Parlament / Diskussion um mehr Steuergerechtigkeit ist für die Sozialisten noch nicht vorbei
Nach Premierminister Xavier Bettels Rede zu Lage der Nation am Dienstag nahmen am Mittwoch die Sprecher der drei Regierungsparteien und von drei Oppositionsparteien im Parlament Stellung zu der Rede. Insbesondere beim Thema Steuern scheiden sich die Geister. Anders als die DP will die LSAP die von CSV-Präsident Frank Engel eingebrachte Diskussionen über eine Vermögens- und Erbschaftssteuer weiterführen und denkt über eine nationale Grundsteuer nach. Die Grünen haben sich bislang nicht dazu geäußert. Auch die Opposition ist gespalten.
Die Absage des Premierministers an eine Sparpolitik wurde am Mittwoch von allen Parteien begrüßt. Genau wie das Vorhaben der Regierung, mit einer Reform der spezialisierten Investmentfonds (FIS) und der „Stock Options“ einige Steuerschlupflöcher zu schließen. An der von CSV-Frank Engel ins Spiel gebrachten Vermögenssteuer und der Erbschaftssteuer in direkter Linie scheiden sich aber weiterhin die Geister. CSV, DP und ADR sprachen sich am Mittwoch resolut dagegen aus. Der linke Abgeordnete Marc Baum forderte seinerseits, die Steuern auf Vermögen, Erbschaft, Spekulation und Kapitaleinkünfte zu erhöhen. „Seit 40 Jahren genießen Reichtum und Kapital in Luxemburg Steuerprivilegien“, sagte Baum. „Es wäre nur fair, wenn sie jetzt einen Teil zurückgeben würden“.
Etwas vorsichtiger äußerte sich die LSAP. Die Diskussion um mehr Steuergerechtigkeit sei für die Sozialisten noch nicht vorbei, auch wenn innerhalb der Koalition ein Kompromiss gefunden werden müsse, sagte LSAP-Fraktionschef Georges Engel. Entschlossen zeigte sich Engel, dass es mit der LSAP keine Erhöhungen der Mehrwert- und der Lohnsteuer oder einen Abbau von Sozialleistungen geben werde. Die Einführung einer nationalen Grundsteuer wolle er nicht ausschließen, sagte Engel. Die Grünen mieden das Thema am Mittwoch.
Neben der CSV bemängelten auch die anderen Oppositionsparteien, dass unklar sei, wie es nun mit der großen Steuerreform weitergehe. Die DP stehe noch hinter der Modernisierung der Steuerpolitik, doch jetzt sei nicht der richtige Moment, denn der Handlungsspielraum sei durch die Krise kleiner geworden, sagte DP-Fraktionschef Gilles Baum. Trotzdem wolle seine Partei weiter an der individuellen Besteuerung festhalten.
Die Sprecherin der größten Oppositionspartei CSV, Martine Hansen, die den abgegriffenen Begriff Nachhaltigkeit in den Fokus ihrer Bewertung stellte, warf dem liberalen Premierminister vor, Schönwetterpolitik zu betreiben und der Maxime „Carpe diem“ zu folgen. Das starke Sicherheitsbedürfnis der CSV scheint seit Monaten wegen der noch immer eher unvorhersehbaren Entwicklung der Corona-Pandemie erschüttert. Hansen bezeichnete Bettels Rede zur Lage der Nation als Bestandsaufnahme und Wiederholung des Koalitionsprogramms. Obwohl die CSV einige Maßnahmen unterstützt, vermisst Martine Hansen Perspektiven und eine globale konkrete Strategie für einen nachhaltigen Neuanfang. Betriebe bräuchten Planungssicherheit und Gemeinden, die in einer schwierigen Situation sind, müssten unterstützt werden.
Auch Marc Baum („déi Lénk“) vermisste eine Vision für die wirtschaftliche Entwicklung. Trotz anders lautender Prognosen der Regierung sei eine schnelle Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit unwahrscheinlich. Viele Menschen hätten Angst vor dem sozialen Abstieg, stellte Baum fest. Die Arbeitslosenquote sei gestiegen, die Zahl der Insolvenzen werde noch weiter zunehmen. Deshalb forderte „déi Lénk“ die Regierung dazu auf, den Arbeitslosenzuschlag von einem auf zwei Jahre zu verlängern und profitable Betriebe daran zu hindern, Stellen abzubauen. Mit einer Jobgarantie will „déi Lénk“ die Entstehung einer verlorenen Covid-Generation verhindern. Wenn der Übergang in die Kreislaufwirtschaft, der Ausbau des öffentlichen Transports und die Umstellung der Landwirtschaft endlich umgesetzt würden, könnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, so Baum. Auch LSAP-Fraktionschef Georges Engel verlangte, dass neue Arbeitsplätze geschaffen und die Weiterbildung gefördert werde. Der „Fonds pour l’emploi“ müsse die notwendigen Mittel bekommen, um die steigende Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Finanzminister Pierre Gramegna (DP) warf Hansen vor, die Zahlen im Staatshaushalt schöngeredet zu haben. Die Regierung habe es verpasst, in guten Zeiten einen Apfel für den Durst beiseitezulegen, meinte die CSV-Fraktionschefin. Jetzt sei unklar, wie sie das Staatsbudget in den Griff bekommen wolle. Trotz der ungewissen Entwicklung der Pandemie forderte Hansen einen mehrjährigen Haushalt, der zeigt, wie das Defizit abgebaut werden kann. DP-Fraktionschef Gilles Baum wehrte sich gegen diese Vorwürfe und betonte, dass Luxemburg mit 27,4% des BIP noch eine der niedrigsten Verschuldungsraten Europas habe.
Parlament wird „Gesondheetsdësch“ beobachten
Die grüne Fraktionschefin Josée Lorsché stellte in ihrer Rede die strukturellen Schwächen des Gesundheits- und Sozialversicherungswesens in den Fokus. Sie begrüßte Luxemburgs Engagement für eine gemeinsame europäische Gesundheitspolitik, die bislang noch in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt. Eine gemeinsame Produktion und Lagerung von Medikamenten, Impfstoffen und Material könne zum Vorteil aller Mitgliedsländer sein, sagte Lorsché. Dabei sei ein krisenfester Gesundheitssektor eine Voraussetzung, um den Wirtschaftsmotor am Laufen zu halten. Deshalb müsse Luxemburg sein Gesundheitswesen besser für zukünftige Pandemien aufstellen. Der Ärztemangel müsse behoben und die Berufe müssten attraktiver gemacht werden, indem die ärztlichen Tarife an den Zeitaufwand angepasst würden. Die Pflegekräfte müssten besser ausgebildet und die Sprachbarrieren in der Ausbildung beseitigt werden, forderte Lorsché.
Wie die CSV wollen „déi gréng“ mit ambulanten und multidisziplinären Zentren in nicht-urbanen Räumen die Notaufnahmen in den Spitälern entlasten. Schlupflöcher in eine Zwei-Klassen-Medizin dürften nicht erlaubt werden, so Lorsché. LSAP und „déi Lénk“ stellten ähnliche Forderungen, betonten jedoch, dass eine weitere Privatisierung und Liberalisierung des Gesundheitswesens, wie die AMMD sie sich wünscht, nicht infrage komme. Deshalb will die parlamentarische Gesundheitskommission die Verhandlungsrunde „Gesondheetsdësch“, die im September begonnen hat, künftig näher verfolgen und sich regelmäßig Bericht erstatten lassen. Die Forderung der CSV, die Nomenklatur anzupassen, damit die Gesundheitskasse endlich die Kosten für Psychotherapien zurückerstattet, wurde von „déi gréng“ und „déi Lénk“ geteilt. Premierminister Bettel hatte in seiner Rede am Dienstag ein Bekenntnis zum öffentlichen Gesundheitssystem vermissen lassen.
Ein weiteres Thema, das Bettel am Dienstag erneut nur am Rande erwähnt hat, ist die Wohnungskrise. Es gebe kein Allheilmittel, sondern viele kleine Lösungen, sagte Georges Engel am Mittwoch. Man müsse nun gemeinsam an einem Strang ziehen, meinte Gilles Baum. Josée Lorsché und Marc Baum sahen das Hauptproblem darin, dass Privatbesitz in Luxemburg seit Jahrzehnten als heilige Kuh angesehen wird. Während Lorsché Baulandverträge, „Pacte logement“ und den neuen Fonds zur Unterstützung des Wohnungsbaus als Paradigmenwechsel bezeichnete, zeigte Marc Baum sich skeptisch, dass diese Instrumente alleine ausreichen. Die CSV will den Traum vom Eigenheim für junge Familien nicht abschaffen und den Bauperimeter erweitern. Insgesamt herrschte aber Übereinstimmung, dass Staat und Gemeinden künftig mehr Verantwortung beim Bau von erschwinglichem und sozialem Wohnungsbaum übernehmen müssen. Einzig der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser forderte, der Staat müsse sich aus dem Wohnungsbau heraushalten und dem freien Markt die Lösung der Probleme überlassen.
Neuer „Stil“ bei der ADR
Überhaupt scheint seit dem Rücktritt von Gast Gibéryen und mit der Vereidigung von Fred Keup zu Beginn der gestrigen Sitzung ein neuer Stil bei der ADR eingekehrt zu sein. Kartheiser, der nun den Vorsitz des „Groupement politique“ übernommen hat, trat gestern ungewohnt laut, polemisch und spaltend auf. Auf die Rede des Premierministers ging er kaum ein, sondern fuhr zum Teil persönliche Attacken gegen Mitglieder der Regierung insgesamt und im Besonderen gegen den grünen Energieminister Claude Turmes. Den Grünen warf er vor, mit Katastrophenszenarien Politik zu betreiben, um die Menschen einzuschüchtern und sie zu manipulieren.
Das hielt Kartheiser aber nicht davon ab, selbst diese Taktik anzuwenden. Er prognostizierte, die Dekarbonisierung habe Arbeitslosigkeit und gesellschaftliche Umwälzungen zur Folge. Die alternative Energieversorgung sei unzuverlässig und könne nicht einmal den Strombedarf decken, daher könne Luxemburg nicht auf fossile und nukleare Energien verzichten. Mit einer „modernen“ Verfassung verliere Luxemburg seine Souveränität und werde zum Bundesland der EU. Die Sicherheit in Luxemburg sei nicht mehr gewährleistet, deshalb wolle er „der Kriminalität den Krieg erklären“. Im Zusammenhang mit der Einwanderung befürchtet Kartheiser „Parallelgesellschaften“ und die Integration von Migranten will er über die luxemburgische Sprache bewerkstelligen. Der öffentliche Dienst und die Polizei sollen laut ADR luxemburgisch sein und sprechen.
Am Donnerstagmorgen werden weitere Abgeordnete zu Bettels Rede Stellung beziehen. Als Erster wird um 8 Uhr der Piraten-Abgeordnete Sven Clement an das Rednerpult treten.
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Deelweis Stei’erfrei’heet durf et net ginn !
Och net bei Minister an Deputei’ert !
GLEICHHEET virum <Stei'er"Gesetz steht an der Verfassung !