Rotes Kreuz / „Du darfst jetzt wieder Kind sein“: Die Maison de l’adoption begleitet Eltern und Kinder
Die Vorstellung „endlich sind wir eine Familie“ klingt schön. Und sie ist romantisch. Manchmal zu romantisch, um sich zu erfüllen. Bei einer Adoption sind die Erwartungshaltungen der Eltern und die Bedürfnisse der Kinder ganz verschieden. Dafür sensibilisiert die „Maison de l’adoption“ des Luxemburger Roten Kreuzes. Im Fokus steht eine sichere Bindung zu den traumatisierten Kindern. Adoptionen werden von diesem Dienst nicht vermittelt.
Was Laien freut, deuten erfahrene Psychologen ganz anders. „Wenn ein Kind gleich auf einen zugelaufen kommt, obwohl man fremd ist und sogar noch anders aussieht, ist es im Überlebensmodus”, sagt Sarah Kieffer (36). Die Psychologin und Psychotherapeutin arbeitet seit 2017 bei der „Maison de l’adoption“, die Eltern und Adoptivkinder begleitet.
Szenen wie diese ereignen sich oft bei der ersten Begegnung mit dem Adoptivkind. Was nach Freude, dass es endlich jemanden gibt, der sich um sie kümmert, aussieht, ist ein Warnzeichen. Diese Kinder haben aus Mangel an Bezugspersonen gelernt, sich an den Erstbesten zu halten. Das sind die „neuen” Eltern, der Busfahrer, der Taxifahrer und anschließend vielleicht sogar die Stewardess auf dem Weg ins neue Zuhause.
„Es ist dann unsere Arbeit, die neuen Eltern dabei zu begleiten, den kindlichen Fokus auf sich selbst zu lenken und Bindungsperson des Kindes zu werden”, sagt Psychotherapeutin Kieffer. Eine Adoption ist eine schwerwiegende Lebensentscheidung, denn beide Seiten haben einen Leidensweg hinter sich. Jeder auf seine Weise. Die Kinder sind geprägt von der Erfahrung, dass die erste und wichtigste Beziehung in ihrem Leben, die zur leiblichen Mutter, gescheitert ist.
Anschließend ist dort, wo sie ihre erste Lebensphase verbringen, kein Platz, um sie ihren Bedürfnissen entsprechend zu betreuen. „Krankenhäuser oder Kinderheime sind nicht dafür ausgestattet, die Mütter und Väter zu ersetzen”, bestätigt Kieffer. Diese Kinder erleben ihre ersten Lebensjahre mit wechselnden Betreuungspersonen und wachsen in unsicheren emotionalen Verhältnissen heran.
Ein Fragezeichen hinter der Biografie
Neben diesem Trauma steht die Tatsache, dass hinter den kindlichen Biografien fast immer ein großes Fragezeichen steht. Adoptionswillige Eltern ihrerseits haben häufig zuvor alles probiert, um leibliche Kinder zu bekommen. Oft jahrelang. Mit einer Adoption glauben sie sich näher an der Aussicht, endlich eine Familie zu gründen. Ihr Angebot ist „Du darfst jetzt wieder Kind sein“.
Ein Gefühl, das diese Kinder oft gar nicht kennen, weil eine frühe Autonomie für sie Überlebensstrategie ist. Deshalb bietet die „Maison de l’adoption“ mit den Sensibilisierungsveranstaltungen, die vor einer Adoption verpflichtend sind, eine Plattform, sich zu hinterfragen. Dabei sind Adoptiveltern mit Fragen wie „können wir mit diesen Vorbelastungen umgehen und die kindlichen Bedürfnisse auffangen?“ konfrontiert.
Viele Adoptionswillige springen ab
„Dieser Prozess kann schmerzhaft sein“, sagt Kieffer. Die acht Mitarbeiter der Anlaufstelle machen die Erfahrung, dass viele Adoptionswillige danach abspringen. Trotzdem ist der Wunsch, zu adoptieren, gleichbleibend hoch. Das Luxemburger Rote Kreuz ist eine von drei Organisationen im Land, die Kinder zur Adoption nach Luxemburg vermitteln. 2021 gab es 21 Anfragen, 2020 aufgrund der Pandemie nur 14.
Das geht aus dem „Rapport d’activité“ 2021 der Hilfsorganisation hervor. Bei einer Adoption kommt noch etwas anderes hinzu. Die meisten Kinder haben ein bestimmtes Alter, bevor sie zu ihren Adoptiveltern kommen. Das bestätigt das „Ministère de l’éducation nationale, de l’enfance et de la jeunesse“ und gibt das Durchschnittsalter der Kinder aus dem Ausland mit zwei bis drei Jahren an. In den seltensten Fällen gelingt es, Neugeborene zu vermitteln. Nur in Luxemburg geborene Kinder werden schon im Babyalter vermittelt.
Außerdem beträgt die Wartezeit nach Angaben der Abteilung im Durchschnitt fünf Jahre für Adoptionen von Neugeborenen in Luxemburg. Diese Zahl bestätigt das MEN. Experten bezeichnen das als „Mammutschwangerschaft“. Das betrifft den Beginn der Beziehung zwischen Eltern und Adoptivkindern. „Crèche“, Grundschule, weiterführende Schule und Pubertät sind bei den Adoptivkindern weitere Einschnitte, bei denen die Hilfe der „Maison de l’adoption“ in Anspruch genommen wird. Auffallend ist, dass Adoptiveltern den Dienst heute verstärkt schon sehr früh kontaktieren und nicht warten, bis es eventuell zu spät ist. „Viele wissen, dass sie sehr früh mit vergleichsweise wenig viel erreichen können”, sagt Kieffer.
Die „Maison de l’adoption“ des Roten Kreuzes
Seit 2007 gibt es die „Maison de l’adoption“ mit inzwischen acht Mitarbeitern. Abgesehen von administrativen Prozeduren gehören für adoptionswillige Eltern eine obligatorische Informationsveranstaltung beim Familienministerium und drei Sensibilisierungsveranstaltungen bei der „Maison de l’adoption“ zum Parcours. Diese sind obligatorisch. Die Beratung und Begleitung nach der Adoption ist für Eltern und Kinder, Jugendliche und Erwachsene freiwillig und kostenfrei. Der Dienst bietet außerdem psychomotorische Angebote, bei denen spielerisch und über Körpererfahrung an der Bindungsfähigkeit der Beteiligten gearbeitet wird.
Adoption in Luxemburg
Es gibt drei Organisationen, die adoptionswilligen Eltern zur Verfügung stehen. Die „Maison de l’adoption“ arbeitet mit adoptierten Kindern sowie mit deren Eltern. Der Service Adoption als Adoptionsvermittlungsstelle des Luxemburger Roten Kreuzes begleitet die Antragsteller während der gesamten Adoptionsprozedur und vermittelt – nach einer Bewerberprüfung auf Eignung als zukünftige Adoptiveltern – Kinder aus Bulgarien, Burkina Faso, Portugal, der Slowakei sowie aus Luxemburg. Die „Naledi Asbl Luxemburg“ vermittelt Kinder aus Südafrika, die „Amicale internationale d’aide à l’enfance“ (AIAE) welche aus Vietnam, Südkorea und Indien. Bei allen genannten Anlaufstellen werden adoptionswillige Erwachsene auf ihre Eignung hin geprüft. Sie befassen sich auch mit der Nachbetreuung und führen Betreuungsbesuche durch.
Nach Angaben des „Ministère de l’éducation nationale, de l’enfance et de la jeunesse“ gab es bei allen drei Organisationen insgesamt 32 Anfragen im Jahr 2019, 50 waren es im Jahr 2020. 2019 kamen schließlich 15 Kinder nach Luxemburg. 2020 waren es immerhin noch 12. Die meisten der in Luxemburg aus dem Ausland adoptierten Kinder kommen aus Südafrika. Im Jahr 2020 konnte kein in Luxemburg geborenes Kind zur Adoption vermittelt werden, ein Jahr später waren es sechs.
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Es bedarf Jahre bis eine Adoption erfolgt. Die meiste Zeit wird benötigt die Beamtenpapiere zu erhalten