Medienkolumne / Dystopie 4.0: Gedankenfunken zur Medienzukunft
Zeitungen und journalistische Information wird es automatisch immer geben. Oder etwa nicht? Natürlich nicht, denn Medien existieren nicht per Naturgesetz. Sie wurden von Menschen erschaffen und können, wie alles, auch wieder von Menschen zerstört werden.
Im Jahr 1605 erschien in Straßburg die allererste Zeitung weltweit, herausgegeben von Johann Carolus unter dem Titel „Relation aller Fürnemmen und gedenckwürdigen Historien“. Die Erfindung der Druckerei und die Periodizität, also das regelmäßige, öffentliche Verbreiten von Nachrichtenblättern machten es möglich. Die Geburtsstunde der Presse.
Doch mit dem rasanten technologischen Fortschritt im 20. und 21. Jahrhundert, der Digitalisierung, der Automatisierung und fortan der generativen künstlichen Intelligenz (KI) wurden und werden weiterhin die Lesegewohnheiten revolutioniert. Hinzu kommt ein erheblicher Abzug der Werbekunden aus den Medien hin zu den großen, internationalen Technologiegiganten (Suchseiten und soziale Medien). Seit Jahren investieren und innovieren Zeitungsverleger, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und die Erschütterung ihrer Geschäftsmodelle zu kompensieren.
Doch die Risiken und Bedrohungen sind real und gewichtig. Wird es 2050 noch ernsthafte Presseunternehmen geben? Wird es noch tagtägliche, breit gefächerte Information mit journalistischer Qualität geben?
Es mag unvorstellbar und hochgradig übertrieben scheinen, solche Fragen zu stellen. Der Blick über den Atlantik allerdings lehrt uns, vorsichtig mit der vermeintlichen Gewissheit umzugehen, dass Medien ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft sind. In den USA verschwinden 2,5 Zeitungen pro Woche. Seit 2004 haben die Vereinigten Staaten fast 1.800 Zeitungen verloren, darunter mehr als 60 Tageszeitungen und 1.700 Wochenzeitungen.
Nachrichtenwüste und Demokratieverlust
Mehr als 200 Bezirke in den USA (die sogenannten „counties“) gelten als Nachrichtenwüsten. Mehr als die Hälfte aller US-Bezirke haben jetzt nur noch eingeschränkten Zugang zu zuverlässigen lokalen Nachrichten. Das haben Forscher der „Medill School of Journalism“ herausgefunden.
Wen betrifft das Sterben von Zeitungen, außer die Medienschaffenden selbst? Ganz einfach. Jeden und jede. Und zwar erheblich. Die Abwesenheit der Medien führt zu signifikanten Schäden. Die Wirtschaft, das politische System und die Demokratie erleiden die negativen Folgen der Medienkrise.
Zugegeben, Journalistinnen und Journalisten sind nicht perfekt. Sie sind Menschen, machen Fehler. Doch sie arbeiten transparent, nach deontologischen Regeln, mit professionellen Mitteln, verifizieren ihre Quellen, unterschreiben ihre Texte und stehen für Fehler gerade. Ihre Informationen sind verlässlich und ehrlich.
Die für die Politik oftmals nervige, kritische Berichterstattung ist essenziell für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in gerade diese Politik. Ohne externe Kontrolle, keine Garantie für Verlässlichkeit, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Auch das zeigt das Beispiel der Vereinigten Staaten.
Weniger als ein Dutzend US-Städte beliebiger Größe haben zwei konkurrierende Tageszeitungen, das zeigt der Bericht über die Verbreitung von Nachrichtenwüsten der „University of North Carolina“. Der Mangel an Wettbewerb zwischen Zeitungen in den großen Metropolmärkten führt zu einer geringeren Berichterstattung über die lokalen und staatlichen Behörden. Diese Entwicklung hat Folgen und die Einwohner dieser Städte zahlen den Preis. Studien haben ergeben, dass die Schließung einer konkurrierenden Tageszeitung zu staatlicher Ineffizienz und höheren Kosten für die Stadtbewohner führt.
Das Verschwinden von Zeitungen ebnet den Weg für die ungebremste Verbreitung von Desinformation, Manipulation und Hasskommentaren. Die Polarisierung der Gesellschaft schreitet voran. Eine Analyse des digitalen US-Mediums Politico zeigt, dass Donald Trump bei der Wahl von 2016 dort am besten abgeschnitten hat, wo die Menschen nur begrenzten Zugang zu lokalen Nachrichtenorganen hatten. Quod erat demonstrandum.
Oder wie Jan Böhmermann in seiner Sendung „Magazin Royale“ treffend formuliert: „wo Lokaljournalismus stirbt, hat Demokratie Püree im Darm“. Thema war das Verschwinden von lokalen Medien in Ostdeutschland und die dadurch entstandene Lücke, welche von kostenlosen Anzeigenblättern, die daherkommen wie Lokalzeitungen, gefüllt wird. Doch in Wirklichkeit handelt es sich dabei um rechtspopulistische Propaganda-Blätter. Die rezenten Wahlergebnisse in Ostdeutschland dürften den Lesenden bekannt sein.
* Michelle Cloos ist Generaldirektorin von Editpress
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