Wohnen in Esch / Durch die WG-feindliche Politik der Stadt verlieren Menschen ihre Lebensgrundlage
Nachdem es in den Sommerferien still um die WG-Problematik in Esch geworden war, nahmen umso mehr Menschen an der Demo am 26. September teil. Am 10. Oktober ist ein weiterer Protest in der Hauptstadt geplant. Das komplizierte Dossier ist längst nicht abgeschlossen. Bürgermeister Georges Mischo sagt derweil: „Mir si jo net ënner Zäitdrock“.
Nicole Hostert ist 53 Jahre alt und fürchtet um ihre Existenz. Wenn sie sich bis zum Ende des Monats nicht bei der Escher Gemeinde anmelden kann, landet sie auf der Straße. Aktuell steht sie – wie viele Escher, die in einer Wohngemeinschaft leben – auf einer Warteliste. Ohne festen Wohnsitz wurde ihr das Einkommen zur sozialen Eingliederung, genannt Revis, gestrichen. Sie kann ihre Miete nicht zahlen und ist nicht mehr krankenversichert. Dabei leidet Nicole Hostert unter einer Reihe schwerer körperlicher Beschwerden, für die sie eigentlich Medikamente braucht, deren Behandlung aber aktuell ausbleibt. Es ist ein Teufelskreis.
Hostert zählt zu den Menschen, die unter der strengen WG-Politik der Escher Gemeinde leiden. Am 1. August war sie voller Hoffnung in die Hauptstadt des Südens gezogen. Davor hat sie in Wintger über einem Café gewohnt. „Dort wurden die Mieter ausgenutzt“, gibt sie zu. In ihrer jetzigen Wohnung sei das anders. Im Haus in Esch wohnen vier Personen, die sich gegenseitig kennen und eine Küche sowie ein Bad teilen. Die Vermieterin versuche seit Wochen, einen gemeinsamen Mietvertrag aufzusetzen, komme in der Gemeinde damit aber nicht durch. Die letzte Miete hat Nicole Hostert bereits mit der Kaution bezahlt. Ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.
Finanzieller Druck
Jean-Paul Diaz hat dem Zeit- und vor allem dem damit verbundenen finanziellen Druck nicht mehr standhalten können. Der Eigentümer eines Hauses in der Brillstraße konnte seine neuen Mieter nicht anmelden. Damit blieb ein Zimmer dauerhaft leer. „Ich konnte die laufenden Kosten nicht mehr decken und musste handeln“, sagt Diaz, der seinen anderen Mietern schweren Herzens den Vertrag kündigte, um eine Familie im Haus unterzubringen.
Als Diaz nach Ende des Lockdowns versucht, eine Person bei der Gemeinde anzumelden, bekommt er eine klare Antwort: In einem Haus dürften laut dem neuen „Plan d’aménagement général“ (PAG) nur noch Menschen wohnen, die zu einer Familie gehören. „Von der Möglichkeit eines gemeinsamen Mietvertrages war nie die Rede“, sagt Diaz gegenüber dem Tageblatt. Als der Schöffenrat Ende Juni nicht müde wurde zu betonen, dass einer Wohngemeinschaft mit gemeinsamem Mietvertrag nichts im Wege stünde, fragte Jean-Paul Diaz mehrmals nach. „Auf meine E-Mails bekam ich drei Monate lang keine Antwort. Die Gespräche verliefen immer nur per Telefon“, sagt der Eigentümer, der dahinter die Absicht der Gemeinde vermutet, keine schriftlichen Spuren zu hinterlassen.
Nur ein Vorwand?
In den Telefongesprächen wurde ihm immer wieder gesagt, es habe keinen Sinn, einen gemeinsamen Mietvertrag zu aufzusetzen. Es gebe nun einmal keine Anmeldung, wenn die Bewohner nicht einer Familie angehören. Als Stadtarchitekt Luc Everling ihn am 21. September per E-Mail darüber informiert, dass ein gemeinsamer Mietvertrag eine Option ist, ist es schon zu spät. Jean-Paul Diaz musste die Wohngemeinschaft bereits auflösen. Dass der Schöffenrat sich jetzt auf den gemeinsamen Mietvertrag beruft, um zu behaupten, er sei nie gegen Wohngemeinschaften vorgegangen, hält Diaz für einen Vorwand.
Der Vermieter versteht, dass die Gemeinde gegen unsichere und unsaubere Wohnverhältnisse in sogenannten Cafézimmern vorgehen muss. Sein Haus respektiere sämtliche Gesundheitsregeln, jedem Mieter stünden genügend Quadratmeter zur Verfügung und die gemeinsamen Räume würden wöchentlich von einer Reinigungskraft sauber gehalten. „Immer wenn es ein Problem gab, habe ich mich selbst vor Ort begeben und mich darum gekümmert“, sagt Diaz, der das Haus seit zwei Jahren vermietet. Er wolle nicht akzeptieren, mit Schlafhändlern in eine Schublade gesteckt zu werden, nur weil er einzelne Zimmer vermietet. „Ich habe die Gemeinde mehrmals darum gebeten, sich mein Haus anzusehen, um die Sicherheitsstandards zu prüfen, aber sie sind nie gekommen“, sagt er. Diaz fühlt sich beschuldigt, seine Mieter auszunutzen, und von den Generalisierungen der Gemeinde beleidigt. „Das wahre Opfer bin aber nicht ich“, sagt der Eigentümer, „ich vermiete mein Haus inzwischen an eine Familie und kann meine Rechnungen weiterbezahlen. Es sind die Mieter, die von der Gemeinde bestraft werden.“
Das wahre Opfer bin nicht ich als Eigentümer. Ich vermiete mein Haus inzwischen an eine Familie und kann meine Rechnungen weiterbezahlen. Es sind die Mieter, die von der Gemeinde bestraft werden.Vermieter in Esch
Die Abstimmung des PAG war vor den Sommerferien wegen der Unstimmigkeit bezüglich der Punkte Wohn- und Mietgemeinschaften in den Herbst verlegt worden. Bürgermeister Georges Mischo (CSV) hat es unterdessen nicht eilig: „Mir si jo net ënner Zäitdrock“, sagt er gegenüber dem Tageblatt. Die Parteien sowie der unabhängige Rat Dan Codello hätten die Punkte, die sie noch einmal diskutieren wollen, schriftlich eingereicht. Diese Schreiben lägen inzwischen einem Rechtsanwalt vor. Er soll prüfen, was überhaupt noch diskutabel sei und was nicht. Je nach Rechtsgutachten bestehe also die Möglichkeit, dass der Punkt nicht mehr im Gemeinderat diskutiert würde.
Ich finde es sehr schlimm, dass es den Eigentümern egal ist, wenn Menschen ihre Rechte verlieren, weil sie sich nicht an das Gesetz haltenBürgermeister der Stadt Esch
Den Vorwurf, den gemeinsamen Mietvertrag als Vorwand zu nutzen, lässt Mischo nicht gelten. „Diese Aussage macht mich extrem wütend“, sagt er. Diese Option habe es von Anfang an gegeben. Dass der Absatz bezüglich des „lien familial“ wahrscheinlich aus dem PAG verschwindet, darauf habe man sich in interfraktionellen Sitzungen geeinigt.
Georges Mischo zeigte sich schockiert darüber, dass behauptet würde, er habe davon gesprochen, Esch zu „botzen“. „Das ist eine sehr schlimme Unterstellung. Ich habe so etwas nie gesagt und das würde ich auch nie“, so Mischo. Auf die Aussage, dass die WG-Politik der Stadt die Mieter bekämpft, anstatt den Eigentümern das Handwerk zu legen, gab Mischo die Verantwortung an die Eigentümer weiter. Er finde es nicht normal, welche Preise die Eigentümer verlangen. „Ich finde es sehr schlimm, dass es den Eigentümern egal ist, wenn Menschen ihre Rechte verlieren, weil sie sich nicht an das Gesetz halten“, sagt Mischo.
Eigentümerin Laura*, die zwei Einfamilienhäuser in Esch an WGs vermietet, kann inzwischen wenigstens von einem Happy End erzählen. Einen Monat nachdem sie den Plan ihres Hauses bei der Abteilung der Bauaufsicht angefragt, professionell hat aktualisieren lassen und wieder zurückgeschickt hat, konnte sie ihre drei Mieter offiziell anmelden – mit einem gemeinsamen Mietvertrag. Laura steht inzwischen allerdings schon wieder vor der nächsten Hürde. Sie will eine Studentin, die nicht mehr im Wohnheim bleiben konnte, bei sich zu Hause wohnen lassen. „Jetzt muss ich wieder Pläne meines Hauses anfragen und aktualisieren. Ich hoffe, diesmal geht alles schneller“, sagt sie.
A la tête du client
Gary Diderich („déi Lénk“), der sich mit seiner Vereinigung „Life asbl“ für alternative Wohnformen einsetzt, findet es aktuell schwer, den Überblick über die Escher Situation zu behalten. „Ich habe noch immer den Eindruck, dass es keine klare Linie gibt und von Fall zu Fall entschieden wird“, sagt er. „Life asbl“ habe jedenfalls noch immer keine Antwort auf die Anfrage von April bekommen. Damals habe die Vereinigung mit einem eingeschriebenen Brief um ein Treffen mit dem Schöffenrat gebeten.
„Die Regel, dass ein gemeinsamer Mietvertrag nötig ist, um in einer Wohngemeinschaft zusammenzuleben, scheint festzustehen. Auch auf nationalem Niveau sieht es so aus, als ob es in diese Richtung gehen würde“, sagt Diderich. Das findet der Politiker problematisch. Wenn eine Person im Haushalt nämlich Revis beantragt, wird das Gehalt aller Bewohner zusammengezählt. Ist die Summe zu hoch, bekommt der Einzelne kein Revis. „Das finden wir nicht richtig“, sagt Gary Diderich. Das würde im Endeffekt wieder zur Diskussion vom Anfang führen: Dass nur noch Menschen zusammenleben, „déi sech gär hunn“ und sich extrem vertrauen.
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„Not your business who I live with“….? Ech géif awer schonn behaapten, dass dat de „Business“ vun der Gemeng ass. Ierjhendeen muss schliisslech fir e Minimum un Organisatioun suergen an oppasssen, dass net op eemol 20 Leit an engem klengen Eefamilienhäus oder engem 30m2-Studio gemellt sinn. Mer hu schonn ouni dëst genuch Schmuh am Land mat fiktiven Adressen. A spéitestens wann een eng Wunnbescheinegung vun der Gemeng fir Revis, Chômage o.ä. bräuch an da mat Schrecke feststellt, dass d’Co-Locatairen als Member vum selweschten Haushalt mat drop stinn an deenen hire Revenu automatesch matgerechent gëtt, dann ass d’Gejäitz rëm haard.
Die wollen den Menschen sagen, wie sie zu leben haben und der CFL wann sie ihre Schienen reparieren sollen.
Die sind nicht ganz dicht da im Escher Gemeindehaus.
Auweia, d’Gemeng schéngt op Zäit ze spillen, fir dass de Probleem sech vum selwe léist.
„botzen“? Gesot vläit net … An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen (Matthäus 7,16). Dat Bibelzitat misst enger CSV jo geleefeg sinn.
@Fernand
„Die wollen den Menschen sagen, wie sie zu leben haben und der CFL wann sie ihre Schienen reparieren sollen.“
Genau.Wahrscheinlich dürfen auch keine Glasfaserleitungen gelegt werden oder Löcher in der Straße geflickt.
Seid doch froh, so habt ihr wenigstens jemanden dem ihr die Schuld geben könnt, wenn Esch2022 der größte Reinfall seit Menschengedenken wird.
@ De Steierzueler
Anstatt mat den ausbeuteresche Kaffiszëmmeren opzeraumen, geheien se all d’Propriétairen an een Dëppen.
„Am Zweifel onschëlleg“ gëtt bei der Escher Gemeng zu „am Zweifel schëlleg“ verdréint. Wat hält d’Gemeng dovun of, d’Invitatioun vun de Proprietairen unzehuelen a kucken ze goen, ob alles an der Rei ass?
A Locatairen – Escher Bierger – ginn am Stach gelooss, am volle Wëssen, dass et der ginn, déi a Gefor sinn, doduerch op der Strooss landen.
Das Kind mit dem Bade ausschütten, soen se op Däitsch fir esou eng Aktioun.