ensemble des luxemburgischen Trompeters Pierre Kremer, das sich auf südamerikanische Rhythmen spezialisiert hat und mit uns Werke von Charlie Chaplin, Michel Legrand und vor allem südamerikanischen Komponisten spielt. Von Felix Turrion Eichler spielen wir Imbalance, ein Auftragswerk des luxemburgischen Kulturministeriums, bei dem wir zum ersten Mal auch den Tanz in einer Choreografie von Sylvia Camarda auf die Bühne bringen werden. Eichler ist ein sehr interessanter Komponist, als toller Oboist versteht er es, gute und vor allem zugängliche zeitgenössische Musik, in diesem Falle Tanzmusik, zu schreiben. Das Publikum darf sich auf einen spannenden Abend freuen, bei dem auch Bach, Sibelius und eine Haydn-Symphonie auf dem Programm stehen.
Auch große Namen sind wieder angesagt – so kommen der ukrainisch-israelische Violinist Vadim Gluzman mit Prokofieffs 2. Violinkonzert, der Pianist Kit Armstrong, der diesmal auf der Orgel spielt, das Klavierduo Katia und Marielle Labèque sowie Richard Galliano auf dem Akkordeon.
Alles Begegnungen, auf die wir uns besonders freuen. Es ist schon eine Ehre, mit einem Weltklassegeiger wie Vadim Gluzman zusammen zu musizieren. Die Labèque-Schwestern spielen noch immer wunderbar und ihr Mozart ist einfach unvergleichlich schön. Das Publikum darf sich deshalb auf eine besondere Begegnung mit Mozarts Konzert für zwei Klaviere KV 365 freuen. Kit Armstrong, der als weltbekannter Pianist auch eine besondere Liebe zur Orgel hegt, werden wir in einem Programm mit Werken von Widor, Bach und Poulenc erleben. Und Richard Galliano wird uns mit seiner einzigartigen Kunst zeigen, wie man gutes Cross-Over spielen kann.
Im September erscheint auch eine neue CD bei Naxos mit Werken von Albert Dietrich, einem Zeitgenossen von Brahms und Schumann.
Genau. Einerseits wissen wir, wie schwer und eigentlich auch unsinnig es ist, ein Repertoire zu bedienen, das schon x Mal von den weltbesten Orchestern und Dirigenten eingespielt wurde, andererseits scheint es uns wichtig, uns gerade im Nischenrepertoire nach erstklassigen Werken und vergessenen Komponisten umzusehen. Wie Sie schon sagten, Albert Dietrich war ein Zeitgenosse von Schumann und Brahms, hat mit ihnen zusammen gespielt und gehörte zu ihrem engsten Freundeskreis. Zusammen mit Schumann und Brahms komponierte Dietrich die berühmte FAE-Violinsonate („Frei, aber einsam“) für ihren gemeinsamen Freund, den Violinisten Joseph Joachim. Wir haben drei Werke von Dietrich ausgewählt, alles Live-Mitschnitte aus der Philharmonie Luxembourg: Die C-Dur-Ouvertüre op. 35, das Violinkonzert d-Moll op. 30 mit unserem Konzertmeister Klaidi Sahatçi als Solist und die Brahms gewidmete Symphonie d-Moll op. 20.
Es ist für ein Orchester meistens viel interessanter, zusammen ein unbekanntes Werk zu erarbeiten, als immer die gleichen Symphonien rauf und runter zu spielenDirigent
Dietrich hat ja wundervolle Musik komponiert, die zudem sehr offensiv und selbstsicher ist und sofort auf den Punkt kommt. Wie ist sie denn generell einzuordnen?
Das ist nicht ganz einfach zu beantworten, weil es keine wirkliche Aufführungsrezeption gibt und die Werke kaum eingespielt wurden. Generell aber kann man sagen, dass man im sogenannten Nischenrepertoire durchaus Werke findet, die denen von Brahms, Beethoven und Schumann ebenbürtig sind. Man darf auch nicht vergessen, dass die großen Komponisten auch schwache Werke komponiert haben, denken Sie an Beethovens Wellingtons Sieg oder die Ouvertüre 1812 von Tschaikowsky. Oder an die frühen Symphonien von Mozart. Man darf auch nie vergessen, dass die Menschen damals Musik zum Vergnügen und zur Unterhaltung hörten und das auch von ihren Komponisten erwarteten. Dietrich hat durchaus sehr gute Musik komponiert, sein Violinkonzert ist von großer Expressivität, die Ouvertüre ist einfach herrlich und die Symphonie, die sicherlich ebenso Schwächen wie Stärken hat, ist ein sehr interessantes Werk, was es zu entdecken gilt. Und in diesem Sinne freue ich mich, auch weiterhin auf Entdeckungsreise zu gehen und dabei tolle, unbekannte oder vergessene Werke aufzustöbern. Und solche Werke wirken dann auch auf die Musiker meist sehr anspornend, denn es ist für ein Orchester meistens viel interessanter, zusammen ein unbekanntes Werk gemeinsam zu erarbeiten, als immer die gleichen Symphonien rauf und runter zu spielen.
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