Oberpallen / Dorfbewohner wehren sich: Protest gegen die Ansiedelung eines großen Bauernhofes
Normalerweise geht eher ruhig zu in Oberpallen. Zurzeit aber herrscht Unmut über die geplante Ansiedelung eines großen Bauernbetriebes im Dorf. Im Rathaus liegt eine Unterschriftenliste von Bürgern, die sich dagegen wehren. Nach einer äußerst schnellen ersten Genehmigung des Umweltministeriums wird Kritik laut.
Das 429 Einwohner zählende Dorf Oberpallen im Westen des Landes passt in jedes Klischee zum Leben auf dem Land. Wiesen, Weiden, Wald, Kühe und Kälber und Bauernhäuser prägen das Bild. Mitten ins Dorf betonierte Appartementhäuser fehlen größtenteils und der Lärm urbaner Hektik ist weit weg. Nur fünf Minuten Fahrtzeit vom belgischen Arlon entfernt, scheint die Idylle perfekt. Damit könnte es bald vorüber sein.
Das zumindest befürchten Einwohner des Dorfes, die sich gegen die geplante Ansiedelung eines großen Bauernbetriebes wehren. Vom „Tontelerwee“ aus blicken sie von ihren Häusern aus auf eine bislang grüne Anhöhe Richtung Wald. Genau dort soll der Bauernbetrieb mit 16 Meter hohen Silos, Wohnhaus und Stallungen für 330 Rinder entstehen. Sie sind verwundert, in welcher Geschwindigkeit das Umweltministerium den Plänen dazu zugestimmt hat.
Wer weiß, wie lange normalerweise die Genehmigungsverfahren im Land dauern, ahnt, dass knapp sieben Wochen zwischen Antragstellung und Genehmigung schnell ist. Es ist eine von insgesamt vier Genehmigungen für den Betrieb, die notwendig sind. Wasserwirtschafts- und Naturverwaltung müssen noch entscheiden. Zum Schluss erteilt der parteilose Bürgermeister der Gemeinde Beckerich Thierry Lagoda (39) die Baugenehmigung.
An Rinder gewöhnt, aber 330 sind viel
Karl-Heinz Dick (65), der seit 40 Jahren in der Gemeinde wohnt, erinnert sich noch an frühere Zeiten, als Rinder die Straßen bevölkerten, wenn sie von einer auf die nächste Weide getrieben wurden. „Als ich hierhin gezogen bin, war das normal“, sagt er. Bei 330 Rindern, wie es in der Genehmigung für den landwirtschaftlichen Betrieb heißt, die der Redaktion vorliegt, hat er allerdings Bedenken. Abgesehen von Lärm durch den abzusehenden Traktorverkehr und Gestank treiben ihn und nicht nur ihn vor allem Wasserprobleme um.
„Der Druck unseres Wassernetzes ist schon jetzt schlecht und die Rinder brauchen Trinkwasser“, sagt Dick. In einem Brief an den Gemeinderat von Beckerich rechnen die Betroffenen einen Bedarf von 4.000 Kubikmetern Wasser pro Jahr für die geplante Anzahl an Rindern vor. Der Brief stammt vom 13. September und liegt der Redaktion vor. Unterzeichnet haben ihn rund 40 Gegner des Projektes aus dem Dorf. Außerdem hat die Gemeinde gerade erst Hochwasser nach Starkregen zu spüren bekommen. Dick zeigt Fotos vom letzten Jahr, die überschwemmte, unpassierbare Straßen im Dorf zeigen.
Auf der Anhöhe neben dem Gelände stehend, wo der Betrieb angesiedelt werden soll, sagt er: „Wenn es wieder Starkregen gibt, sieht man hier gut, wohin das Wasser laufen wird, wenn der Boden nichts mehr aufnehmen kann.“ Es läuft normalerweise Richtung Dorf, nämlich bergab. Die zusätzliche Versiegelung des Bodens durch die Neubauten, die für den Betrieb geplant sind, verschärft das Problem, befürchten die Gegner des Projektes.
Geländeversiegelung erschwert Hochwasserschutz
Für den Bau von vier großen Silos und die Stallungen für 330 Tiere sowie ein Wohnhaus fällt einiges an. Das Gelände gehört nach Gemeindeangaben der Familie des antragstellenden Bauers. Hinzukommt die Angst, der Landwirt könnte den Betrieb irgendwann vergrößern oder gar aufgeben. „Was passiert dann mit den Gebäuden?“, fragen sich die Gegner, die grundsätzliche politische Kritik äußern. Sie erklärt sich mit einer Besonderheit.
Das Gelände, wo das Projekt angesiedelt werden soll, liegt neben der „Promenade transfrontalière Camille Gira“. Der grüne Politiker hat sich zu seinen Lebzeiten für Natur- und Umweltschutz eingesetzt. Sein Engagement gilt im Kanton Redingen, in dem Oberpallen liegt, als Referenz. Vor diesem Hintergrund mutet das geplante Projekt umso widersprüchlicher an. Die Betroffenen erheben schwere Vorwürfe Richtung Lokal- und Nationalpolitik.
„Der Bürgermeister versteckt sich hinter dem PAG und Gesetzen, es fehlt jeglicher politische Mut“, sagt Miguel Verbeke (63). Der pensionierte Architekt wohnt seit 1994 in der Gemeinde. Teile des Geländes, auf dem der Betrieb liegen soll, sind nach Angaben der Gegner im PAG eine „zone nature protegée“, der Rest liegt in einer „zone agricole“. Die Gegner haben deshalb ein Alternativgelände vorgeschlagen, wo die Wasserproblematik zumindest entschärft wäre.
Politisch nicht „up to date“
„Das Projekt geht gegen alles, was offiziell politisch angestrebt wird“, sagt Verbeke. Nicht nur dort. Er verweist auf die jüngsten Vorschläge des Klima-Bürgerrates zur politischen Entwicklung des Landes. Deshalb kommen die Gegner in ihrem Schreiben vom 13. September 2022 zu dem Schluss: „Das Projekt ist ganz klar eines, das ins vergangene Jahrhundert gehört (…).“ Der parteilose Beckericher Bürgermeister Thierry Lagoda ist sich der Bedenken bewusst und reagiert auf Anfrage des Tageblatt.
„Wenn alles konform ist, es fehlen ja noch Genehmigungen, bin ich in der Verantwortung, die Baugenehmigung zu erteilen“, sagt er. Er weiß, dass es bereits der zweite Versuch des Landwirtes ist, einen solchen Betrieb zu etablieren. „Das vorige Projekt war in der Gemeinde Ell geplant, lag aber zu nahe an einem Naturschutzgebiet“, sagt er. Die Größe des Betriebes bereitet ihm weniger Kopfzerbrechen. „Wir haben mittlerweile eine ganze Reihe von modernen landwirtschaftlichen Betrieben in der Gemeinde“, sagt Lagoda. „Sie haben alle eine solche Größe, das ist nicht ungewöhnlich.“
Betriebsgrößen wie diese liegen im Trend. „Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe geht zurück, dafür werden sie immer größer“, sagt der Rathauschef. Auch mit der Art des Betriebes hat er keine Probleme. Von biologisch ist nirgendwo die Rede. „Wir haben eine ganze Reihe von konventionellen Betrieben in der Gemeinde, die aber viel für den Umweltschutz machen“, sagt er. Trotzdem widerspricht das Projekt dem Bioaktionsplan, den Empfehlungen des Klimabürgerrates und dem Koalitionsabkommen.
Dort ist das Ziel, bis 2025 ein Fünftel der landwirtschaftlichen Flächen biologisch zu bewirtschaften, festgeschrieben. „Die Gemeinde hat die Mission zu schauen, ob der Antrag konform mit dem PAG ist“, sagt Lagoda. „Sie ist nicht dafür da, zu kontrollieren, ob der Betrieb den politischen Überzeugungen des Bürgermeisters oder der Gemeinde selbst entspricht. Es wäre schön, wenn dem so wäre, aber das ist nicht die Realität.“ Noch sei nichts definitiv entschieden.
Die Gegner wollen nach eigener Aussage die 40-Tage-Frist dazu nutzen, entweder beim Umweltministerium oder beim Ombudsman oder per Gericht zu intervenieren. „Wir werden weitermachen“, sagt Einwohner Dick. Im Rathaus laufen ebenfalls Vorbereitungen. „Wir sind mit dem Landwirt in Diskussionen, ob das der richtige Standort ist – vor allem vor dem Hintergrund der Wasserproblematik“, sagt Bürgermeister Lagoda und kündigt gleichzeitig eine zeitnahe Informationsveranstaltung für alle Bürger an. Am Dienstag (27.9.) steht ein Treffen mit den Gegnern auf der Agenda. À voir also.
Fleischproduktion in Luxemburg
In der Genehmigung für den Betrieb ist nicht ausgeführt, ob die 330 Rinder zur Fleisch- oder Milchproduktion dienen sollen. Laut Landwirtschaftsministerium gibt es in Luxemburg 1.166 Betriebe mit 189.453 Rindern. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2021. 2020 waren es 191.360 Rinder in Luxemburg, wie aus Statec-Zahlen hervorgeht. Im selben Jahr wurden 27.932 Rinder geschlachtet, die 16.435 Tonnen Fleisch („tonnes poids carcasse“) produzierten. Gleichzeitig importierte Luxemburg 1.367 lebende Rinder aus der EU und exportierte 7.466 lebende Rinder in die EU, was nicht selbsterklärend ist. Hauptabnehmer für die lebenden Tiere sind gemäß Landwirtschaftsministerium die Niederlande, Belgien und Deutschland. 9.884 Tonnen Rindfleisch wurden 2020 aus der EU nach Luxemburg importiert und 3.102 Tonnen Fleisch wurden laut Statec von Luxemburg in die EU exportiert. 27 Kilo Rindfleisch (!) konsumierte jeder Einwohner 2020 pro Jahr. Aus dem Jahr stammen die letzten Statec-Angaben zum Pro-Kopf-Verzehr dieser Sorte Fleisch im Land. Statec kommt damit zu dem Schluss, dass 94 Prozent des im Land erzeugten Fleisches im Land verzehrt werden.
Empfehlungen des „Klima Biergerrot“ (KBR)
In den Empfehlungen des Klimabürgerrates (KBR), die gerade fertig ausgearbeitet wurden, ist von insgesamt 90 Kilo Fleischkonsum (inklusive Rindfleisch) pro Person im Jahr in Luxemburg die Rede. Die Verfasser diagnostizieren Luxemburg einen „Überkonsum“ in Sachen Fleisch und eine „Quasi“-Abhängigkeit von der Aufzucht von Rindern, entweder für die Fleisch- oder für die Milchproduktion. Beide Sektoren sind nach Aussagen des Klimabürgerrates derzeit wirtschaftlich „mehr oder weniger“ lebensfähig. Beide Sektoren leiden unter den Auswirkungen des Preiswettbewerbs. Der KBR fordert eine Diversifizierung des Agrarsektors im Land und regt die Förderung von Maßnahmen zur Biodiversität wie auch Aufklärung zum Fleischkonsum im Land an (Seite 6 des Berichts ff.)
- Näherinnen hauchen Werbeplanen von Amnesty International Luxembourg neues Leben ein - 10. November 2024.
- Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches - 2. November 2024.
- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
Wehret den Anfängen. Als Ex-Wasserbilliger kann ich ein Lied davon singen wie man eine Dorfidylle schnell zerstört. Und wie immer,es geht um Geld.Viel Geld.Dann ist das mit der Idylle schnell vorbei. Damals hatte Wasserbillig 2 Tankstellen,heute 17.Mit den entsprechenden Supermärkten dazu und 4000 Autos täglich . Dazu noch der Bauwahn der in ganz Luxemburg herrscht und das war’s. Wer kann packt die Koffer. Denn gegen Gestank und Lärm kann man sich nicht wehren,bei Hässlichkeit schließt man einfach die Augen.