Nationalwahlen / Drei Kandidaten, eine Familie, drei verschiedene Parteien
Wenn Lou Linster (31), sein Cousin Alain de Bourcy (47) und sein Onkel Jacques Linster (68) zusammen an einem Tisch sitzen, werden die Gespräche schnell politisch. Aber nicht unfreundlich. Alle drei kandidieren für verschiedene Parteien bei den Nationalwahlen. Eines jedoch eint sie alle: Beim Thema Wohnen muss sich was ändern.
Im Café Interview am Hamilius, wo sich alle zum Interview treffen, ist es an diesem Morgen noch ziemlich unbelebt. Ein paar wenige Kaffeetrinker sitzen drinnen, als Jacques Linster als Erster um die Ecke kommt. Der Sonnenschein ist zu schön. Das Gespräch findet draußen statt. Linster greift zu einem der Barhocker, der ihm am nächsten ist. Erst bei näherem Hinschauen stellt er fest, dass die Stuhlbeine rot sind. Er nimmt es mit Humor. „Na gut, dann sitze ich ausnahmsweise mal auf einem roten Stuhl.“
Rein farblich gesehen entspricht das nicht seiner politischen Überzeugung. Der Rentner kandidiert für die Partei Fokus im Bezirk Osten, um, wie er sagt, „den Schlamassel im Land anzuprangern“. Als gelernter Bäcker hat er die größte Bäckereikette im Land gemanagt, war Chef von fast 1.000 Mitarbeitern und hatte alleine 14 Läden in der Hauptstadt unter seiner Verantwortung. Den Spruch „von mir haben alle Luxemburger in irgendeiner Form Brot bekommen“, lässt er sich nicht nehmen. Heute genießt er es, frei sagen zu können, was er denkt.
Rücksichten wie früher als „Administrateur délégué“ muss er nicht mehr nehmen. Die Aussicht auf den Konsumtempel Hamilius und die Baustelle um die ehemalige Post stimuliert ihn. „Was haben 40 Jahre DP-Politik hier bewirkt?“, fragt er und macht eine ausladende Armbewegung um sich herum. „Den Ausverkauf von der Hauptstadt.“ Die Jugend sei nicht mehr präsent, weil die Schulen an den Rand gedrängt wurden.
„Chefsache“ Wohnungsbau
„Die Stadt hat kein Blut, kein Herz und keine Seele mehr“, sagt Linster und ist gleich beim nächsten Thema. Obwohl die aktuelle „Gambia“-Koalition genauso wie Jean-Claude Juncker (CSV) den Wohnungsbau zur „Chefsache“ erklärt hat, ist in seinen Augen nichts passiert. „Unsere Kinder und Kindeskinder können, außer sie haben reiche Eltern, nicht mehr hier in Luxemburg wohnen“, zieht der dreifache Vater Bilanz. „Das geht nicht.“ Dafür ist er politisch aktiv geworden, denn in seinen Augen gibt es Lösungen dafür.
Sein Verwandter Alain de Bourcy ist Apotheker. Er ist Präsident des Apothekersyndikats, einer „Patronatsvereinigung“, wie er betont, und während der Pandemie ein gefragter Experte für die Medien. Nicht nur sie kommen regelmäßig auf ihn zu, auch das Gesundheitsministerium schätzt seine Ansichten. Daraus erklärt er sich, dass die CSV auf ihn aufmerksam wurde. Er bekommt seine Parteikarte, ohne wie Jacques Linster vorher jemals politisch aktiv gewesen zu sein, am Tag, nachdem er seine Entscheidung getroffen hat.
Schnelltests, Langzeittherapien, Medikamentenmangel: Es gibt kaum ein Thema, zu dem er in den vergangenen Jahren nicht Stellung bezog. „Da habe ich mir gedacht, es wäre nicht schlecht, wenn ich die Ideen dazu auch politisch einbringen kann“, sagt er. Er steht zu den Werten der CSV und dekliniert sie durch. Das „V“ steht für Volkspartei. „Wir Apotheker bedienen jeden, die Armen, die Reichen, Führungskräfte, RMG-Empfänger und Kunden im Prekariat“, sagt De Bourcy. „Nach 20 Jahren Berufserfahrung hat man Verständnis für diese Menschen.“
Zwei Neulinge und ein Politprofi
Das „S“ für sozial hat er damit auch gleich abgehakt. Beim „C“ für christlich wird es schwieriger. Ein strenggläubiger Christ sei er nicht, gibt er zu. Mit der Kirche habe er aber kein Problem. Ihn interessiert anderes. „Wenn wir unseren Kindern und der Gesellschaft den christlichen Wertekanon vermitteln, liegen wir nicht so falsch“, sagt er und bekennt sich gleichzeitig zum bürgerlichen Lager. „Die Ideen im Wahlprogramm der CSV decken sich schon länger mit meinen“, sagt er.
Lou Linster ist der einzige „Politprofi“ am Tisch. Für den frisch gebackenen DP-Bürgermeister der rund 2.800 Einwohner zählenden Gemeinde Leudelingen steht politisches Engagement außer Frage. Mitglied in Schüler- und Vereinskomitees, Studentenvertreter, seit 2014 Mitglied der DP, Gemeinderat seit 2017, jetzt Bürgermeister: Er will mitreden und -gestalten. Mit „Zesumme fir Leideleng“, einer Liste von neun Kandidaten, gewinnt er die letzten Kommunalwahlen im Juni.
Die neuen Gemeindräte prägen seitdem die politische Kultur in der Gemeinde. „Congé politique“ ist für den „Ingénieur-conseil“ im Bereich Haustechnik ein Thema. Obwohl Leudelingen noch Majorzgemeinde ist, könnte er locker 50 Stunden die Woche im Rathaus verbringen, findet er. Jetzt tritt er zusätzlich bei den Nationalwahlen für die DP im Süden an. Warum? Was sich nach Doppelbelastung anhört, ist bei ihm keine.
Gute Diskussionskultur
„Viele Sachthemen auf Gemeindeniveau kann man nur auf nationaler Ebene lösen“, sagt er. Wenn er darüber nachdenkt, was das alles betrifft, fallen ihm Mobilität und die Schnelltram, die Gemeindefinanzreform oder Klimapolitik und „Logement“ ein. „Man will als Gemeinde ganz viel machen, wird aber gebremst, weil es staatliche Kompetenzen sind“, sagt er. Als DP-Kandidat hat er es im Süden nicht leicht, könnte man meinen. Der Süden gilt als Revier der Sozialisten und ist damit traditionell „rot“.
Das löst belustigtes Gehüstel und Räuspern am Tisch aus und die Ergänzung „und schwarz“, die prompt fällt. Esch/Alzette, die zweitgrößte Stadt im Land, ist die Referenz. Und Lou Linster gibt sich nicht so leicht geschlagen. „Mit drei Schöffen und einem Bürgermeister auf der Liste für den Süden wollen wir einen vierten Sitz für den Bezirk hinzugewinnen“, sagt er. Die letzten Wahlen auf Gemeindeebene sind für ihn ein Gradmesser.
„Die Ergebnisse geben uns ja recht“, sagt er. „Bei den Kommunalwahlen hat die DP im Süden in ganz vielen Gemeinden zugelegt“, sagt er. Hauen sie sich zu dritt nicht die Köpfe ein, verbal natürlich, wenn sie zusammen an einem Tisch sitzen? „Wir sind zivilisiert und können miteinander diskutieren“, sagt der Älteste in der Runde, Jacques Linster. Das tun die drei. Sie machen es respektvoll – trotz unterschiedlicher Auffassungen.
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