„Eigentlich müsste ich tot sein“ / Dvora, Ayellet und Laura wurden vor 40 Tagen Opfer des Hamas-Terrors in Israel
Drei Opfer des Hamas-Terrors vom 7. Oktober waren in Luxemburg, um ihre Geschichten zu erzählen. Und doch sind auch Botschaften des Friedens dabei.
Eine Handvoll Polizisten wachen am Donnerstag vor einem Guest House in Belair. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick in dieser gutbetuchten Ecke der Stadt. Auch die Einlasskontrollen sind strenger, als man das in Luxemburg bei Presseterminen gewohnt ist. Das fast schon Surreale daran: Beschützt werden an diesem Abend Menschen, die Opfer eines Terrorangriffs wurden. Und das vor gerade einmal 40 Tagen.
Die israelische Botschaft hat eingeladen. In einem schmalen Raum nehmen die Journalisten auf der einen Seite des Tisches Platz. Gegenüber sitzt die israelische Botschafterin Idit Rosenzweig-Abu, die für Belgien und Luxemburg zuständig ist. Und vor allem sitzen da Dvora Idan, Ayellet Hakim und Laura Blajman. Alle drei sind sie, auf unterschiedliche Weise, Opfer des Terrorangriffs vom 7. Oktober geworden, mit dem die Hamas Israel den Krieg erklärte und bei dem rund 1.200 Menschen starben und 240 weitere in den Gazastreifen verschleppt wurden, Männer und Frauen, Kinder und Greise.
Die 72-jährige Dvora hat auf einem Facebook-Live-Video mit angesehen, wie ihr Sohn verschleppt wird. In dem Film, der im Internet abrufbar ist, sitzt Tzachi in seinem Haus in einem Kibbuz, zusammen mit seiner Frau und seinen jüngsten Kindern, der Bub ist zehn, das Mädchen zwölf Jahre alt. Tzachis Arme sind blutverschmiert. Seine 18-jährige Tochter ist kurz zuvor in seinen Armen gestorben. Ermordet von der Hamas, deren Schergen dieses Video drehten. „Warum habt ihr meine Schwester umgebracht“, weint die Zwölfjährige, „warum, warum, warum?“
Bei der 55 Jahre alten Ayellet sind es die Schwester und ihr Mann, die von der Hamas nach Gaza verschleppt wurden. Die letzte Nachricht, die Ayellet von ihrer Schwester an diesem 7. Oktober erreicht, enthält Anweisungen, was zu tun ist, wenn sie tot ist. „40 Tage ist das her, wir wissen nichts, ich vermisse sie so sehr, bringt sie zurück“, fleht die Frau, die seit Dutzenden Jahren unweit der Grenze zum Gazastreifen lebt. Laura ist in Metz geboren, als sie acht war, zog sie mit ihrer Familie nach Israel. Inzwischen ist sie 35 und versteht nicht, warum sie noch am Leben ist.
Laura war auf dem Nova-Festival, wo die Hamas-Terroristen die jungen Partygänger am frühen Morgen massakrierten. Sie kam mit dem Leben davon und kann sich nicht erklären, warum das so ist, warum ihre Freunde ermordet wurden und sie nicht. „Vielleicht, damit ich davon erzählen kann“, versucht sie so etwas wie einen Sinn in dem Ganzen zu finden.
Bevor Dvora, Ayellet, Laura und ihre Begleitpersonen den Raum betreten, werden Videos von jenem Tag gezeigt. Es ist nur eine auf wenige Minuten gestraffte Version jenes 45-Minuten-Films, den ein israelischer Filmemacher aus den Hunderten Handyvideos und Bodycam-Aufnahmen zusammengeschnitten hat und der vor wenigen Tagen Journalisten in Brüssel, in Jerusalem und in anderen Hauptstädten vorgeführt worden ist.
Nova-Massaker
Musik, Party, Tanzen bis zum Morgengrauen: Was im Süden Israels als ausgelassenes Fest mit Hunderten jungen Feiernden begann, endete am Morgen des 7. Oktober in einem unvorstellbaren Albtraum mit mehr als 270 von Hamas-Terroristen ermordeten Menschen.
Auch in der Kurzfassung sind die Bilder unerträglich. Sie zeigen Hamas-Terroristen, wie sie auf Motorrädern in Israel einfallen. Man sieht verletzte Menschen, die den Terror im Blick und den Tod vor Augen haben. Man sieht verkohlte Leichen, Zivilisten, die kaltblütig exekutiert werden. Man sieht regungslose, mordlüsterne Männer, die einem auf dem Boden liegenden, dem Aussehen nach aus Asien stammendem Mann, wohl ein Gastarbeiter, mit einer Harke den Kopf abtrennen. Fünf, sechs Hiebe braucht es. „Allahu akbar“-Rufe und Maschinengewehrsalven sind der Sound im Hintergrund. Man sieht einen wenige Wochen alten toten Säugling, blutüberströmt, sein Hinterkopf ist aufgeplatzt.
Alles Bilder, die einen nicht mehr loslassen. Und die doch sehen sollte, wer verstehen will. Dann erzählen die drei ihre Geschichten. Sie erzählen ihren 7. Oktober. Ihre Stimmen sind zittrig, ihre Gesichter gezeichnet vom Horror dieses Tages, der ihnen mitunter wie ein Albtraum scheint. Während Dvora, Ayellet und Laura erzählen, erwischen sie sich immer wieder dabei, wie sie selbst fassungslos bleiben, fast ungläubig wirken, wenn sie ihre eigenen Worte hören, die ihre Geschichten den Journalisten in Luxemburg begreiflich machen sollen. Die das Unbegreifliche begreiflich machen sollen. Hier sind ihre Geschichten, stark gekürzt.
Dvora Idan, Sohn verschleppt, 18-jährige Enkelin ermordet
Am frühen Morgen des 7. Oktober ruft eine Freundin Dvora zu ihrem Handy. Die 72-jährige Großmutter ist in ihrem Haus nahe Tel Aviv. Auf dem Schirm des Telefons läuft ein Facebook-Live-Video. Es zeigt ihren Sohn, dessen Frau und zwei der vier Enkelkinder, einen zehnjährigen Jungen und ein zwölfjähriges Mädchen.
Dvora sieht ihren Sohn Tzachi und erkennt ihn nicht wieder, er wirkt völlig verstört. Alle kauern am Boden ihres Wohnzimmers, mit Maschinengewehren bewaffnete Hamas-Männer um sie herum. Tzachis Hände und seine Arme sind bis zu den Ellenbogen blutverschmiert, sein Blick ist leer, er wirkt apathisch. Erst später begreift Dvora, dass es das Blut ihrer Enkelin ist, das an ihrem Sohn klebt. Die 18-jährige Mayann wurde kurz zuvor vor den Augen der Familie ermordet. Sie war erst drei Tage lang volljährig. Ihre jüngeren Geschwister starren immer wieder an die Decke. „Da hingen noch die Ballons von der Geburtstagsfeier“, sagt Dvora.
Das ist kein Krieg zwischen Israel und den Palästinensern
Das Video zeigt die Zwölfjährige, wie sie die Terroristen anbrüllt: „Was stimmt nicht mit euch“, ruft sie, „warum habt ihr meine Schwester ermordet?“ Dvora erzählt weiter, obwohl „sie keine Worte dafür hat, weil es jenseits von allem ist, wofür es die richtigen Worte gibt“. Von ihrem Sohn Tzachi hat sie jetzt 40 Tage nichts gehört. Die Hamas-Terroristen haben ihn in den Gazastreifen verschleppt. Die Schwiegertochter und ihre Enkel aus dem Video sind in Sicherheit, sagt Dvora: „Aber bitte, ich bitte die ganze Welt, bringt meinen Sohn Tzachi zurück – und das schnell, die Zeit arbeitet nicht für uns.“
Was seit dem 7. Oktober geschehe, sagt Dvora, „ist kein Krieg zwischen Israel und den Palästinensern und auch keiner zwischen Judentum und Islam, sondern ein Krieg zwischen der Menschlichkeit und dem Bösen“. Wie Tzachi seien auch die Palästinenser im Gazastreifen Geiseln der Hamas. „Wenn dieser Terror nicht besiegt wird, wird er die Welt überrollen“, sagt Dvora, „wir müssen ihn jetzt stoppen.“
Ayellet Hakim, Schwester und Schwager von der Hamas entführt
Während sie erzählt, bricht Ayellet Hakim immer wieder in Tränen aus. Sie lebt seit Dutzenden Jahren nahe dem Gazastreifen. Die 55-Jährige schaffte es am 7. Oktober zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern, sich in einem Bunker zu verschanzen, während die Hamas vor ihrer Tür, in ihrem Kibbuz, ein Gemetzel anrichtete. 17 Stunden harrte die Familie dort aus, bis sie gerettet wurde.
Ayellets Schwester und ihr Schwager, Raz und Ben Ami, aber wurden in den Gazastreifen verschleppt. In ihrer letzten Nachricht an Ayellet erklärte ihre Schwester ihr, was zu tun sei, wenn sie tot ist. Seit 40 Tagen gibt es kein Lebenszeichen von Raz und Ben.
Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen, bringt sie doch bitte einfach wieder lebend zurück
„Am Anfang, als der Alarm losging, dachte ich, es sei wie immer – wir gehen zehn Minuten in unseren Sicherheitsraum und dann ist alles wieder gut – aber dieses Mal war es anders, ganz anders.“ Die Familie Hakim hörte Schüsse, Explosionen und bekam dann Nachrichten aufs Handy, dass Terroristen im Kibbuz sind, von Haus zu Haus gehen, morden und Feuer legen.
„Ich fühlte mich so hilflos, ich hatte Todesängste, mehrmals rüttelte es an unserer Tür, ich dachte, das wäre unser Ende.“ Seit diesem 7. Oktober bangt Ayellet um das Schicksal ihrer Schwester. „Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen, bringt sie doch bitte einfach wieder lebend zurück“, fleht die Frau, „sie fehlt mir unendlich.“
Laura Blajman, in Metz geboren, überlebte das Festival-Massaker
Laura Blajman hat ihren Mann mitgebracht. Aber nur sie spricht. Er stützt sie dabei, blickt jedoch stets nach unten. Die beiden waren auf der Nova-Party, haben geholfen, das Festival zu organisieren. Um 6.30 Uhr in der Früh sei es mit Raketenbeschuss losgegangen. Nichts Ungewöhnliches in der Gegend, sagt Laura. Aber dann habe der Beschuss nicht mehr aufgehört und bald habe man auch Salven aus Maschinengewehren gehört. Da sei allen klar geworden, was gerade geschieht: ein Terrorangriff auf das Festival.
Was tun? Weglaufen habe keinen Sinn gemacht. Rund um das Gelände sind kilometerweit Felder. „Unmöglich, sich dort irgendwo zu verstecken“, sagt Laura. Dann ging alles schnell. Die Schüsse kamen immer näher. Also flüchteten sich Laura, ihr Mann und fünf Freunde in ihren Wohnwagen. Nach 30 Sekunden hätten sie die ersten „Allahu akbar“-Rufe gehört, erzählt Laura. „Dann habe ich Menschen schreien gehört und Schüsse, ich habe gehört, wie Körper auf den Boden fallen – ich habe während 40 Minuten einem Massaker zugehört, ich wusste bis dahin nicht, dass das geht, dass man das hören kann.“ Dazwischen immer wieder der Ruf auf Arabisch „taeal, taeal!“, „komm, komm!“, jemand läuft weg, Schüsse, wieder ein Körper, der leblos auf den Boden fällt.
Eines Tages werden wir Frieden haben
Kurz vor Mittag die ersten beiden Schüsse auf den Wohnwagen, direkt danach ein Hamas-Terrorist, der durch ein Fenster hineinblickt und ruft: „Schnell, kommt her, hier sind Lebende!“ Laura erzählt, dass die Terroristen erst den Wohnwagen wegfahren wollten, wohl in den Gazastreifen, ihnen das aber misslang und sie dann versuchten, ihn in Brand zu stecken, was ihnen wieder misslang. Innen drin Laura, ihr Mann und fünf Freunde, alle in Todesangst erstarrt. „Mein Mann und ich haben uns in die Augen geschaut und uns nur mit unseren Blicken voneinander verabschiedet“, erzählt Laura, „ich wollte jetzt nur noch sterben, am besten mit einer Kugel erledigt sein, nicht geschändet und vergewaltigt werden, einfach nur tot sein – Angst hatte ich da keine mehr, ich betete, dass ich schnell sterben würde.“
Gerettet wurden die sieben jungen Israelis schließlich vom Militär, das gegen 14.00 Uhr eintraf. „Seit 40 Tagen versuche ich das alles zu verstehen“, sagt Laura, „seit 40 Tagen begraben wir Freundinnen und Freunde.“ Bei einigen habe es drei Wochen gedauert, um die Leichen – oder was von ihnen blieb – zu identifizieren: „Wir haben Zähne und Knochen begraben.“
Ähnlich wie die beiden anderen sagt auch Laura: „Wir wurden nicht von Palästinensern angegriffen, sondern von Terroristen, von der Hamas.“ Bis heute könne sie nicht verstehen, warum sie lebe und so viele andere nicht mehr. „Vielleicht, damit ich davon erzählen kann“, sagt Laura mehr zu sich selbst als an die Journalisten gerichtet. Alles sei so fürchterlich, so unbegreiflich. Doch von einem sei sie überzeugt: „Wenn die Hamas weg ist, werden wir Frieden mit unseren Nachbarn haben – eines Tages werden wir Frieden haben.“
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