/ Düdelingen: Autorin und Aktivistin Nira Yuval-Davis spricht bei Internationaler Konferenz zur Migration
Derzeit ist in Luxemburg eine internationale Konferenz zur Migration. Eröffnungsrednerin war die Autorin und Aktivistin Nira Yuval-Davis. In ihrem Vortrag sprach sie über den Begriff Nation und über die Mechanismen, die dafür sorgen, dass jemand dazugehört oder nicht.
„Wenn ich etwas sage, was keinen Sinn ergibt, dann unterbrechen Sie mich. Wenn Sie nicht mit mir einverstanden sind, unterbrechen Sie mich nicht!“ Nira Yuval-Davis ist gestern Morgen die erste Rednerin der 19. internationalen Migrationskonferenz, die zurzeit in Luxemburg abgehalten wird. Es ist noch relativ früh, aber bereits brühend heiß. Für die Professorin ist das kein Grund, nicht ins kalte Wasser zu springen. Sie spricht über Nation, Zugehörigkeit, Hegemonien und neoliberalen Globalismus. Ihre These: Der Begriff der Nation ist veränderbar. Wer zur Nation gehört und wer nicht, ist nicht in Stein gemeißelt. Die Regeln, nach denen das entschieden wird, verändern sich. Heute kann eine Nation multikulturell sein und sich darüber definieren – und trotzdem Menschen an der Grenze abweisen.
Yuval-Davis legt großen Wert darauf, dass zwischen dem Nationalstaat und der Nation unterschieden wird. Die Nation ist eine Idee in den Köpfen der Menschen, die dafür verantwortlich ist, dass sie sich selber als eine Gemeinschaft sehen – eine „imagined community“. Genauso wie diese Idee verschiedene Formen annehmen kann, kann dies auch Nationalismus. Wichtig dabei ist, dass es Ausschlusskriterien gibt, die den Zugang zu Ressourcen begrenzen.
Multikulturell mit geschlossenen Grenzen
Dabei waren Nationen nie homogen. Die Mitglieder einer Nation waren schon immer sehr durchgemischt. Sie unterschieden sich in Alter, Geschlecht, Beruf, Ausbildung usw. Aber es wurden Regeln gesetzt, wer zur Nation gehört und wer ausgeschlossen wird – zum Beispiel aufgrund von Hautfarbe, Herkunft oder Religion. Yuval-Davis hält diese Begriffe, an denen sich das Konzept der Nation definiert, allerdings nicht für arbiträr. Vielmehr seien sie historisch gewachsen und könnten sich so auch verändern. Heute können Gesellschaften multikulturell sein und trotzdem nach geschlossenen Grenzen rufen.
Immer wieder redet Yuval-Davis über Großbritannien. An sich eine multikulturelle Gesellschaft. Sie spricht auch von der Brexit-Kampagne und ihrem berühmt-berüchtigten Poster, auf dem eine Schlange von Flüchtlingen abgebildet ist, zusammen mit dem Satz „We must break free of the EU and take back control of our borders“.
In den letzten Jahren sind Grenzen wieder in den Mittelpunkt des politischen und sozialen Geschehens gerückt, so Yuval-Davis. Sie haben heute wieder eine Bedeutung, wie sie es seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr hatten. Das führt dazu, dass Begriffe wie Staatsbürgerschaft, Identität und Zugehörigkeit eine neue Bedeutung annehmen, argumentiert sie in ihrem neuen Buch „Bordering“. Dass die Staatsgrenze wieder in den Mittelpunkt gerückt ist, führt Yuval-Davis auf „die politischen Projekte der Führung und des Dazugehörens“ zurück. Beide Projekte seien eine Konsequenz und eine Reaktion auf die neoliberale Globalisierung. Dass die Grenzen wieder in den Mittelpunkt gerückt sind, habe wiederum tiefgreifende Folgen für die globale Ungleichheit gehabt.
Machtverhältnisse verändern
Grenzen werden heute als ein Symbol des Widerstandes gegen die neoliberale Globalisierung verstanden, sagt Yuval-Davis. In Donald Trumps Wahlkampf spielte eine Mauer an der Grenze zu Mexiko eine Schlüsselrolle. Trump selbst sagte: „Wir lehnen die Ideologie der Globalisierung ab und akzeptieren die Doktrin des Patriotismus.“ Dabei geht es einerseits um Flüchtlinge, aber andererseits auch um Einfuhrzölle, Handelsabkommen und Protektionismus gegen Billigimporte.
Die neoliberale Globalisierung ist sehr flexibel, erklärt Yuval-Davis gegenüber dem Tageblatt. Sie habe im Süden angefangen. Im Post-Kolonialzeitalter wurden die Länder dort dazu gebracht, Handelsschranken abzubauen, und verloren so die Möglichkeit, sich zu schützen. Dann zog die neoliberale Globalisierung in den Norden, wo die Staaten anfingen, Schlüsselaufgaben des öffentlichen Sektors zu privatisieren und so die Kontrolle darüber zu verlieren. Schließlich kann der Staat die Bürger nicht mehr adäquat vertreten und die Bevölkerung werde enttäuscht. Auch das neoliberale Narrativ, dass die Menschen selber für ihr wirtschaftliches Schicksal verantwortlich sind, es also ihre eigene Schuld ist, wenn es ihnen schlecht geht, ist laut Yuval-Davis am Bröckeln.
Großbritannien und die Immigration
Bei ihren Bemühungen, die Grenzen wiederherzustellen, sind Staaten zu einem hohen Maße auf Technologie angewiesen, schreiben Yuval-Davis und ihre Co-Autoren in ihrem Buch. Gestern beschrieb die Professorin eine weitere Facette dieser Grenzen. Im Vereinigten Königreich greift der Staat mittlerweile auf Bürger zurück, um die Grenze zu sichern – mit dem Immigration Act von 2016.
Der britischen Regierung zufolge soll dieses Gesetz helfen, „Immigrations-Gesetze anzuwenden und illegale Migranten zu entfernen“. Das Gesetz soll nach Darstellung der Regierung verhindern, dass „illegale Immigranten“ Zugang zum Immobilienmarkt haben, einen Führerschein machen oder ein Konto eröffnen können. Yuval-Davis beschreibt, dass nun zum Beispiel Lehrer und Fahrlehrer sicherstellen müssen, dass ihre Schüler sich im Land aufhalten dürfen, wenn nicht, können sie bestraft werden. The Guardian berichtete zum Beispiel, dass Universitäten ausländische Studierende aufgrund des Gesetzes heute besonders streng kontrollieren. Im Vereinigten Königreich ist es übrigens eine Straftat, Menschen in Sachen Immigration zu beraten, ohne dafür eine offizielle Zulassung der Immigrationsbehörde zu haben.
Keine konkrete Lösung
Der Slogan „Refugees Welcome“, wie man ihn oft auf Stickern, Plakaten und T-Shirts linker sozialer Bewegungen sieht, sei ein Mantra, um denen zu widersprechen, die sagen, Flüchtlinge hätten keinen Platz bei uns, erklärt Yuval-Davis.
Die Autorin lässt das Publikum in Düdelingen ohne eine konkrete Lösung zurück. „Wir müssen Hebel finden, um die Machtverhältnisse zu verändern.“ Der neoliberale Globalismus mache das allerdings nicht einfach.
Populismus
Der Begriff Populismus sollte nicht auf nationalistische Politiker angewandt werden.
Nira Yuval-Davis ist gegen die Verwendung des Begriffes Populismus bei nationalistischen Politikern. Der Begriff suggeriere, dass diese Menschen nahe an der Bevölkerung seien. Im Umkehrschluss bedeute es, dass Akademiker nicht nahe an der Bevölkerung seien.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos