Kayl-Tal / Diskrete Armut: Das Sozialamt verzeichnet wachsenden Zulauf
Seit Wochen bewegt das umstrittene Bettel-Verbot Medien und Öffentlichkeit. Doch in den seltensten Fällen nimmt die Bedürftigkeit die Form von Männern und Frauen an, die in Fußgängerzonen oder vor Supermärkten um einige Münzen bitten. In der Regel sieht man Armut niemandem an. Und dennoch besteht sie und nimmt sogar zu, wie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Sozialamtes des Kayl-Tals täglich feststellen.
Seit wenigen Jahren befinden sich die Büros des Sozialamtes, das Kayl-Tetingen und Rümelingen gemeinsam betreiben, an einer verkehrstechnisch zentral gelegenen Adresse, gut zu Fuß oder mit Bus erreichbar. Die drei Sozialarbeiterinnen, die das Rote Kreuz entsandt hat, betreuen rund 500 Personen. „Tendenz steigend“, sagt Romain Daubenfeld, seit 2014 Präsident des Verwaltungsrats des Sozialamtes. In den Pandemiejahren sei es etwas ruhiger gewesen. Diese Zeit nutzte man zur Reorganisation. Derzeit empfängt man die Menschen nur mit Termin. Zwei weitere Mitarbeiter, die „Agents régionaux d’inclusion sociale“ (ARIS), betreuen Personen, die das Einkommen zur sozialen Eingliederung (Revis) beziehen und wieder zurück auf den Arbeitsmarkt geführt werden sollen. Jeder betreut 70 Personen.
Kunden des Sozialamtes sind Einzelpersonen, aber auch Haushalte. Und das sind entgegen geläufigen Vorurteilen keinesfalls ausschließlich Nicht-Luxemburger. 36 Prozent sind Luxemburger Staatsbürger, so Daubenfeld. Die anderen sind EU-Bürger oder Drittstaatler, wobei die Zahl Letzterer stetig zunimmt.
Anrecht auf Unterstützung und Betreuung haben lediglich in den beiden Gemeinden angemeldete Personen. Wer sich nicht im Haushalt von Verwandten anmelden kann, etwa weil dadurch der Anspruch auf Revis gekürzt würde, bekommt das Sozialamt als Referenzadresse. Denn ein Stellenangebot seitens der Arbeitsagentur Adem erhält nur, wer eine gültige Adresse im Land hat. Genauso verhält es sich bei der Beantragung staatlicher Unterstützung. „Wir sammeln die Post, die sie in regelmäßigen Abständen abholen müssen“, sagt Daubenfeld und hebt dabei ein Bündel Briefumschläge hoch, die anlässlich der anstehenden Sozialwahlen beim Sozialamt hinterlegt wurden und mit denen die Adressaten zur Wahlteilnahme aufgerufen werden.
„Tiers payant social“
Das Gros der Kundschaft stellen die sogenannten TPS-Fälle („Tiers payant social“), sagt Daubenfeld. Beim TPS übernimmt das Sozialamt den Patientenanteil am Arztbesuch. Würde das TPG („Tiers payant généralisé“), also die vollständige Kostenübernahme bei medizinischen Leistungen, umgesetzt werden, hätten sie weit weniger Arbeit.
Wichtiger Posten bei den Geldleistungen sind die Gutscheine für die Cent-Butteker und die „épiceries sociales“, wo die Betroffenen Güter zu ermäßigten Preisen erwerben können. Viele Kunden können sich zu einem symbolischen Preis auch gleich nebenan in der „Kayler Kleederstuff“ mit hochwertigen Secondhand-Kleidern eindecken.
Was ist mit Haushalten, denen Strom oder Gas wegen unbezahlter Rechnungen abgeklemmt werden? Auch da springt das Sozialamt ein. Da der Verwaltungsrat jedoch lediglich einmal im Monat zusammenkommt, um über die eingegangenen Hilfsanträge zu entscheiden, kann der Präsident in Notfällen sofort eingreifen. Im Prinzip kann er nicht mehr als 500 Euro freigeben, in Notsituationen könne es aber durchaus mehr sein. Bisher seien seine Entscheidungen stets vom Verwaltungsrat nachträglich mitgetragen worden, betont Daubenfeld. Die Stromlieferung werde in der Regel jedoch nicht von heute auf morgen unterbrochen, bloß weil man eine einzige Rechnung nicht bezahlt hat. Da gebe es eine sich über Monate hinziehende Vorgeschichte. Dasselbe beim Gas. Überraschenderweise treffe man auch Fälle an, wo der Haushalt eigentlich über ein sehr gutes Einkommen verfügt, jedoch seine Strom- oder Gasrechnung nicht bezahlt.
Die zunehmende Kundschaft spiegelt auch die wachsenden Spannungen am Wohnungsmarkt wider. Noch bis vor kurzem tat man sich schwer damit, die Miete oder Kaution für säumige Zahler zu zahlen. „Weil dann die Falschen das Geld bekommen“, sagt Daubenfeld. Diese würden damit erreichen, was sie wollten, nämlich dank des Bürgen Sozialamt Geld der Öffentlichkeit. Man bemühe sich dann stets um eine andere Lösung, was jedoch nicht ausschließe, dass man Mietzahlungen doch noch übernehme. 2023 habe man ziemlich viele Fälle gehabt. „Bis 2022 waren wir recht zurückhaltend gewesen“.
Auf Hilfe zählen können auch Haushalte, die ihr Hausdarlehen nicht mehr abstottern können. Man begleite dann die Betroffenen zur Bank und man bemühe sich um eine einvernehmliche Lösung. Aber man könne nicht eine Eigentumswohnung mit öffentlichen Geldern bezahlen.
Finanzielle Transparenz
Wer sich beim Sozialamt meldet, muss seine vollständige finanzielle Situation offenlegen. „Leider sagt man uns oftmals nicht die ganze Wahrheit“, kritisiert Daubenfeld. „Ich sage immer, man muss den Menschen, wenn nur möglich, helfen. Was ich aber nicht mag, ist, wenn man uns belügt. Es ist zwar nachvollziehbar, wenn man sich nicht komplett entblößen will. Wenn wir jedoch eine Person bei einer Lüge ertappen, dann ist das Dossier oft schnell abgehakt. Viele scheuen sich, die ganze Wahrheit zu sagen, denn manchmal ist die missliche Lage auf Eigenverschulden zurückzuführen. Das kann jedem passieren. Aber wir wollen die reale Lage kennen, wir verteilen schließlich öffentliche Gelder.“ Während seiner monatlichen Sitzung entscheidet der Verwaltungsrat aufgrund des von den Sozialarbeiterinnen erstellten Dossiers, wem unter die Arme gegriffen werden soll.
Das Sozialamt verwaltet also öffentliche Mittel. Wird Geld auch zurückgefordert? „Bei größeren Ausgaben, etwa bei der Übernahme der Miete, erstellen wir mit den Betroffenen einen Schuldschein. Dabei vereinbaren wir, wie viel sie uns monatlich zurückerstatten müssen. Das sind meistens kleinere Beträge.“ Oftmals bleiben jedoch auch diese aus, da sich die Einkommenssituation nicht wesentlich verbessert hat.
Die Menschen scheuen den Weg zum Sozialamt, das der Volksmund früher „Aarmebüro“ nannte. Dabei bemüht man sich, jegliche Stigmatisierung zu vermeiden. „Eine meiner ersten Entscheidungen als Präsident war es, die Gutscheine abzuschaffen, mit denen man im Supermarkt einkaufen konnte“, erzählt Daubenfeld. Da stand dann jemand an der Kasse und bezahlte mit diesen Essensbons, sodass jeder in der Schlange sehen konnte, wer da vor ihm stand. Eine mehr als erniedrigende Erfahrung. Heute gibt es stattdessen kleine Geldbeträge, wobei sie nicht für Zigaretten oder Alkohol benutzt werden dürfen.
Das Sozialamt in Zahlen
Finanziert wird das Sozialamt Käldall zu jeweils 50 Prozent vom Staat und von den Gemeinden, wobei Kayl 60 Prozent und Rümelingen 40 Prozent des kommunalen Anteils beisteuern. Das Sozialamt ist ein autonomes „établissement public“. Das Budget für 2024 sieht ordentliche Einnahmen in Höhe von 1,363 Millionen Euro bei ordentlichen Ausgaben von 1,234 Millionen Euro vor.
Der berichtigte Haushalt 2023 verzeichnete Ausgaben von 1,3 Millionen Euro (105.000 Euro mehr als der ursprüngliche Budgetentwurf). In den abschließenden Konten für das Jahr 2022 belaufen sich die Ausgaben noch auf 830.000 Euro.
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Schön, dass auch mal ein Bericht über die staatliche Hilfe und die der Gemeinden für Bedürftige kommt und nicht dauernd das Draufhauen, dass n i c h t s getan wird!