Schengen-Lyzeum / Dirk Dillschneider ist neuer Direktor: „Wir bilden Europäer aus“
Das Deutsch-Luxemburgische Schengen-Lyzeum ist ein einzigartiges Projekt in der Großregion. Dirk Dillschneider (47), ein Saarländer, ist seit kurzem der neue Direktor. Der Gymnasiallehrer kennt die Schule gut und kommt nach einem sechsjährigen Aufenthalt als Direktor an der Deutschen Schule in Katar in seine Heimat zurück. Ein Gespräch über Dress-Codes, gelebtes Europa und die Rolle der Nationalität.
Tageblatt: Ihre Gründe, die Herausforderung anzunehmen?
Dirk Dillschneider: Ich wollte zurück ins Saarland. Das Schengen-Lyzeum kenne ich als Lehrkraft, als didaktischer Leiter und als stellvertretender Schulleiter. Ich bin ein Lehrer der ersten Stunde und habe ab 2007 dort unterrichtet. Die Schule hat viele Vorteile, sie ist binational orientiert, mit international anerkannten Abschlüssen. Das ist ein innovatives Projekt in der Region, was die Schule in der Pandemie bewiesen hat.
Apropos Pandemie: Die elterliche Erfahrung mit Online-Unterricht im Saarland ist durchwachsen …
Zur Person: Dirk Dillschneider …
… hat an der Universität des Saarlandes Biologie und Chemie auf höheres Lehramt studiert. Als Gymnasiallehrer unterrichtet er die beiden Fächer sowie Mathematik ab 2007 im damals neu gegründeten Deutsch-Luxemburgischen Schengen-Lyzeum. Später hat er dort die didaktische Leitung inne. 2015 geht er als Schulleiter an die Deutsche Internationale Schule Doha im Emirat Katar. Mitten in der Pandemie kommt er zurück und bewirbt sich als Schulleiter am Schengen-Lyzeum.
Am Schengen-Lyzeum arbeiten wir mit „Teams“, Digitalunterricht hat den normalen in den Lockdowns ersetzt, der Server ist nicht zusammengebrochen und ab Klasse 7 sind unsere Schüler mit iPads ausgestattet. Im Bereich der Digitalisierung ist diese Schule vorne mit dabei.
Es gibt mehrere Unterschiede zu anderen Schulen, wie die halbe Stunde Studienzeit vor Unterrichtsbeginn. Der Vorteil?
Die Studienzeit hat hier Tradition. Es ist eine Zeit, in der Schüler sich über Aufgaben, Vokabeln oder Projektarbeiten austauschen können. Lehrer sind anwesend und es gibt die Gelegenheit, Unklarheiten zu beseitigen oder Fragen zu stellen. Die Studienzeit ist für alle ein sanfter Einstieg, bevor der Unterricht losgeht.
Hier wird Wert auf praktisches Arbeiten gelegt. Es gibt Ateliers. Warum ist das so wichtig?
Die Schüler lernen mit Tieren umzugehen oder technische Aufgaben zu meistern. Wer haptisch arbeitet und gleichzeitig die Theorie mitlernt, der kann nur hinzugewinnen – jeder nach seiner Vorliebe. Man sieht danach ein Produkt und macht Erfahrungen. Das kann ein Kunstwerk sein, das kann aber auch die Pflege von Ziegen auf dem Bauernhof sein.
Gibt es den Dress-Code für die Schüler eigentlich noch?
Es gibt ihn tatsächlich noch. Das Schöne daran ist, dass die Schüler mit Eltern- und Lehrervertretern in der Schulkonferenz um die beste Lösung ringen. Das ist gelebte Demokratie, weil es heftige Diskussionen gibt, um einen Konsens zu finden. Das schafft Demokratie- und Diskussionskultur und das finde ich stark.
Das Schengen-Lyzeum pflegt ein anderes pädagogisches Konzept als den Frontalunterricht. Wie sind die Erfahrungen damit?
Es fördert die Eigenverantwortung und Selbstständigkeit. Die Schüler setzen die Impulse. Der Lehrer hat dabei die Rolle des Moderators. Das ist für uns eine ganz besondere Gelegenheit, Lernfortschritte zu erreichen. Vor allem, weil die unterschiedlichen Schülergruppen sich dabei austauschen und natürlich auch vergleichen.
Ist die Schule eher ein deutsch-luxemburgisches Gymnasium oder ein internationales College oder sogar keins von beiden?
Es ist eine binationale Schule und dadurch einzigartig. Wir sind daran interessiert, dass unsere Schüler die Schule irgendwann als Europäer verlassen. Sie werden hier befähigt, egal wo auf der Welt, mit den europäischen Werten zu arbeiten, sie zu leben und Sprachen kennenzulernen. Das ist unser oberstes Ziel. Bei unseren Schülern spielt die Nationalität keine Rolle mehr. Sie kommen alle aus der Großregion.
Das Konzept des Schengen-Lyzeums wird seit seiner Gründung 2007 als Antwort auf europaskeptische Stimmen gehandelt. Ist es das heute nach zwei Jahren Pandemie mehr denn je?
Ich glaube, das Deutsch-Luxemburgische Schengen-Lyzeum ist ein Symbol der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und des gelebten europäischen Gedankens. Wir bilden Europäer aus, die zwar eine Nationalität haben, aber in Europa zu Hause sind. Dieses Gymnasium hat die Verantwortung, dieses Gefühl zu vermitteln und nach außen zu tragen.
Es trägt den Namen des Ortes, wo seinerzeit die Grenzen abgeschafft wurden und ist als Experiment gestartet. Hat das Experiment mittlerweile Grenzen?
Ich habe damals noch vom Ausland aus beobachtet, was hier während der Pandemie passiert ist. Schüler konnten wegen der Grenzkontrollen nicht zur Schule, weil sie aus einem anderen Land kommen. Das darf nicht sein! Wir sind eine Schule im Dreiländereck und wir leben ein Beispiel an Gemeinschaftsgefühl vor.
Entlässt das Schengen-Lyzeum den besser vorbereiteten Absolventen in eine zunehmend globalisierte Wirtschaft?
Die Erwartungen an das Schengen-Lyzeum haben sich mehr als erfüllt. Wir haben mittlerweile 900 Schüler, die – je nach Neigung – die Schule mit ganz unterschiedlichen, binationalen Abschlüssen verlassen, ganz gleich, ob die Wege in die berufliche Welt nach der 9. Klasse oder beispielsweise zu einem Business-Abschluss („Diplôme de fin d’études secondaires générales“) oder einem binationalen Abitur nach Klassenstufe 12 führen. Somit eröffnen sich viele berufliche Perspektiven oder Studienmöglichkeiten in Luxemburg, Frankreich, Deutschland und ganz Europa.
Mittlerweile gibt es eine Europaschule in Mondorf. Sie bekommt in den nächsten Jahren ein endgültiges Gebäude. Ist das eine Konkurrenz?
Wir haben keine Konkurrenz, sondern grundsätzlich nur Mitbewerber. Mitbewerber beleben das Geschäft. Das ist ein Ansporn für uns als Schulgemeinschaft. Ich glaube daran, dass es in Zukunft das Ziel ist, dass die Schulen untereinander stärker kooperieren. Mein Ziel ist es, voneinander zu lernen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Lehrer sehr unterschiedlich bezahlt werden. Führt das zu Reibereien im Kollegium?
Es gibt diese Unterschiede und sie sind bekannt. Aber das ist hier kein Thema. Wir arbeiten gemeinsam zum Wohle der Schüler.
Das Deutsch-Luxemburgische Schengen-Lyzeum
Aktuell besuchen rund 900 Schüler die Schule. 29,5 Prozent haben die deutsche, 8 Prozent eine französische und 52 Prozent eine luxemburgische Nationalität. Die anderen verteilen sich auf 22 weitere Nationalitäten. Insgesamt gibt es 25 verschiedene Nationalitäten an der Bildungseinrichtung.
Das Lyzeum im saarländischen Grenzort Perl steht unter der Hoheit des Großherzogtums Luxemburg und des Landkreises Merzig-Wadern. Gegründet wurde es 2007. 25 Millionen Euro hat der Bau seinerzeit gekostet, 12,5 Millionen kamen dabei aus Luxemburg, die andere Hälfte hat der Landkreis Merzig-Wadern beigesteuert.
Das rund 120-köpfige Kollegium ist paritätisch zusammengesetzt, je zur Hälfte mit Lehrern aus Luxemburg und aus dem Saarland. In den Winterferien Luxemburgs steht der erste wichtige Termin für das kommende Schuljahr an. Das Schengen-Lyzeum startet den Anmeldezeitraum für Klassenstufe 5 vom 9.-15. Februar 2022. Weitere Informationen finden Sie unter www.schengenlyzeum.eu
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