Probleme bei Beschaffung von Büchern / Doktorandin berichtet: „Durch die Corona-Krise habe ich zwei Monate Zeit verloren“
Der Lockdown in Luxemburg hat manche Studenten an der Uni.lu ausgebremst. Eine Doktorandin berichtet dem Tageblatt über ihre Schwierigkeiten, bestimmte Werke herbeizuschaffen. Ihren ursprünglichen Zeitplan musste sie aufgeben. Ein Bericht.
Sandy Artuso ist Doktorantin an der Uni.lu. Die Corona-Krise hat ihren Zeitplan auf die Probe gestellt. Ihr Vertrag mit der Uni.lu, der über den FNR („Fonds national de la recherche“) finanziert wird, läuft Mitte Oktober aus. Spätestens bis dahin sollte sie ihre Doktorarbeit eingereicht haben.
Durch die Krise habe ich gute zwei Monate Zeit verloren. Ohne Corona wäre ich jetzt dabei, die Korrekturen an meiner Arbeit zu machen. Mit Corona bin ich jetzt noch dabei, zu schreiben.Doktorandin an der Uni.lu
„Manchmal zahlt es sich aus, dass ich streng mit mir selber bin“, sagt Sandy. Denn ihr ursprünglicher Plan – vor Corona – war es, ihre Arbeit bereits im August abzugeben. Sie hatte sich einen Puffer von zwei Monaten eingebaut. Diesen wird sie nun voll ausschöpfen müssen. „Durch die Krise habe ich gute zwei Monate Zeit verloren“, sagt sie. „Ohne Corona wäre ich jetzt dabei, die Korrekturen an meiner Arbeit zu machen. Mit Corona bin ich jetzt noch dabei, zu schreiben.“
Sandy befindet sich in einer Phase der Doktorarbeit, in der man eigentlich das meiste Material bereits angeschafft hat. „Aber es ist auch der Moment, in dem man seine Sachen nachlesen und die Quellen überprüfen muss.“ Alles, was die Fachliteratur, also die Sekundärliteratur, anbelangt, ist Sandy gut aufgestellt. In den vergangenen Jahren hat sie vieles angesammelt, Bücher, Kopien und PDF-Dateien. Das spezifische Problem bei Sandys Doktorarbeit aber ist die Beschaffung der Primärliteratur, also der Autobiografien, die sie analysiert.
Der Titel ihrer Dissertation lautet: „Narrationen des Ich in deutschsprachigen Autobiografien von transgeschlechtlichen Menschen“. Dazu analysiert Sandy Autobiografien, die zwischen 1983 und 2016 publiziert wurden. Das sind insgesamt 67 Bücher, die nicht überall erhältlich sind. „Manche sind komplett verschollen“, sagt sie. Mit verschollen meint sie, dass man sie praktisch nur noch im Lili-Elbe-Archiv in Berlin und anderen kleinen Archiven in der deutschen Hauptstadt finden kann. Da es sich allerdings stets um Präsenz-Bibliotheken handelt, kann man die Bücher nicht ausleihen und sie sich auch nicht per Fernleihe zusenden lassen.
Reise zum Archiv war nicht möglich
Seit 2017 ist Sandy regelmäßig nach Berlin gereist, um in den „verschollenen“ Autobiografien zu stöbern und sich Notizen zu machen. Allerdings befindet sie sich nun in der Phase, in der sie genau diese Notizen noch mal überprüfen muss. Sandy gibt ein Beispiel: „Steht dieser Eintrag tatsächlich in diesem bestimmten Buch auf Seite 17?“ Ihr Plan war es gewesen, im April oder Mai dieses Jahres nach Berlin zu reisen. Doch dann kam der Lockdown und Deutschland hat die Grenzen geschlossen. Eine Reise zum Archiv nach Berlin war ausgeschlossen. „Ich habe angefangen, Schadensbegrenzung zu betreiben, da ich nicht wusste, wie lange der Lockdown bestehen bleibt.“ Sandy hat nur jene Notizen für ihre Arbeit berücksichtigt, bei denen ihre Angaben wie beispielsweise Zitate präzise und unmissverständlich waren. Andere musste sie vorerst weglassen.
Sandy begann, sich einige dieser seltenen Autobiografien zu kaufen. Andere konnte sie bereits vor der Krise ebenfalls in Luxemburg ausfindig machen, beispielsweise beim Centre LGBTIQ+ Cigale, das eine kleine Bibliothek betreibt. Oder beim „CID Fraen an Gender“, das sie nach der ersten Lockerung des Lockdowns unter den üblichen sanitären Sicherheitsbestimmungen besuchen durfte. Sandy fand heraus, dass es einige einzelne Autobiografien in der „FrauenGenderBibliothek Saar“ in Saarbrücken gibt. Aber das war noch in der Zeit der Lockdowns. Nach Saarbrücken könnte sie es zeitlich noch schaffen.
Die Alternative wäre, dass ich bestimmte Textstellen einfach nicht zitiere. Es muss am Ende eine saubere wissenschaftliche Arbeit sein, wo die Quellen überprüft sein müssen.Doktorandin an der Uni.lu
Auch eine Reise nach Berlin schließt die Doktorandin nicht völlig aus. „Wenn es zeitlich irgendwie machbar ist, werde ich noch mal dahin reisen.“ Es gibt auch noch die Möglichkeit, Kontakt mit den dortigen Archiven aufzunehmen und die Bibliothekare darum zu bitten, die eine oder andere Angabe aus bestimmten Büchern überprüfen zu lassen. „Das ist etwas Aufwand für sie, aber sie bieten ja auch Dienstleistungen an, wie Sachen zu scannen. Das macht allerdings nicht jede Bibliothek.“
Noch keine digitalen Quellen der Autobiografien
„Die Alternative wäre, dass ich bestimmte Textstellen einfach nicht zitiere. Es muss am Ende eine saubere wissenschaftliche Arbeit sein, wo die Quellen überprüft sein müssen.“ Und gerade jetzt am Ende der Niederschrift sei das wichtig. Auf digitale Quellen der Autobiografien konnte Sandy nicht zurückgreifen, weil es noch keine gibt, sagt sie.
Vom Luxembourg Learning Center (LLC), der Bibliothek der Uni.lu, und von der Nationalbibliothek (BNL) habe sie nur wenige Bücher gebraucht. Dabei handelte es sich stets um Sekundärliteratur. Einige Werke hatte sie noch vor dem Zeitpunkt des Lockdowns zu Hause. Zwei davon waren aus der Fernleihe und hätten eigentlich bis Ende März zurückgegeben werden sollen. „Da wurde ich per E-Mail über mein Konto, über das die BNL und das LLC laufen, benachrichtigt, ich solle mir keine Sorgen wegen der Rückgabe oder Sperrgebühr machen. Jetzt sollte ich die Bücher allerdings so langsam wieder zurückbringen.“ Die BNL und das LLC hatten im Lockdown angekündigt, mehr Material online zur Verfügung zu stellen. Das kam vielen Studenten entgegen. Sandy konnte mit ihrer A-Z-Karte auf diese Sekundärliteratur zurückgreifen. Diese Werke seien aber auch bereits vor dem Lockdown online verfügbar gewesen.
Sandy hofft nun, dass sie die Verteidigung ihrer Doktorarbeit wie gewohnt vor der Jury und dem Publikum abhalten kann. Im Lockdown wurden die Verteidigungen komplett online abgehalten. „Das ist tough“, sagt Sandy. Sie ist froh, dass sich die Situation mittlerweile verbessert hat. „Ich hoffe, dass ich zumindest mit den Juroren in einem Raum sein darf“, so die Doktorandin. Am liebsten hätte sie auch gerne das Publikum im selben Saal. „Bis November kann sich noch einiges ändern, auch zum Schlechten“, sagt sie.
Uni.lu will niemanden im Regen stehen lassen
Verteidigungen von Doktorarbeiten sind in der Regel öffentlich und werden auf der Webseite der Uni angekündigt. „Üblicherweise sitzt die ganze Germanistik dort, um die Kollegen zu unterstützen. Dazu kommen vom Doktoranden eingeladene Freunde und Verwandte.“
Sandy sagt, dass die Uni angekündigt habe, bei den Fristen niemanden im Regen stehen zu lassen. Es wurden Prozeduren erstellt, die es den Doktoranden ermöglichen, einen Aufschub des Abgabetermins zu bekommen. „In meinem Fall wird das wohl nicht eintreffen, da ich mich immer noch im legalen Rahmen des Abgabetermins befinde.“
Ich sage mir, ich muss nicht dahin, arbeite von zu Hause aus und lasse lieber jenen den Vortritt, die unbedingt zum Campus müssenDoktorandin an der Uni.lu
Sandy hat wie alle Doktoranden ein Büro an der Uni.lu. Bevor der Lockdown kam, hatte sie den richtigen Reflex und hat alle ihre Bücher aus dem Büro mit nach Hause genommen, da sie davon ausging, dass dies nicht nur zwei Wochen dauern würde. Sie sagt: „Ich befand mich da bereits in der Phase des Schreibens. Da ist es egal, wo man sich einbunkert.“ Auf dem Campus wird nun das „déconfinement“ Schritt für Schritt durchgeführt, damit sich nicht zu viele Leute gleichzeitig dort aufhalten. Bis auf einige Ausnahmen lautet das Standardprocedere immer noch Home-Office. „Ich sage mir, ich muss nicht dahin, arbeite von zu Hause aus und lasse lieber jenen den Vortritt, die unbedingt zum Campus müssen.“
Bei den seltenen Gängen, die Sandy trotzdem zum Campus führen, zeigt sich Belval eher als eine Art Ghost Town. Die „komische Stimmung“, wie Sandy es nennt, setzt sich auch in den fast menschenleeren Gebäuden der Uni.lu fort.
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Sie haben zwei Monate verloren. Andere ihr Leben.